Die Sauerei mit dem Milchpreis haben Sie mitbekommen, oder? Wenn es für die Landwirte ökonomischer ist, die Milch wegzuschütten und das Milchvieh zu Steaks zu verarbeiten, stimmt was nicht. Deswegen unterstütze ich die, die derlei verschulden, auch ungern. Auch wenn ich sparen muß ... wie wir alle, oder? 

Discounter

Gestern war ich bei Lidl.

Ist ja GUT! Hört auf zu meckern! Ich hab eben auch meine Schattenseiten, und bin auch nicht immer 100%ig politisch korrekt!  Außerdem lag der Lidl auf dem Weg, zum Edeka hätte ich 12 km fahren müssen. Damit stimmt zumindest meine Öko-Bilanz! 

Gestern war ich also bei Lidl. 

Ich brauchte dringend noch Zitronen, ein Glas entsteinte Kirschen und Quark für den Käsekuchen, den ich backen will, Batterien für die Fernbedienung vom Festplattenrecorder, Mineralwasser und Tabletten für den Geschirrspüler. 

Da war er, der Lidl. 

Aufgeräumt, gut sortiert. Ganz viele Menschen aus aller Herren Länder. Die Zitronen perfekt, nicht wie bei Edeka, wo man stundenlang ein Netz sucht, in dem NICHT die obligatorische faule oder schimmelige Frucht liegt. Kaum Schlangen an der Kasse, weil ununterbrochen, je nach Bedarf und der Zahl der Kunden, Kassen geöffnet und wieder geschlossen wurden. 

Ich stehe bei Lidl an der Kasse.

Die Kassiererin lächelte. Einmal hatte ich geglaubt, daß die junge Frau bei Edeka auch lächelte, aber dann hatte ich bemerkt, daß sie lediglich bemüht war, einen Wurstrest ihrer Semmel, die sie nebenher verzehrte, aus den Zahnzwischenräumen zu zutzeln. Nein, diese hier lächelte tatsächlich. Ich hielt einen 50-Euro-Schein bereit und war überrascht, daß ich hier mit dem Zwanziger und dem lästigen Kleingeld in meiner Hosentasche bequem ausgekommen wäre. 
Und dann: Die junge Frau lächelte mich an, schaute mir in die Augen und sprach: "Danke für ihren Einkauf! Bis zum nächsten Mal!"

Das ist mir bei Edeka noch nie passiert.

Sie dankte mir für meinen Einkauf! Ein Gefühl von Nähe, Zuneigung, ja, Freundschaft erfüllte den Raum! Plötzlich war alles, einschließlich meiner vier Zitronennetze, in ein weiches, heimeliges, warmes Licht getaucht. 
Ich unterdrückte mit Mühe den jähen Impuls, ihre Hand zu greifen, mich nach den Kindern zu erkundigen, und den Rückenbeschwerden ihres Gatten, und ob sie glücklich ist. Ich lächelte zurück und rief ihr ein herzliches "Genau! Bis zum nächsten Mal!" zu. 

Ich gehe wieder zu Lidl.
Sorry.



Der Junge war dumm, und wahnsinnig. Das steht fest. Laut Koran ist der Selbstmord eine Todsünde, die mit dem Fegefeuer bestraft wird, und außerdem wird das auch nix mit den Jungfrauen ... 72, oder? Selbstmord bitte nur, wenn man dabei noch den einen oder anderen "Ungläubigen" mit auslöscht. Gequirlte Scheiße. 


Geschieht ihm ganz recht, oder? 


Ein junger Mensch ist gestorben. Von eigener Hand. Anfang zwanzig. Religiös und politisch verwirrt, radikalisiert. 


Ich weiß schon, dass er mir nach dem Leben trachtete. Er hat Sprengstoff gekauft, um Bomben herzustellen, die die Menschen, die ich liebe, und mich selbst getötet hätten. 


Irgendjemand hat es vermocht, ihm einzureden, dass meine Art, zu leben, mich an Dingen zu freuen, zu essen, zu trinken, mich zu kleiden, nicht gottgefällig sei. Grund genug für ihn, mich zu hassen, und mir nach dem Leben zu trachten. 


Gut, dass er tot ist, oder? Unsere Gesetze sind sowieso zu lasch, schade, daß es sie nicht mehr gibt bei uns, die Todesstrafe. Aufknüpfen, den Kerl, am nächsten Galgen. Schade nur, dass man ihn nicht verhören konnte, um Informationen über seine Mit-Gotteskrieger zu gewinnen. Aber so kostet er uns wenigstens kein Geld mehr, durch Unterbringung, Verpflegung, kostspielige juristische Aufarbeitung. 


Zweiundzwanzig Jahre ... als ich so alt war, hatte ich die ersten Semester meines Medizinstudiums bereits hinter mir. Ich hatte Freunde, zu denen ich heute noch Kontakt habe. Eis essen im Old San Francisco am Ku'damm, oder Calamari fritti im La Gondola in Steglitz. Ins Kino im Europa Center. Dubliners hören im Irish Harp Pub. Ein bisschen Heimweh. Liebeskummer. Pauken für die nächste Klausur, Panik vorm Physikum. Mal in den Osten rüber, billig Lehrbücher kaufen, ins Berliner Ensemble, dann noch was Essen. Das Studium war interessant, Berlin großartig und bunt, ich war jung, voller Hoffnung, und das Leben unendlich. 


Was geht im Kopf eines 22jährigen vor, der sein Lebensziel darin findet, anderen wehzutun? Was ist passiert? Wie könnte sein Hass so entsetzlich und grenzenlos werden? So furchtbar und zerstörerisch, daß er sich sogar auf ihn selbst erstreckte? 


Ich weiß, dass ich Anlass zur Freude habe. Asylbewerber, Flüchtlinge haben das Leben meiner Lieben und auch mein eigenes Leben gerettet. Dafür bin ich von Herzen dankbar. Und wenn sich so einer umbringt, dann ist das nicht schade drum, oder? Er hat bekommen, was er verdient!


Und warum bin ich dann nicht glücklich? 


Nein, auch ich habe kein Mitleid. Auch ich habe das Gefühl, einem schrecklichen Unheil entronnen zu sein. Und das macht mich froh. Aber in mir bleibt ein schaler Beigeschmack. 


Ich wünsche mir, dass wir die Kraft haben, den anderen Menschen zu verdeutlichen, wie schön das Leben ist. Nicht durchgängig, und nicht immer. Aber es ist schön. Mit Eis, und Calamari fritti, mit Kino und Musik, und mit dem besonderen Wunder, dass mich, ausgerechnet mich, den am wenigsten Liebenswerten von allen, doch jemand liebt. 



Was mich noch mehr ärgert als die Frechheiten der Industrie und Wirtschaft sind die halbherzigen Politiker, die die Zustände nicht nur bereitwillig hinnehmen, sondern sogar noch unterstützen. Schlimm, sowas. Und dann über die Erfolge populistischer Vereinigungen jammern! 

Unverschämt

Ich liebe die Energiewende. Das kostet 'ne Kleinigkeit, hat die Kanzlerin gesagt. Für umsonst ist das nicht zu haben. Na gut. An Griffe in die Tasche hat man sich ja hierzulande gewöhnt. 

Aber, als gewiefter Staatsbürger - man kann ja Strom sparen. Geräte günstigerer Stromklassen kaufen. Licht auch mal ausmachen. Die Standby-Geräte abschalten. 

Hab ich gemacht. Vattenfall teilte mir in der vergangenen Woche mit, daß ich vorauszahlungstechnisch zu viel geleistet hätte, weswegen man mir 600 Euro zurückgäbe.

Und was höre ich gerade auf n-tv? Die Stromnetzbetreiber erhöhen die Preise. 

Selbst schuld, oder? Vermutlich haben wir alle zu viel gespart. Wir hätten uns das Sparen sparen können. Die Konzerne, wenn Sie Geld zurückgeben müssen, finden einen Weg, um sich erneut an uns zu bereichern.

"Meine Mittel will ich so verwalten, dass wenig weit soll reichen."

Ist nicht von mir, sondern von Shakespeare. 
Der Glückliche. Er spricht von einer Entscheidung aus freien Stücken. Und bleibt gar nichts anderes übrig.


Religion wird gern mißbraucht. Besonders, um Haß, Mißgunst, Vorurteile zu verbreiten. Komme mir keiner damit ( es haben schon Menschen bei mir versucht! ), daß er die "bessere" Religion habe. Etwas Blöderes habe ich noch nie gehört. Falls es Gott gibt, ist es ihm mit Sicherheit Wurscht. Denn wenn es ihn gibt, ist er so unfaßbar groß, daß er über unsere Vorstellungen, Fantasie und Riten erhaben lachen wird. Genau so stelle ich ihn mir vor: Nicht klein und spießig, das bin ich selbst. Nein. Allmacht mit Humor. 

Friede auf Erden ...


Es geht wieder auf Weihnachten zu. 

Woran man das merkt? An den Spekulatius im Supermarkt? Den Outdoor-Lichterketten im Baumarkt? Oder an den Diskussionen darüber, wer dieses Jahr Oma nimmt? 

Ich merke es an den pseudo-christlichen Hassmails. 

Jetzt ist sogar schon das Weihnachtsfest in Gefahr. In einem von den 52000 Kindergärten hierzuland wird zwar ein Adventskranz hängen, aber Weihnachtsfeiern, insbesondere das Absingen von Weihnachtsliedern, sollen entfallen. Man stelle sich vor: Weihnachten ohne "Last Christmas" aus Kinderkehlen - das ist einfach kein Weihnachten! 

Ja, daran sind die muslimischen Kinder schuld. Deswegen dürfen unsere Kinder keine Geschenke ( Achtung, Eltern: Wenn es kein Display hat, ist es auch kein Geschenk! ) bekommen, sich nicht mit Punsch auf dem Weihnachtsmarkt betrinken, sich nicht an Heiligabend restlos überfressen und sich bis zum 1. Feiertag derart mit der Familie überwerfen, daß man bis Ostern nicht mehr miteinander spricht. Und wegen der Flüchtlinge entfällt auch Omas Heringssalat und das niedliche Versauen der Küche mit Mehl, Margarine und geschmolzener Kuvertüre, während aus dem Radio "In der Weihnachtsbäckerei" dröhnt. 

Worum eigentlich geht es an Weihnachten? 

Eine Frau Angelika Kuhne aus Dresden, wohnhaft in Syke, deren Herz laut Profil deutsch schlägt und die stolz ist, Hausfrau und Mama zu sein und morgens gerne Kaffee trinkt, teilte eine Botschaft der Seite "Ich bin Christ". Sie werde auch zukünftig Weihnachten Weihnachten nennen, und nicht Jahresendfest. Hat sie das damals der Stasi auch entgegengeschleudert? Tapfere Hausfrau! Aber ist ja klar, wer an den unchristlichen Verhältnissen in der DDR schuld war, oder? Moslems und Flüchtlinge, wohlmöglich noch in Personalunion! 

Ich bin selten mit dem Bischof von Rom, gern auch als Papst bezeichnet, einer Meinung. Aber hier hat er einmal recht: "Es ist Heuchelei, wenn man sich als Christ bezeichnet und gegen Menschen ist, die bei uns Zuflucht suchen". 

Franziskus bringt es auf den Punkt. Heuchelei. An Weihnachten entdecken wir unser Christsein plötzlich. Da gehen wir alle in die Kirche, kommet zuhauf, Psalter und Harfe, wacht auf, lasset den Lobgesang hören. Ich steh' an Deiner Krippen hier in der Stillen Nacht, heiligen Nacht, in der leise der Schnee rieselt, trotz globaler Erwärmung, und erlebe sie, die oh, du fröhliche, oh du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit. Vorher haben wir uns abgehetzt, Geschenke besorgt, eingekauft, als gäbe es am 27.12. keine Supermärkte mehr, uns gestritten ( "Heiligabend bei uns, 1. Feiertag bei euch! So, und nicht anders!" ), und fortgewünscht ( " ... also, nächstes Jahr fahren wir nach Antalya. DEN Streß machen wir nicht mehr mit!" ). 

Ja, wir leben unseren Kindern, die in ihrer Kita nicht Weihnachten feiern dürfen, woran die Moslems Schuld sind, förmlich vor, wie wunderbar, magisch, besinnlich und friedvoll das Fest der Liebe ist, nicht wahr. Und daß für uns das Christentum eine Bedarfsreligion ist, die wir aus dem Hut zaubern, wenn's gerade so paßt. Zu Weihnachten. Oder im Flugzeug. Wenn wir in weiß heiraten wollen. Oder Ausländern/Flüchtlingen/Moslems dringend an irgendwas, egal was, Hauptsache, sie sind dafür verantwortlich, die Schuld geben wollen. 

Ich wünsche allen christlich deutschnationalen Frau Kuhnes dieser Welt ein gesegnetes, frohes Weihnachtsfest. Vielleicht laden sie mal ein oder zwei syrische Flüchtlinge ein, und lassen sie teilhaben am Wunder der Weihnacht? Oder beschenken auch mal die muslimischen Kinder in den Unterkünften? 
Und wenn Ihnen das zu viel ist: Versuchen sie es doch mal mit dem Obdachlosen, der vorm Supermarkt seine Zeitung anbietet, und den sie das ganze Jahr ignorieren, als sei er gar nicht da. Oder mit dem älteren Herrn, der einsam über Ihnen wohnt. Oder der Familie, die in Not geraten ist und sich mit Hartz IV durchschlagen muß, und für großartige Feiern kein Geld übrig hat? 

Auch nicht? Ach, Frau Kuhne: Sie und ihresgleichen kotzen mich an.

Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens. 



Manchmal geht die Erfüllung des Bedürfnisses, anderen nahezukommen, vielleicht zu helfen, oder wenigstens, eine Freude zu machen, gründlich schief. Dabei sagen mir meine syrischen Facebook-Freunde, daß es sehr schwierig sei, mit Deutschen in Kontakt zu kommen. Also, ich hab's versucht. Ohne Erfolg. Vielleicht bin ich nicht die Zielgruppe dieser Jungs gewesen. In diesem Fall liegt es dann wohl an mir.

Syrer hassen Kohlensäure


33 Grad im Schatten. Kein Lufthauch. Der Schweiss rinnt von meiner Stirn an meiner Nase herunter, an deren Spitze er in Gestalt eines Tropfens hängen bleibt, um dann, durch eine Kopfbewegung oder die Schwerkraft, den nassen Fleck auf meinem Hemd zu vergrößern. 

Ich bin unterwegs zum Supermarkt, einkaufen. Auf meinem Weg liegt die Kirche, mit Bänken davor, auf denen sich neuerdings syrische, afghanische und afrikanische Flüchtlinge versammeln, mit ihren Mobiltelefonen. Offenbar suchen sie den Schatten der Linde. Kein Wunder. Die Hitze ist unerträglich.

Im Supermarkt komme ich an den Getränken vorbei. Ob die Jungs wohl Durst haben? Mir jedenfalls klebt die Zunge am Gaumen. Ich kaufe ein paar Sechserträger Mineralwasser. Und ja, ich fühle mich wie der Weihnachtsmann.

Auf dem Weg nach Hause halte ich, öffne den Kofferraum und schleppe das Wasser zur Bank. Mein Gruß wird nicht erwidert. Nur einer schaut vom Display seines Handys auf. Ich stelle mich vor, erkläre mich, lächele. Der junge Mann senkt den Kopf und bearbeitet die Tastatur erneut. Und leicht verwirrt räume ich das Feld. Ich wollte nicht stören.

Nun entdecke ich einen Eintrag auf der Informationsseite Deutsch-Syrisches Informationszentrum. Man solle doch mehr und freundlicher auf  die Syrer zugehen, empfahl man dort. Wer mich kennt, weiss, dass ich bei sowas die Klappe nicht halten kann. 

Na gut: einen "shitstorm" habe ich nicht ausgelöst. Aber doch Empörung über meine Ignoranz. Ob ich denn nicht wisse, fragte Chris Tar, dass Syrer keine Kohlensäure mögen? Unfassbar. Und dann diese herablassende Geste, fand Rebecca Embarek. Wasser könne man sich als Syrer inzwischen auch selber kaufen. Ich hätte mich höflich nähern, mich vorstellen müssen, und fragen, was denn gefällig sei. Zudem vorher beim örtlichen Ehrenamtsverband nachfragen können, ob das angebracht ist. Also, alles falsch gemacht. 

Christiane Vogler war sicher, daß die Jungs mich vermutlich wenig sympathisch fanden.

San Ra meinte gar, das Herz gebraucht würde, bei dieser Aufgabe. Und wenn ich davon mehr mitbrächte, klappte es vielleicht nächstens mit dem Nachbarn. 

Ja, da habe ich ja eine Menge gelernt! Dann stimmt sie also doch, die Fernsehwerbung: "Er hätte lieber jemand fragen sollen, der sich mit Syrern auskennt!"

Bei näherer Betrachtung stimme ich zu. Würde ich von jedem unsympathischen, unbekannten, dicken Gutmenschen ohne Herz Almosen annehmen? Almosen, die ich nicht mag? Was für ein Fauxpas meinerseits! Entschuldigung, bitte. Ich will es auch nicht wieder tun! Und ihr alle, die ihr dies hier lest, denkt dran: Ehrenamtsverband! Kohlensäure! ( Mir fällt gerade ein, dass meine Oma auch keine Kohlensäure vertrug, weswegen sie zu Silvester den Sekt immer mit einem winzigen silbernen Quirl traktierte ... )

Scherz beiseite. Nein, ich tue es nicht wieder. Ich mache es wie die Majorität. Ich zahle meine Steuern und hoffe auf den Staat. Und falls mal ein Syrer auf MICH zukommt, werde ich ihm gern ein Getränk ohne Kohlensäure kaufen. Und um eins klarzumachen: ich werde auch weiterhin jeden Flüchtling mit offenen Armen aufnehmen. 

Aber nur, wenn er es möchte.


Es ist so schade, daß Facebook zur Zeit noch alternativlos ist. Aber glaubt mir, Freunde: Sobald es ein Netzwerk gibt, in dem auf die vielbeschworene "Nettiquette" geachtet wird und Hassmails und Nazi-Parolen umgehend gelöscht werden, bin ich weg aus Facebook. Sofort. 

Gar nicht gut ...


"Bist du aber gross geworden!"

Reine Nostalgie liegt in diesem Satz. Ja, was bleibt einem auch übrig? Man wächst so still vor sich hin, irgendwann heisst es dann "Du siehst aber noch gut aus - für dein Alter!"

Ich bin Ende 50, was ich nur ungern zugebe. Ich vergesse es gern. Meine Freunde halten mich beweglich, und ich fühle mich Menschen zwischen 20 und 40 wesentlich näher als den alten Leuten in meinen Jahrgängen. 

Und ich ertappe mich gelegentlich dabei, wie ich an damals denke, als ich 20 war, oder 30. Es gab viele schöne Dinge, Telefonzellen, Videotheken, Musicassetten für 30, 60, 90 und 120 Minuten, letztere musste man allerdings häufig mit einem Bleistift von Verwicklungen befreien ... 

Facebook gab es noch nicht. Erst seit dem 4. Februar 2004. Eine wunderbare Idee. Die Vernetzung von Menschen. Kommunikation über alle Grenzen hinweg. Über alle Nationalitäten, Hautfarben, Glaubensbekenntnisse hinweg. Grossartig. Menschen, die sich aus den Augen verloren, fanden sich wieder. Menschen, die sich nicht aus den Augen verlieren wollten, verbanden sich hier. Menschen mit gemeinsamen Interessen, gleichen Sehnsüchten, ähnlichen Einstellungen schlossen sich zusammen.

Und jetzt? In Zeiten der politischen Radikalisierung, der emotionalen Verrohung und der Kapitulation der stillen Klugen vor den lauten, enthemmten Dummen, verkommt diese Plattform zu einem Abgrund an Verbalinjurien, Schmähungen, primitivster Sexismen und kriminellen Drohungen, die offenbar "nicht gegen ( Facebooks ) Gemeinschaftsstandards verstossen" ... Moment mal: Gemeinschaft? Macht ihr Witze? 

"Bist Du aber klein geworden!" 

Ja, Facebook, du hast dich klein gemacht. Klein, und mies. Du bist zum Erfüllungsgehilfen geworden von Antisemitismus, Homophobie, Rechtsradikalismus. Du tolerierst Nazis, Misanthropen, Kriminelle, Rassisten. Du verhinderst nicht, dass sich die hässliche Fratze der Menschenverachtung, des Hasses erhebt. Du versagst denen, die für eine freundliche, menschliche, bessere Welt kämpfen, deine Unterstützung, im Gegenteil, du behinderst sie in ihrem Kampf gegen Dummheit, Verachtung und Intoleranz. 

Aber du wirst uns nicht daran hindern, uns den rechten Hetzern entgegenzustellen und unseren Freunden zu verdeutlichen, wie wichtig die Gegenrede, der Protest ist. Ich werde mit meinen Freunden den Kampf aufnehmen, schlimmstenfalls mit Rechtsmitteln. Und ich gedenke, ihn nicht zu verlieren.

Für dein Alter, Facebook, siehst du nicht mehr gut aus.

Gar nicht gut.


Ihr habt doch auch schon mal alte Freunde wiedergetroffen, oder? Ich meine nicht so sehr die Atmosphäre auf Klassentreffen. Nein, wirkliche Freunde, von denen unterschiedlich verlaufende Lebenswege, Arbeit, Umzug in eine andere Stadt uns wegführen. Und dann, eines Tages, begegnet man sich wieder. Na logisch. Freundschaft entsteht nicht von ungefähr. Irgendetwas schlägt im Gleichklang, und wenn's das Herz ist. Und das ändert sich nicht. 


Gestern ... 

Ich bin wirklich nervös. 

Na ja, da habt ihr recht. Ich bin schnell mal nervös. Ich bekomme es fertig, daß ich, wenn ich einen Termin in einer mir unbekannten 'location' habe, tags zuvor hinfahre, damit ich mich pünktlich und souverän zurechtfinde. Und dann, am Termin, bin ich am besten eine Stunde eher da, um mich zu akklimatisieren. 

Ich bin nervös. Hochgradig.

Was soll das denn? Stau? Mein Gott, bin ich denn mal wieder der einzige, der Autofahren kann? Alles Idioten, hier! Ah, es geht weiter .... was ist das für ein Blaulicht, da vorne? Och nee! Was soll das denn jetzt? Leute, ich muß das Restaurant erreichen! Heute noch! Pünktlich! 

Entschuldigung, ich bin etwas nervös.

Das ist ja nun auch keine Kleinigkeit. Stellt euch vor: 1978, Hörsaal der Physiologie. Oder war es die Rostlaube? Egal. Neben mir eine nette junge Frau, die genau wie ich mit dem Immatrikulationsformular kämpft. Lauter schwierige Fragen. Geburtsort? Ich schaue herüber. Sie hat auch diese Frage erreicht. "Stade", schreibt sie. Moment mal! Stade? STADE? Hey, ich bin auch in Stade geboren! 

Das teile ich ihr mit. Sie findet es witzig. Und das war dann der Beginn einer wunderbaren Freundschaft ... die aber, durch mannigfaltige, verschlungene Wege, nach dem Studium zwar in der Erinnerung überdauerte, aber kaum mehr in die Praxis umgesetzt wurde ... erst auf und über Facebook fanden wir uns wieder. 

1978 ... wie lange ist das eigentlich her? Zu Hause hab ich noch mal in den Spiegel gesehen. Oh mein Gott! Ein dicker alter Mann. Tränensäcke. Die Haare, die noch da sind, schlohweiß. Moment mal ... Haare? Was sollen die Haare in der Nase? Und an der Ohren? Gehört ihr da hin? - Hier muß doch irgendwo eine Pinzette liegen ... 

Was wird sie sagen, wenn ich, wegen des kaputten Knies lahmend wie ein alter Zossen, das Restaurant betrete? Schaffe ich es, zumindest so zu tun, als sei ich jung, dynamisch, elastisch, begehrenswert? 

Na endlich. Komisch. Sieht wie eine Wohngegend aus. Ach da, wo die Lichter sind! 
Ich betrete den winzigen Vorraum. Im Spiegel sehe ich den Reflex meines 'Dates' in einem Spiegel. Sie sieht genau aus wie damals, 1978. Stade? Ich auch! 

Wir liegen uns in den Armen. Wir reden. Wir essen. Wir trinken. Wir reden. 
Ich bin überhaupt nicht nervös, im Gegenteil. Ist überhaupt Zeit vergangen? Haben wir uns nicht vorgestern zuletzt gesehen? 

Wir haben an dem Punkt weitergemacht, ganz entspannt, und ganz selbstverständlich,  an dem unsere Pause begonnen hatte. Warum war ich nervös? Und war das mit meinem Spiegelbild, vorhin? Sitzt hier etwa nicht der nette, dunkelblonde, schlanke Junge? Der einem mit seinen Albernheiten auf den Keks geht? Und immer alles besser weiß? Und nur selten seine Klappe halten kann? Muß doch! Weil die tolle Frau mir gegenüber sanft, und klug, und ironisch, und lustig ist, wie immer! Kein bißchen älter geworden. 

Alles wie immer. 
Alles. Wie. Immer. 

Nervös?
Pah! Im Februar geht's weiter! 

Danke.


Wir haben uns auf Facebook kennengelernt. Wir haben uns so gut verstanden. Er füllte die Lücke aus, die in meinem eigenen, leider kinderlosen Leben eben durch diese Kinderlosigkeit entstand. Es war wunderbar, um Rat gefragt zu werden, in ganz unwichtigen Dingen, aber auch in entscheidenden Situationen. Es war großartig, ihn begleiten zu dürfen. Ein Bewerbungsschreiben zu korrigieren. Zu trösten. Aufzubauen. Zu streiten, und sich wieder zu vertragen. 
Das geht jetzt nicht mehr. Es kommt nur noch ein "Das verstehst Du nicht". Und genau das verstehe ich nicht. Aber ich weiß, daß ich nicht ewig an seiner Seite sein darf. Das wenigstens kann ich verstehen.

Brief an meinen (Paten-)Sohn 

Das ist er dann wohl, oder? Der Moment, an dem die Kinder aus dem Haus gehen. Ich hätte nicht geglaubt, daß er kommt, und daß es so weh tut, denn eigentlich bist Du ja nur so eine Art Patensohn. Wir haben uns kennengelernt, da warst Du noch Schüler. Dann das Abitur ... lange Telefonate. Du gingst von Berlin nach Düsseldorf, studieren. Wirtschaft. Du warst traurig, einsam, kein wirklich guter Student - also, zumindest klaffte zwischen Anspruch und Realität eine ziemliche Lücke. Lange Telefonate. Ich habe versucht, Dir beizustehen. Dir Mut zu machen. Dich aus der Scheiße zu holen, schlimmstenfalls mit grenzwertig legalen Mitteln.  

Ich habe festgestellt, daß sich etwas verändert. War zu Beginn mein Rat noch gefragt, wurde ich im Verlauf zur Rolle des Zuhörers reduziert. Das ist ja soweit auch in Ordnung, wenn es denn eben nicht mit Fragen verbunden gewesen wäre, deren Antworten Du eigentlich gar nicht wolltest.  

Ich meine, ich bin sicher, daß sich bei einer so dynamischen Sache wie Ausbildung/Studium etwas verändert, aber so sehr, daß alles, was ich aus meiner Studentenzeit mitgenommen habe, nicht mehr gilt ... das kann ich nicht glauben.  

Deinen Satz, "Das verstehst Du nicht" habe ich zuletzt immer öfter gehört, und er verweist mich in meine Grenzen, die sicher generationsbedingt sind.  
Ich habe diesen Satz, glaube ich, irgendwann auch einige Male gesagt. Besonders zu meinen Eltern. Oder wenigstens gedacht. Besonders dann, wenn ich nicht auf Ratschläge gehört habe und dann die Konsequenz meines Handelns zu tragen hatte.  

Nein, das ist sicher so. Meine Großeltern haben irgendwann aufgehört, meine Eltern zu verstehen, meine Eltern haben mich nicht verstanden, und ich verstehe Dich nicht mehr. Eines Tages wird das Kind, Dein Kind, das gerade ungewollt entstanden ist, Dich ansehen und Dir sagen, das verstehst Du nicht.  

Darf ich Dir einen Rat geben? Den letzten Rat, den Du vermutlich genauso wenig hören willst, wie die vorigen? Ertrage ihn. Es ist der Letzte, ich versprech's. 

Lächele, und laß Dein Kind ziehen. Es ist erwachsen. Du kannst es nicht mehr vor Fehlern beschützen, es retten - wenn es das nicht will. Fehler sind zum Lernen da. Aber sie sind nur welche,        wenn man sie selber macht.  
Laß Dein Kind ziehen. Ohne Groll, ohne Kopfschütteln. Du hast in Deinem Leben Erfahrungen gemacht, die sich nicht übertragen lassen, die irgendwie ganz anders, unmodern, unpassend sind. Zumindest jetzt gerade. Irgendwann merkt man, daß die Generation vor einem nicht nur blöd war. Aber das dauert etwas.  
Laß Dein Kind ziehen, aber versperre nicht Deine Tür, und nicht Dein Herz. Erinnere Dich an die Zeit, als Du gleich hinterm lieben Gott kamst, und die Kraft hattest, Schlimmes ins Gute zu verwandeln.  

Vor allem aber: Behalte es lieb. Bedingungslos. Auch wenn Du ihm für einige Zeit Lebewohl sagst. Es gibt eben diese Zeit, in der die Kinder aus dem Haus gehen. Sich ungern was sagen lassen. Auf Ratschläge pfeifen. Sag ihm Danke für unsere gemeinsame, Zeit, das Gefühl, wichtig zu sein, nahe, verantwortlich. Vielleicht kommt es auch irgendwann mal zurück.  
Sag ihm Lebewohl, aber: Behalte es lieb.  

Wie ich Dich. 


Ja, irgendwie ist es komisch, heuer. Es könnte eine so schöne Zeit sein, wenn nicht alles so instabil wäre, ins Wanken geriete. Wenn das, was mir die Eltern und Großeltern, die Lehrer, die Schule und auch die Kirche ( allen voran meine Pastoren Hans-Henning Speckmann und Jürgen Rabe ) mir vermittelten, noch immer das Häßliche, Unmenschliche, Grausame überdecken könnte. Ich aber rieche das Blut, das in Aleppo geflossen ist. Ich höre die dumpfen Parolen der Nazis, AfDler, besorgten Bürger. Ich sehe religiös Verblendete LKWs in eine friedlich-fröhliche Menschenmenge steuern. Ich fühle den Ruck in der Politik, der in die falsche Richtung geht. 
Ich gebe zu, daß ich verwöhnt bin. Ich habe 60 Jahre im Frieden verbracht. Dieser Frieden dauert schon 71 Jahre an - ich glaube, das gab es noch nie vorher auf diesem Kontinent. Aber wie lange mag das noch gut gehen?


Weihnachten 2016

Ich würde so gern was zum Weihnachtsfest schreiben. Also, so eine freundliche, rührende, romantische Geschichte, mit Keksen, Kerzen und viel Fantasie, Stollen und Tannengrün garniert. Zitrus-, Zimt- und Sternanisdüfte erfüllen die Luft, alles ist in mildes, dämmriges Licht getaucht, eine Hülle von Geheimnis. Süßer die Glocken nie klingen ... 

Ich würde mir so gern etwas Lustiges ausdenken, mit dem Weihnachtsmann und seinen Rentieren, vielleicht etwas mit verwechselten Geschenken, die dann aber doch dem jeweils Fehl-beschenkten auf überraschende Weise zu passen scheinen. 

Oder etwas Sentimentales? Das kann ich. Sagen wenigstens die Leute, die schon mal was von mir gelesen haben. Etwas über ein unverhofftes Glück in lauter Hoffnungslosigkeit. Etwas über ein wenig Licht im Dunkel, oder Wärme in Eiseskälte.

Ich würde so gern etwas Weihnachtliches verfassen. Ein Freund schickte eine ganz dolle E-Mail, einen Jahresbericht. Eine Bilanz seiner Leistungen und Taten. Alles, worauf er stolz ist. Wahnsinn. Das mach' ich auch, habe ich mir gesagt. Da hab ich wenigstens irgendetwas. 

Und dann hab ich dagesessen, auf meinem alten iPad herumgetrommelt, und gedacht, das kannst Du gar nicht. Du hast nichts geleistet, was sich aufzuschreiben lohnte. Schade. Das hättest Du Dir früher überlegen müssen. 

Ach, wenn ich doch von tiefer, andächtiger Religiosität durchströmt würde ... ich könnte aus dem Evangelium zitieren, die Geburt des Erlösers preisen, einen frommen Choral anstimmen, ich steh an Deiner Krippen hier, Herr Jesu, Du mein Leben. So bin ich groß geworden, aber die Religionen und deren praktische Anwendung haben mich davon überzeugt, daß religiöse Abstinenz die bessere Wahl ist. 

Geht es Euch anders? Fällt Euch etwas Weihnachtliches ein? Außer dem, was wir alle in unserer Erinnerung abgespeichert haben? Die Weihnachtsfeste, auf die wir als Kinder voll Aufregung und Sehnsucht warteten, die Rituale, unterschiedlich von Familie zu Familie, und doch gleich. Erst Kirche, dann kam die Familie zusammen, Uroma, Oma, Tanten und Onkel. Es gab gute Sachen, Würstchen, Karpfen, Gans, Fondue ... und dann die Bescherung ... Fröhliche, selige, gnadenbringende Weihnachtszeit. 

Ich würde so gern etwas Weihnachtliches schreiben. Dieses Jahr fällt mir nichts ein. 
Vielleicht nur, daß ich Euch habe. Nur?  Ihr seid meine Freunde. Ihr seid mir wichtig, und ich bin froh und dankbar, daß ich Euch kenne. Danke, daß ihr da seid. Danke, daß Ihr mich aushaltet. Das Leben, das Fest mit Euch zu teilen, ist mir wichtig. Es gibt nichts Wichtigeres als dies: Am Ende zusammen zu sein. Danke Euch allen. 

Ein frohes, friedliches Weihnachtsfest uns allen. Und ein glücklicheres Neues Jahr 2017. 



I would like to write something real cristmassy. Like, a friendly, touching, romantic story, garnished with biscuits, candles and lots of fantasy, Christmas pudding and green fir. The scents of citrus, cinnamon and star anise fill the air, everything is immersed in mild, dim light, like a shell of mystery. Hark! the Herald Angels sing ...

I would love to think of something funny, with the Santa Claus and his reindeers, perhaps something with confused gifts, which nevertheless seem to fit the ones who received the "wrong" present.

Or something sentimental? I can do that. This at least is what the people who have ever read something I wrote told me. About an unexspected happiness within complete hopelessness. Something about a little light in the dark, or warmth in cold winter.

I would like to write something fitting Christmas. Yesterday a friend sent a very exciting e-mail, an annual report. A review of his achievements and heroic deeds. Everything of which he is ever so proud. Wow. I can do that, I told myself. There I have at least something.

In due course I sat at the table, tapping on my old iPad, and couldn't think of anything similar to his. I have not done anything worth writing down. Too bad. I should have considered this before.

Or, if I were permeated by profound religious devoutness. I could quote from the gospel, praise the birth of the Savior, and write a pious chorus, In dulci jubilo, o Jesu parvule. I grew up within this tradition, but the religions and their practical application convinced me that religious abstinence is the better choice.

Got different feelings? Could you think of something Christmassy? Except of what we've all stored in our memory? The Christmas festivities we were waiting for as children eagerly, full of excitement and longing, the rituals, different from family to family, and yet the same. First service at church, then the gathering of the family, great-granny, grandma, aunts and uncles, cousins. Delicious food on the table, sausages, carps, goose, fondue ... and then the presents ... Silent night, holy night, all is calm, all is bright.

I would like to write a story about, at least a greeting at Christmas time. This year I have no idea about that in heart or mind.
Well, there is only one matter: I have you. Only? You are my friends. You are important to me, and I am glad and thankful that I know you. Thank you for being there. Thank you for holding me. It is important to me to share my life with you. There is nothing more important than this: to be together in the end. Thank you all.

A happy, peaceful Christmas celebration to all of us. And, hopefully, a happier New Year 2017.


Das Jahr geht mit Riesenschritten seinem Ende entgegen. Morgens wacht man auf mit dem Gedanken, wer heute wohl verstorben sein mag ... George Michael und Carrie Fisher traf es zuletzt. Wieviel Tage sind es noch, heute mit eingerechnet? Vier. Da kann noch einiges passieren ... ach, unken wir nicht. Vermutlich ist 2016 nicht besser und schlechter als andere Jahre auch. Es kommt uns nur so vor. Und ... wir sind ja auch älter geworden, und die Verblichenen waren häufig in unserem Alter, oder haben unser Leben eng begleitet. Erliegen wir nicht einer Wahrnehmungsstörung. Alles wird gut.

Silvester 2016

Ja, es wird wirklich Zeit, daß 2016 zu Ende geht. Dieses Jahr hat gefühlt die Hälfte der Weltelite geraubt, und gefühlt sind nur die Petrys und Höckes incl. Hater, Nazis, besorgte Bürger übriggeblieben. 

Oder? 

Das Schlechte und das Gute liegen manchmal dicht zusammen. Hierzu vier persönliche Bemerkungen. 

Wir hatten zunächst darüber Scherze gemacht, dann aber festgestellt, daß - mit etwas gutem Willen - Träume realisierbar sein können. Zunächst reiste Ellen aus Puerto Rico an, dann, einen Tag später, Zia, der aus Lyon eintraf. Ich konnte beiden ein wenig von Deutschland zeigen. Den Süden, diesmal. Und ich hoffe, daß wir das irgendwann mit dem Norden fortsetzen können. 
Dabei war gar nicht das touristische Programm entscheidend. Ich fühlte mich Dreiviertel tot vor Aufregung, weil, man kann ja nicht wissen, wie die so sind, oder? Man kennt sich nur virtuell, out of cyber space, und man weiß ja, daß im Netz jeder Junge mindestens Brad Pitt ist ( ... also, die Version von 1999, Fight Club, mit Sixpack ), und jedes Mädchen Selena Gomez in den Schatten stellt. 
Was soll ich sagen? Wir drei waren besser. Wir waren nämlich gut gelaunt, frei von Skandalen, klug, gefühlvoll und weltgewandt. So etwas wie Fake haben wir nicht nötig. Thank you very much, Ellen, auch für die Pizza mit dem Epipen in Alarmbereitschaft, merci beaucoup, Zia fürs Herumfahren. Es war eine wundervolle Woche. 

Ich wußte nicht, daß es Menschen gibt, die mir so ähnlich sind, daß man sie sozusagen automatisch liebt. So einen habe ich dieses Jahr kennengelernt. Er ist mir sogar noch ähnlicher als ich selbst, weil er ein Kämpfer ist, nie wirklich zufrieden, stark, unnachgiebig. Aber man kann mit ihm reden, und lachen, und schweigen. Er hat ein mitfühlendes, großes Herz. Und er ist unglaublich lieb. Ich weiß, Uwe, daß Du das hier liest und abwinkst, ach Quatsch, alles übertrieben. Ha! Das denkst Du! Wer Dich kennt, weiß, daß ich recht habe. 

Freunde sind Freunde. Man verliert sie nicht, auch wenn man sich mal ( gottseidank ) vorübergehend aus den Augen verliert. Wir haben einen wichtigen Teil unserer Leben gemeinsam verbracht, das Studium, nämlich. Naja. Und dann geht jeder in eine andere Stadt, gründet Familie, kämpft mit Berufsorganisationen, Finanzämtern und - am meisten - mit sich selbst. Der Freundeskreis ändert sich, und man entfernt sich anscheinend ( oder scheinbar? Ich weiß es wirklich nie ... ) immer weiter voneinander, bis plötzlich die Lebenswege sich wieder berühren, bzw., sich überschneiden. Das durfte ich in diesem Jahr gleich zweimal erleben. Mit Lily und Hassan. Plötzlich sitzen wir uns wieder gegenüber, und es ist, als hätten wir uns vorgestern zuletzt gesehen, uns über die Physiologie-Vorlesung ausgelassen oder Professor Schwartzkopf, Friede seiner Asche, abgelästert. Wir sind älter geworden - zumindest Hassan und ich. Aber wir sind noch dieselben. Weißt Du noch, Lily, wie Du und Dein Mann mich damals aufgenommen habt, als ich Depp gekündigt hatte - ohne eine neue Wohnung zu haben? Und Hassan? Der aus Dosenmilch, einem Schokoladenriegel und tiefgekühltem Rosenkohl eine leckere Mahlzeit zubereiten konnte, und der, wenn bei mir mal wieder Ebbe war, mein Kinoticket und das anschließende Eis im 'Old San Francisco' finanzierte? 
Mit Euch machte ich völlig neue Erfahrungen: Ich durfte ich sein, genau so eben, wie ich war - und wurde trotzdem geliebt. Das hatte es in meinem Leben bis dahin noch nicht gegeben. 

Ich möchte hier so viele erwähnen, aber das würde jeden Rahmen sprengen. Mir sind besonders meine neuen, syrischen Freunde wichtig. Samir, Abdalaziz, Mecid, Mohammad, Aseem, Nezar. Ich möchte Euch, stellvertretend für alle anderen, die ich kennengelernt habe und mit Stolz und Freude meine Freunde nenne, hier erwähnen. Was Ihr hinter Euch habt, hätte ich selbst vermutlich gar nicht geschafft: Mal eben aus der Heimat zu fliehen, alles, was vertraut war, hinter sich zu lassen, um es gegen eine mehr als ungewisse Zukunft einzutauschen. Es auszuhalten, mißtrauisch beäugt zu werden, nicht wirklich beliebt zu sein. Sich unter Wert verkaufen zu müssen. Das macht Euch zu den wahren Helden dieses Jahres. 

Gefühlt, wie gesagt, war es kein schönes Jahr. Wir haben so viele verloren, und sind dabei, so vieles zu verlieren: Menschlichkeit, Geschichtsbewußtsein, Anstand, Moral. 
Davon abgesehen aber findet man, wenn man nachschaut, im eigenen Leben immer wieder glückliche Momente. Deswegen geben wir nicht auf. Und deswegen müssen wir begreifen, daß es sinnlos ist, darüber zu jammern, das etwas verloren ist. Die Lektion lautet, dankbar zu sein für die, die uns begleitet haben. Und dafür zu kämpfen, daß Menschlichkeit, Geschichtsbewußtsein, Anstand und Moral uns erhalten bleiben.

Ich wünsche uns allen ein grandioses Neues Jahr 2017! 

 

Yes, it is about time that 2016 is coming to an end. It feels like this year has robbed us naked of half of the worlds' celebrities, and it feels that only right wing politicians including haters, Nazis, 'anxious citizens' ( as they call themselves in Germany ) remained.

That's true, isn't it?

The bad and the good seem to be neighbours, sometimes. Four personal comments.

We had initially joked about it, but then noticed that dreams could be realized if one really wants to. First, Ellen traveled from Puerto Rico, then, a day later, Zia arrived from Lyon. Thus I was able show both of them a small slice of Germany. The southern slice, this time. And I hope that soon we can continue with the Northern one.
But in my view, the touristic program was not important at all. In the beginning, I felt three quarters dead. Out of excitement. Because, how can you know how 'they' really are? You met them only virtually, out of cyberspace, and it is no secret that in the internet each boy is at least Brad Pitt (so the version of 1999, Fight Club, with Sixpack), and every girl at least a smarter Selena Gomez.
What can I say? We were incredible. We were in a good mood, free from scandals, smart, sensitive and witty. We were high above the need for  fake. Thank you very much, Ellen, I loved having Pizza with an Epipen on stand by, merci beaucoup, Zia, for driving us around. It was a wonderful week.

I did not know that there people exist who are so similar to oneself that one loves them, like, automatically. I got to know one of them this year. He is even more like a better version of myself, because he is a fighter, never really satisfied, strong, unyielding. But you can talk to him, and laugh, and be silent with him. He has a compassionate, big heart. And he is friendly to an unbelievable extent. I know, Uwe, that you're reading this and pointing it off, oh nonsense, everything exaggerated. Ha! That's what you think! Anyone who knows you will find that I am right.

Friends will be friends. You do not lose them, even if they're out of sight, temporarily only, thank God. We have spent an important part of our lives together, studying, especially. Well, after short everyone moves to different cities, has his own family, fights with professional organizations, tax offices, and most of all, with himself. The circle of friends changes, and you seem to be worlds apart from one another, until suddenly the life-paths touch again, or, occasionally, overlap. I was allowed to experience this twice. With Lily and Hassan. Suddenly we met again, and it felt as if we had seen each other only a few days ago at the physiology lecture, or gossiping about Prof. Schwartzkopf, may he rest In peace? We have grown older - at least Hassan and I did. But we are still the way we were. Do you remember, Lily, how you and your husband took me into your home back then, after stupid me had terminated his appartment without having a new one? And Hassan? Who could prepare a delicious meal made of canned milk, a chocolate bar and chilled Brussels sprouts, and who, when I was once again on my bottom Deutschmark, paid for my cinema ticket and the subsequent ice cream at the 'Old San Francisco'?
With you both I experienced something completely new: I was allowed to be, exactly as I was - and was loved for what I was, unconditionally. That had never happened to me before in my life. Until then.

I would like to mention so many people, but that would get out of hand. For me it seems important to mention my new Syrian friends. Samir, Abdalaziz, Mecid, Mohammad, Aseem, Nezar. I would like to talk about you here, representative of all the others, whom I have met and proudly and gladly call my friends. What you have been going through, I probably would not have been able to manage. To escape from home, to leave behind everyone and everything that was familiar, to exchange it for a more than uncertain future. To endure being watched suspiciously,  or not being really popular. To sell oneself below one's value. This lets appear you as this year's  true heroes.

It seems that 2016 was not a nice year. We have lost so many, and are about to lose so much: humanity, historical consciousness, decency, morality.
Apart from this, however, one always finds happy moments in one's life. That's why we do not give up. And that is why we must understand that it is pointless to lament about something that is lost. The lesson is to be grateful to those who have accompanied us. And to fight for humanity, historical consciousness, decency and morality.

A gorgeous New Year 2017 to all of us!


Und das waren die Reaktionen auf Facebook auf meinen Silvester-Text. Besonders auf Lily's Antwort war ich sehr stolz. 


Kinder im Hotel


Es war eine spontane Entscheidung. Eine Nacht in Berlin. Bei Hotels, speziell in Berlin, achte ich darauf, daß sie nicht zu teuer sind, und wohlmöglich nicht im Stadtzentrum liegen. Zu teuer, weil ich es mir nicht leisten kann. Und im Zentrum? Plötzlich findet eine Demo statt, oder ein Politiker kommt, Frau Merkel zu besuchen, und Zack, alles ist gesperrt, man kommt weder hin noch zurück, Danke nein. 

Deswegen fand ich das Wyndham in Hennigsdorf ganz passend. Das Doppelzimmer mit Frühstück für € 78.-? Da kann man doch wirklich nichts von sagen, oder? 

Heute morgen schreite ich zum Frühstück. Naja. Begeisterung sieht anders aus. Ich hab schon üppigere Buffets gesehen. Elegantere. Vollere, bessere Auswahl. Mit Lachs und Rollmops, diesen leckeren, kleinen, zum Beispiel. Jedenfalls bunter. Deko aus Früchten, Nüssen, besonders Wal-, die mag ich gerne. Die Teller sind auch so klein, und in die Tassen paßt nix rein. Was ist denn das für Tee? Rooibos? Zum Frühstück? Igitt. Nur Darjeeling? Gibts denn keinen Ceylon? 

Na gut. Man findet was, aber irgendwie nörgelt man so vor sich hin. Weil man eben Besseres gewohnt ist, Luxus. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Eine junge Familie betritt den Raum. Ein kleiner, ca. 5-jähriger Junge, mit seinen Eltern im Schlepptau. Mit seinen riesigen, blauen Augen starrt er überrascht auf das Buffet. Da kiekste, wa? Noch nie Marmelade gesehen? Ich ziehe mitleidig die Augenbrauen hoch. Was geben denn diese Leute ihrem Kind zum Frühstück? McDonalds?

Ich beobachte, wie der Kleine sich von Papa hochheben läßt, um das Dargebotene einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Zunächst, für den Bruchteil einer Sekunde, überraschtes Schweigen. Dann wird voll ehrfürchtiger Begeisterung kommentiert, die unterschiedlichen Brötchen, der Käse, das Müsli, die Säfte. Die metallenen Speisenwärmer mit dem Rührei und dem Speck betrachtet er, als handele es sich mindestens um den heiligen Gral.

Der Junge schnappt sich ein Schüsselchen und schüttet andächtig eine kleine Portion Cornflakes hinein, Papa ist mit der Milch behilflich. Die Schüssel mit beiden Armen an die Brust pressend, balanciert er vorsichtig zu seinem Platz. Die Milch schwappt gefährlich bis zum Rand, aber nichts passiert. 
"Ich hab Cornflakes", informiert er die Umsitzenden, "Papa nimmt was anderes!" 
In der Tat. Papa kommt, in der Schüssel sehe ich braune Kügelchen. "Was hast Du, Papa? Was hast Du?", erkundigt sich der junge Genießer aufgeregt. 

Ich habe mein spärliches, kümmerliches Frühstück längst abgeschlossen und nippe widerwillig an meiner Kaffeetasse mit der bitteren dunkelbraunen Flüssigkeit, die hier als Kaffee verkauft wird. Ich nippe langsam, weil ich noch bleiben und lernen möchte. Lernen von einem 5-jährigen, dem die Auswahl hier wie ein Wunder vorkommt, der begeistert die Augen verdreht bei der Vielfruchtmarmelade, fröhlich in ein winziges Blätterteigküchlein beißt, und unablässig Saft in den viel zu kleinen Gläsern heranschleppt.

Ich bin nachdenklich, schäme mich ein bißchen. Wann bin ich so arrogant geworden? Wann habe ich die Bescheidenheit verloren? Die Demut? Die Dankbarkeit? 

Aber vielleicht ist ja noch nicht alles verloren. Wenn man bemerkt, woran man krankt, kann man geheilt werden, denke ich. 

Hoffentlich. 


Dummheit

Stellt euch vor, daß ihr jemanden kennt, den ihr sehr gern habt. Ich meine, wirklich, richtig gern habt. Das ist schwierig, meint ihr? Ihr habt niemanden gern? 

Das tut mir leid. Mir jedenfalls geht es so, gelegentlich. Und dann kommt was ganz Dämliches. Ich fühle mich dann verantwortlich. Ist das nicht Lustig? 

Wirklich. Das ist bei mir so. Ich mache auch keinen Unterschied, ob ich jemanden in natura oder auf Facebook kennengelernt habe. Freund ist Freund, und Facebook, so denke ich, mindert die Verantwortung nicht. 

Ich weiß, was ihr denkt. Sentimentaler, alter Trottel. 
Und ich komme nicht umhin, euch recht zu geben. Das bin ich. 

Ich habe über mich selbst herzlich gelacht. Ein Freund deutete mit einem Post an, daß es ihm nicht gut geht. Und ich? Statt weiter zu scrollen, mal ganz entspannt abzuwarten, ob's von allein wieder besser wird, schreibe ich ängstlich meterlange Posts, um zu sagen, hallo, hier ist jemand, den das betrifft, der sich zuständig fühlt für Dich. Blöd, nicht? 

Das fanden auch andere. Der Freund inklusive. Alles nur halb so wichtig.

Und ich? 
Ich hab mich halb totgelacht. Erstaunlich, wie dumm man sein kann, oder? Geschieht mir ganz recht. Was mische ich mich auch ein? Als Laie ... keine Ahnung, aber dann das Maul aufreißen! Wie kann man nur?! 

Ja. Wirklich komisch, im Nachhinein.
Ich lache immer noch. 

Imagine you know someone you love very much. I mean, someone you really, really like. This is difficult, you say? You do not like anyone?

I'm sorry. In any case, I am like that, occasionally. And then something quite dumb happens. I do feel responsible. Isn't that funny?

Well, this is the way I am thinking. And there is no difference for me whether I have met someone in nature or on Facebook. Friend is friend, and " only Facebook" -  at least I believe so - does not diminish responsibility.

I know what you think. Sentimental, old fool.
And I confess that you're right. This is me.

I laughed about myself. A friend indicated by means of a Facebook post that he was not doing well. And me? Instead of continuing to scroll, to hold on a minute - it could get better by itself, couldn't it? -  I go ahead writing anxiously long posts in order to say, hello, here is someone who is concerned, who feels responsible for you. Stupid, isn't it?

Others thought so, too. The mentioned friend included. Everything wasn't that important at all.

And me?
I was laughing my head of. Amazing how stupid one can be, isn't it? It serves you quite right. Why did you intrude? You are far away from being an expert, and yet you interfere! How can you ?!

Yes. Really funny, in hindsight.
I'm still laughing.