Werbung


Facebook ist ja etwas Wunderbares. Es hilft einem sogar, Werbung in eigener Sache zu machen. Stellen Sie sich vor, daß Sie ein innovatives Produkt anzubieten hätten. Oder eine neue Variante eines bereits existierenden Produkts. Nicht wahr: wenn es keiner weiß, nützt es niemanden! 

Ja, ich mag die Fernsehwerbung auch nicht. Sie enttäuscht ja auch oft, wenn sie verspricht, daß dies Waschmittel besonders weiß wäscht, und daß, wenn man dies Deo aufträgt, man schlank, reich und prominent wird. 

Dennoch schafft Werbung Bekanntheit, und informiert, was es alles gibt. 

Ich habe mich also entschlossen, mal den einen oder anderen Text von mir zu bewerben. Nicht, weil ich denke, so was Schönes MUSS einfach an das Licht der Öffentlichkeit. Nein. Ich hoffe auf ein Feedback. Ich lerne ja noch. Und außerdem ... na gut, ich gebe es zu: Ich möchte auch etwas bekannter werden. 

Man klickt also auf ein paar Buttons und macht so den Text einem breiteren Publikum zugänglich. Dann folgt der Hinweis von Facebook, daß man den Beitrag überprüfe, und dann folgt bald die Mitteilung, daß der Text freigegeben sei. 

Das habe ich auch mit dem "Brief an meinen ( Paten- )Sohn" so gemacht. Und erhielt zunächst die Info, daß er gegen die Gemeinschaftstandards verstößt. Vulgäre Sprache.

Aha. Das macht mir Hoffnung. 'Feuchtgebiete' oder '50 Shades of Grey' sind ja auch sehr populär geworden, oder? Mit eigenem Tisch bei Thalia, und 'Spiegel'-Bestsellerliste, und so. Das muß man erstmal nachmachen! 

Ich habe den Text noch mal gelesen. Wissen Sie: Ich engagiere mich gern mal verbal für die Flüchtlinge, und ernte dann Drohungen, Hassmails politischen oder sexuellen Inhalts in fragwürdiger Orthografie und Grammatik, die ich dann melde. Und regelmäßig bekomme ich zur Antwort, daß man mir für den Hinweis dankbar sei, man könne jedoch keinen Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards feststellen. 

Und mein unschuldiger, trauriger, liebevoller Text verstößt? Ja sag mal: Ticken die noch richtig?

Irgendjemand hat es dann gemerkt, und den Text dann doch freigegeben. 

Na, dann kann es ja losgehen, mit der Werbung! 


"Ex-Facebook-Freunde" oder "Bitte keine Missionare!"

Gerade wünschte ich, das ich es nicht gesehen hätte. Aber ich scrolle mich durch mein Facebook, bekomme Nachrichten, erfahre etwas über meine Freunde, und nutze die Gelegenheit, Standpunkte zu vertreten. Ein syrischer Facebook-Freund begann kürzlich, sehr viel religiöse Inhalte zu posten. Dann folgten zwei Links zur Seite von Pierre Vogel. 

Beunruhigend. Den ersten Link habe ich einfach mal übersehen. Kann ja mal passieren, daß man eine Aussage gut oder interessant oder witzig findet, auch wenn sie von der falschen Person stammt. Vielleicht hat man auch den falschen Emoji erwischt? Und ich bin ja auch nicht immer verfassungs- oder sonstwie konform. 

Beim zweiten 'Like' für einen Vogel-Link hab ich nachgefragt, ob er Fan sei. 

"Ja, natürlich."

Liebe Freunde, man kann mit fast jedem über fast alles diskutieren. Das mache ich gern, aber es gibt für mich Ausschlußkriterien. Ich reagiere empfindlich auf antisemitische Äußerungen. Ich finde schwulenfeindliche Haltungen anachronistisch und dumm. Menschenverachtende, rassistische, rechtsradikale politische Einstellungen dulde ich nicht, genauso wenig wie das Vertreten religiöser Einstellungen, die sich anderen Religionen gegenüber für überlegen halten.
Ich verachte Gewalttätigkeit, Borniertheit, Lieblosigkeit, Fanatismus.  

Wie gesagt: Man kann mit FAST jedem über FAST alles diskutieren. Aber diejenigen, die antisemitische, homophobe, rassistische, rechtsradikale oder radikal-religiöse Haltungen vertreten, können unmöglich zu meinen Freunden gehören. Ich akzeptiere selbstverständlich Meinungen, die sich von meiner Eigenen unterscheiden. Im Zweifelsfall trete ich sogar in einen Dialog ein. Wenn's etwas Diskutables gibt. Aber Freundschaft? Nein danke. 

Liebe Freunde! Sollte es so sein, daß Ihr an die jüdische Weltverschwörung glaubt, Lesben, Schwule und Transgender-Menschen widernatürlich findet, wenn ihr überzeugt seid, das eine bestimmte Hautfarbe, das Geschlecht oder Volkszugehörigkeit den "Wert" eines Menschen bestimmen, schließlich und ganz besonders, daß Eure Religion besser ist als die anderen - dann seid ihr im Kreis meiner Freunde schlecht aufgehoben. 

Habt Ihr in meinem Statement etwas entdeckt, was Euch stört? Ich möchte Euch dann dringend bitten, mich zu entfreunden. Wir passen einfach nicht zusammen. Zumindest nicht als Freunde.  Früher oder später kommt der Konflikt hoch, wie gerade eben. 

Ich arbeite daran, freundliche, fröhliche, positive, tolerante Menschen hier zu versammeln. Menschen mit humanistischer, offener Weltanschauung, die Vorbehalte und Vorurteile abzubauen versuchen. Die bestimmte, inhärente Eigenschaften eines Menschen keinen Einwand gegen ihn sein lassen. Alle anderen, die diese Werte aus weltanschaulichen, politischen, religiösen Gründen nicht teilen können, bitte ich, mein Facebook zu verlassen, so lange unsere Nerven noch gut sind. Jeder Jeck ist anders, sagen die Kölner. Leben und leben lassen. 

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I just wish I had not seen it. But I scroll through my Facebook in order to get news, learn about my friends, and take the opportunity to take a stand. A Syrian Facebook friend recently started posting a lot of religious content, followed by two links to the page of Pierre Vogel.

Irritating. The first link I just overlooked. It can happen sometimes that a statement is good or interesting or funny, even if it is uttered by the wrong person. Maybe you hit the wrong Emoji? And I am not always mainstreamy, too.

Now, because of a second 'Like' for Pierre Vogel, I asked if he was a fan.

"Yes of course."

Dear friends, you can discuss almost everything with almost everyone. I like to do that, but there are exclusion criteria for me. I am sensitive to anti-Semitic utterances. I find anti-gay attitudes anachronistic and stupid. I do not tolerate racist, right-radical political attitudes, or the representation of religious attitudes that shows one religion as superior to others.
I despise violence, lassitude, lack of love, fanaticism.

As I said: You can talk with ALMOST everyone about ALMOST everything. But those who represent anti-Semitic, homophobic, racist, right-radical or radical-religious attitudes can not possibly belong to my friends. I naturally accept opinions that differ from my own. In case of doubt, I even hop into a dialogue. If there is something discutable. But friendship? No thanks.

Dear friends! If it is true that you believe in the Jewish world-conspiracy, if you find lesbians, gays, and transgender people pervert and unnatural, if you are convinced that a particular skin color, sex or nationality determine the "value" of man, that your religion is better than the others - then you don't fit in the circle of my friends.

Did you discover something in my statement that bothered you? I would then urge you to leave me. We just do not fit together. At least not as friends. Sooner or later, the conflict will come up, just like the one right now.

I am working to gather friendly, cheerful, positive, tolerant people here. People with a humanist, open-minded attitude, who try to reduce bigotry and prejudices. Who know that specific, inherent qualities of a human being can not be held against him. All those who can not share these values ​​for ideological, political, religious reasons, I ask to leave my Facebook as long as our nerves are still good. Every 'Jeck' ( fool - as a description for an average human being ) is different, people from Cologne say. Live and let live.


Die Fortsetzung ... 

... der kleinen Episode ist fast schon komisch. Eigentlich ist alles meine Schuld. Ich solle mich gefälligst über den Islam informieren und den Koran lesen, bevor ich da irgendwas bzw. irgendjemanden ablehne.

Als Kind mochte ich keine Buttermilch. Mama bereitete alle 6 Wochen auf Wunsch meines Vaters ein Dessert aus dem Zeug zu, mit Ananas, grauenvoll.
Ich hab's gehaßt und wurde gezwungen. Mama pflegte zu sagen, "nun sei doch nicht so stur! Probiere es doch erstmal aus! Du kannst doch nicht etwas, was Du nicht kennst, von vornherein ablehnen!"

Diese Situation fiel mir jetzt wieder ein. Nur daß ich inzwischen nicht mehr 6, sondern zehnmal so alt bin. 

Entschuldigung ... nein??? Ich möchte nichts lesen. Ich möchte mich auch nicht informieren. Ich schwebe nicht im Freien Raum. Mein Leben ist nicht hoffnungsentleert und öde. Die Frage nach dem Sinn des Daseins habe ich mir zuletzt mit 18 gestellt, ich glaube, nachdem mir von Calamari fritti schlecht geworden war. 

Es gibt bei mir kein weltanschauliches Vakuum, das es zu füllen gilt. Und das Thema Religion interessiert mich ungefähr so brennend wie das Thema
"Implementierung einer Datenbank zur Bewertung neuer Flugzeugfahrwerkstechnologien". 

Ich habe dem betreffenden Ex-Facebook-Freund die Frage gestellt, ob er eher auf Frauen oder Männer als Sexualpartner steht. Selbstverständlich: Frauen! Na, also wirklich! 

Und was entgegnete ich? "Nun sei doch nicht so stur! Probiere es doch erstmal aus! Du kannst doch nicht etwas, was Du nicht kennst, von vornherein ablehnen! Informiere Dich!" 

Ich glaube, jetzt hat er meinen Standpunkt begriffen. 

Ach ja: Buttermilch und Ananas mag ich immer noch nicht.

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The continuation ...

...of  the little episode is almost funny. Actually, all is my fault. I should inform myself about Islam and read the Koran before I reject something or anyone, so I was told.

As a child, I did not like buttermilk. Mum prepared a dessert from this stuff every six weeks at my father's request, with pineapple, horrible.
I hated it and was forced to eat it. Mama used to say, "Now do not be so stubborn, try it out first, you can not refuse something you do not know from the beginning!"

This situation occurred to me again. Only that I am no longer six, but ten times as old.

Sorry, but I do not want to read anything. I do not want to inform myself. I do not float in the open space. My life is not hopeless and desolate. I finally asked myself the question of the meaning of existence at 18, I believe, after Calamari fritti had become bad to me.

There is no ideological vacuum for me to fill. And the topic of religion interests me about as much as the subject
"Implementation of a database for the assessment of new aircraft suspension technologies".

I asked the concerned former Facebook friend whether he was more likely to prefer women or men as sexual partners. Of course: women! Well, really!

And what did I say? "Well, do not be so stubborn, try it out first, you can not refuse something you do not know from the start!"

I believe he has now reached my point of view.

Oh yes: buttermilk and pineapple I still do not like.


Warum muß ich mich bloß immer einmischen?! Dabei habe ich es vorausgeahnt. Nein wirklich: Im Grunde meiner Seele bin ich ein herzensguter, freundlicher Mensch. Es gibt aber einiges, mit dem man mich verärgern kann. Dazu gehört, sich über Dinge hinwegzusetzen, die mir wichtig sind. Und dies noch mit einem überlegenen Lächeln, als sei ich ein kleiner, dummer Junge, der eben keine Ahnung hat. Und wenn ich dann wütend werde, höre ich regelmäßig Sätze wie "Nun stell Dich nicht so an. Ich hab's doch nur gut gemeint." 
Aha.
Ich finde es respektlos. 


Freundinnen

Ihr Mann versteht sie nicht, sagt sie. Ein unsensibler, grober Klotz, den Sie seit 33 Jahren liebt, mit dieser hingebungsvollen, aufopfernden, selbstlosen Liebe, die er nicht versteht, nicht anerkennt. Zu der eben nur Frauen fähig sind. Männer! So sind sie eben. 

Tränen füllen ihre Augen, und sie bekommt diese roten Flecken, besonders um die Nase herum. Naja. 

Ich bin angefaßt. Das wäret ihr auch, tut nicht so. Da sitzt ein Mensch, ein liebe Freundin, vor Euch und schluchzt herzzerreißend über die Seelenkälte, das Nichtverstehen, die Grausamkeit in der eigenen Beziehung. Wie reagiere ich? 

"Komm, Du mußt mal raus. Wir fahren nach Hamburg, da hab ich noch eine Wohnung. Wir schauen uns die Elphi an, die Innenstadt, lecker Labskaus ... dann erscheint die Welt wieder in rosigem Licht."

Dankbare Blicke aus verschleierten Augen treffen mich. Ja, ich bin ein großherziger, wunderbarer Mensch. Ein guter Freund. Sanftmütig, verständnisvoll. Ich betrachte mich in einem Spiegel. Ist das da ein Heiligenschein über meinem Haupt? Ach so, nur die Flur-Lampe. Na schön. 

Am anderen Morgen geht die Fahrt los. 850 Kilometer. 

"Sag mal, hast Du abgenommen?"
"Ja, ich esse jetzt low carb und habe schon 20 kg ..."
"Was, low carb? Da ist doch der Jo-Jo-Effekt hinterher so schlimm! Das bringt überhaupt nichts! Also ich würde an Deiner Stelle ... ( es folgt eine Aufzählung einiger Diäten, die vermutlich auch um einen Jo-Jo-Effekt nicht herumkommen, zumindest sagt mir das meine Erfahrung ... es gibt ja keine, die ich noch nicht ausprobiert hätte ... )

"Also, ich würde hier abfahren und den Weg über Würzburg nehmen!"
"Da ist um diese Zeit der Stau vom Berufsverkehr, das spart zwar Kilometer, aber kostet Zeit. Ich denke, wir bleiben lieber auf der Autobahn!"
"Nein, Würzburg ist besser, man muß nur ... ( es folgen einige Tipps, den innerstädtischen Stau zu umfahren. Das Ganze kostet Benzin, Zeit und Nerven. Macht nichts. )

"Wann machst Du Pause?"
"Jetzt dann bald ..." 
"Das ist gut, ich habe auch Hunger. Wo halten wir?"
"Hier vielleicht? Autohof ... Sämtliche Fastfood-Ketten, und ein Restaurant ..." 
"Fastfood? FASTFOOD? Gibt es denn kein Steakhouse? Das ist alles so ungesund!"
"Immerhin, die haben auch Nordsee!"
"Davon werde ich nicht satt ..."
( Wir entschließen uns dann doch für McDonalds. Ich wähle einen schwarzen Kaffee - keine Kohlenhydrate! - meine Freundin einen Big Mac, einen Mac Rib, einmal Chicken McNuggets und eine große Pommes, mit einer Cola ... )
"Schwarzer Kaffee? Na, ich weiß nicht ... das ist nicht gut für Dein Herz! Achtest Du denn gar nicht auf Deine Gesundheit?"

Wie das so ist, nach opulenten Mahlzeiten: Man wird schläfrig. Neben mir ertönt nach kurzer Zeit ein mehr oder weniger sanftes Schnarchen, das durch gelegentliche, interessante Zwischenfragen unterbrochen wird.

"Sind wir schon in Göttingen?"
"Nein, das ist Kassel."

"Sind wir schon in Hannover?"
"Nein, das ist Göttingen..."

"Sind wir schon in Hamburg?"
"Nein, erst in Hannover."

"So, das wäre dann Hamburg!"
Sie wacht nicht auf. Das Schnarchen wird nur etwas lauter. Erst beim Erreichen meiner bescheidenen Wohnung kehren die Lebensgeister in sie zurück. Mittlerweile ist es 20:05 Uhr, es ist ziemlich kalt, und stockdunkel. 

"Fahren wir noch fort? Wo ist denn jetzt was los? Disko? Ich hätte so Lust, mal wieder tanzen zu gehen ..."
"Weißt Du, ich bin etwas müde. Die Fahrt war doch etwas anstrengend!"
"Na so ein Quatsch! Anstrengend? Ich bin hellwach! Komm, sei doch kein Spielverderber! Laß uns was unternehmen! In Hamburg sind die Nächte lang, heißt es doch!" ( Ich schlage vor, sie mit einem Haustürschlüssel auszustatten, und Geld für die Taxe. Nein, das möchte sie dann doch nicht. Wir können uns ja auch unterhalten, nicht wahr. )

"Hallo! HALLO! Sag mal, Du hörst mir ja überhaupt nicht zu! Was ist den los mit Dir?"
Huch? Da sind mir doch tatsächlich die Augen zugefallen. Trotz Kaffee. Woran liegt's? An meinem hohen Alter? Meiner schwächlichen Konstitution? Beschämt ziehe ich mich zurück. Am nächsten Morgen will ich etwas früher aufstehen, um der Freundin frische Rundstücke zu organisieren, ein paar Eier, und etwas Aufschnitt. Butter, Zitrone und Marmelade sind noch da. 

"Wo steht denn der Wein? Roter, am liebsten!" 
"Nicht in meiner Wohnung. Ich trinke nie Alkohol."
"Was? Das ist nicht Dein Ernst! Wo gerade Rotwein so gesund ist!"
"Das mag sein. Aber Wasser und Sauerkraut sind auch gesund."

Am nächsten Morgen koche ich die Eier, dekoriere das Laugenbrötchen, das Croissant, die Rundstücke und das Baguettebrötchen im Brotkorb. Kaffee und Tee. Ich entzünde noch die Kerzen, da erscheint sie, gähnend. 

"Wurst mag ich nicht. Gab's keine Körnerbrötchen?"
"Ähhh, nnn.nein. Was möchtest Du tun?"
Sie strahlt.
"Eine Hafenrundfahrt!"
Ich erschauere.
"Ist das nicht etwas kalt in dieser Jahreszeit? Außerdem habe ich meinen grippalen Infekt gerade hinter mir ..."
"HAFENRUNDFAHRT!"
"Na gut, ich fahr Dich zu den Landungsbrücken. Aber ich warte da irgendwo im Café."
"Hab ich Dir was getan? Hast Du schlechte Laune? Was ist bloß los mit Dir?"

Ich weiß auch nicht. Klar ist, das es an mir liegt. Vielleicht an meiner Erziehung. Oder an mangelnder Empathie. Aber Männer sind eben Schweine. Monster. Triebgesteuert. 

Ich sitze in einem winzigen 'Balzac', in dem ich mir einen von 5 Sitzplätzen erkämpfe. Der Himmel ist stahlblau, die Fenster der Elbphilharmonie funkeln und glänzen wie Perlmutt, genau wie das Wasser. Da das Zelt vom 'König der Löwen'. Hab ich zweimal gesehen. Um mich herum nette Leute, mit denen man ungezwungen in Konversation gerät. Die 90 Minuten sind wunderschön. Hammonia, oh wie herrlich stehst Du da! 

Dann kommt sie wieder.
"Jetzt hab ich Hunger."
Na klar. Ich mache einige Vorschläge, die aber zurückgewiesen werden. Dann entdecken wir das 'Tunicis' in der Fuhlsbüttler Straße. Netter, entspannter Laden, sehr leckeres kroatisches Essen, umwerfend freundliches Personal. 
Das Essen läuft ohne Komplikationen. Immerhin, hier gibt es wenigstens auch Wein. Zum Nachtisch bestellt sie Erdbeer- und Schokoladeneis. Als der netter Junge mit dem Schüsselchen kommt, ruft sie laut,
"Pfui, Erdbeereis! Das kann ich nicht ausstehen! Ich wollte Vanille!"
Der nette Junge transportiert das Schüsselchen ab und schleppt ein neues herbei.
"Ohne Sahne ... naja, macht ja nichts!" 
Offenbar ist sie nach dem Wein milde gestimmt.
Ich verabschiede mich herzlich und mit Handschlag von dem freundlichen jungen Mann. 
"Ihre Freundin?", flüstert er mir zu.
"Nö, bloß eine Bekannte", entschuldige ich mich. 

Zu Hause schalte ich den Geschirrspüler aus. 

"Na, dann wollen wir uns mal nützlich machen und dies Wunderwerk der Technik ausräumen!"
"Das macht keinen Sinn. Morgen stelle ich das Frühstücksgeschirr direkt aus der Maschine auf den Tisch."
"Aber, es ist doch schöner, wenn Ordnung herrscht, oder?"
"Es HERRSCHT Ordnung. Alles steht in der Maschine, die Du jetzt bitte wieder schließt. Laß es einfach sein."
"Na? Hat da einer sein Leben nicht im Griff? Das machen wir ganz schnell!"

Bevor ich meiner Wut Ausdruck verleihe, ziehe ich mich zum Schlafengehen zurück.
"Also, bei MIR zu Hause sagt man wenigstens 'Gute Nacht'!", tönt es hinter mir her.

Am nächsten Morgen frühstücken wir - mit Körnerbrötchen. Die Kerzen lasse ich weg. In der Küche steht überall Geschirr herum, und es dauert etwas, bis ich alles, was ich benötige, wiedergefunden habe. 
"Du hättest ruhig noch so ein Croissant mitbringen können, das war ja ganz lecker. Wieso bist Du so komisch? Hab ich Dich geärgert?"

Ich nutze diese Gelegenheit, meinem Herzen und meiner Wut Luft zu machen. 
Und dann fahren wir schweigend zurück. Also, ich schweige. Sie schnarcht. 

Sie erwacht erst, als wir vor ihrer Haustür stehen. Alles ist dunkel, ihr Gatte trifft sich heute mit Freunden. Wie gut ich ihn verstehen kann! Sie durchforstet ihre Handtasche nach dem Haustürschlüssel. 
"Also ... hier muß doch ... aber ... ich versteh das nicht! Ich weiß genau, das ich ... "

Oh mein Gott ...

"Es ist mir so peinlich, aber ... ich glaub, ich habe vergessen, meinen Schlüssel mitzunehmen! Und es dauert noch etwas, bis mein Mann heimkommt! Ich würde ja hier warten, aber ... es ist so kalt! Kann ich nicht mit zu Dir ... "

Ja, na klar. That's what friends are for. 

( Gerade kam er, und holte sie ab. Über ihre Schulter hinweg traf mich ein verzweifelter Blick. Ich verstehe Dich, Bruder. Das nächste Mal fahren WIR beiden! )



Man erlebt immer wieder Überraschungen. Situationen, die einen in tiefe Schwermut versetzen. Die Frage lautet: Werde ich alt? Zu alt, um mit den Entwicklungen der Moderne mitzuhalten? Egal. Hauptsache, es gibt ein Display! 



Was wird aus Leyla? 

Mein allererstes Handy? Das war von Motorola. So ein aufklappbares Brikett mit ausziehbarer Antenne. Dann kam irgendwann Samsung. Ein dolles Ding. Mit dem konnte man sogar telefonieren. Auch fotografieren, aber das tat man besser nicht, denn ca. 3-4 Aufnahmen reichten aus, um den Akku völlig zu entleeren. Das Handbuch hatte ein Volumen - irgendwo zwischen Band 3 der Encyclopedia Britannica und "Vom Winde verweht". Ich weiß noch, wie verzweifelt ich versuchte, ein 'Telefonbuch' anzulegen. Gut, das ich fast alle Nummern noch auswendig draufhatte ... im Gegensatz zu heute.

Dann kam das iPhone. Statt dem Wälzer lag im Schächtelchen ein Handzettel, in dem sinngemäß stand, hör auf zu jammern, lad es einfach auf - den Rest sagt Dir das Gerät. Und in der Tat: So war es tatsächlich. 

Die Zeit schreitet unaufhaltsam fort. Nicht nur bei Mobiltelefonen. 

Ich entdecke neben der Autobahn einen elegant wirkenden Supermarkt, und da ich ein paar Kleinigkeiten benötige, fahre ich ab, bewaffne mich mit einem Einkaufswagen und betrete die heiligen Hallen. 

Riesig. Das Ding ist riesig! Man kommt sich fast verloren vor. Aber, alles ist logisch angeordnet, und es gibt wirklich alles, und von allem reichlich und von verschiedenen Herstellern. Wie immer falle ich auf die ausgeklügelten Verkaufsstrategien rein. Die Tomaten wirken gar nicht mehr so rot wie im bedampften, mit Speziallicht angestrahlten Regal, den Quark und den Schinken hätte es auch in billiger gegeben, und was bitte, haben die Kekse da zu suchen? Und die Walnüsse? Und die Artischockenherzen? Immerhin, Sie haben den WC-Reiniger von Frosch mit Lavendelgeschmack. Das ist mal eine Abwechslung zur üblichen Zitrone. 

Na gut. Wo sind die Kassen? Ich nähere mich bedächtig einem Terminal, an dem ein schlaksiger, aparter junger Mann mit unglaublicher Frisur und iranischem Namen auf dem Schildchen am Kittel lehnt. Er lächelt höflich, fragt, ob er die Ware im Wägelchen lassen darf, und beginnt dann, andächtig die Strichcodes einzuscannen. Bei dieser Gelegenheit entdecke ich, das ich offenbar noch Mandarinen, lose und Schlagsahne gekauft habe. 

Ich zücke einen Geldschein. Er lächelt erneut höflich - und etwas erstaunt. Zahlen bitte am Automaten. Da vorn. "Leyla, kannst Du dem Herrn bitte mal helfen?"

Der Herr, das bin ich. Leyla schiebt mich stumm vor das zweite Terminal. Auf dem kleinen Bildschirm erkenne ich der Schriftzug "Daten werden verarbeitet". Das dauert einen Moment. Selbst Leyla schaut interessiert auf den Monitor. "Visa, Amex, MasterCard, EC-Karte, Lastschrift?"
"Geht auch bar?"
Statt einer Antwort tippt Leyla auf das Symbol mit dem Geldschein und den Münzen. Sofort sperrt, mit leisem Surren, das Ding seinen gefräßigen Schlund auf, in dem ein grünes Licht scheint. "Das Geld dort hineinlegen!" Ich gehorche ihr. Moloch schließt das Maul. Weg isser, der Schein. Bitte warten, bis Bezahlvorgang abgeschlossen, lese ich. Ich warte. 

Plötzlich sagt der Apparat, ich solle das Wechselgeld entnehmen ... welches Wechselgeld? Leyla schaut mich strafend an. "Kommt gleich!" Und dieses wird belohnt. In ein kleines Schälchen scheidet die Stahlkonstruktion die Überreste des Vorgangs aus, die ich dann an mich nehme. 
"Sie wissen schon, dass die Dinger hier dazu da sind, Sie zu ersetzen, oder?"

Leyla, die Wortkarge, schaut mich mit leerem Blick an. Kaum, dass sie sich von dem Automaten unterscheidet. Vermutlich hat sie sich längst in ihr Schicksal ergeben. Das Unabänderliche akzeptiert. Wozu braucht man überhaupt die nette Kassiererin, mit der man mal ein freundliches Wort wechselt, bei der man sich immer anstellt, weil sie so nett lächelt, wenn sie mich als Stammkunden identifiziert. Lächeln kostet bloß Zeit. Reden noch mehr. Nicht effektiv genug. 

Tja, da sind wir angekommen. Die Telefone erklären uns ihre Programmierung, die Supermarktkassen ziehen das Geld ein. Der Mensch wird allmählich überflüssig. Könnte nicht mein Kühlschrank mit meinem Handy und dies direkt mit dem Supermarkt ... ? 

Aber was wird dann aus Leyla? 




Mon histoire personnelle avec la France - écrit pour Nath Félix Bonnay

Meine persönliche Geschichte kennen Sie von meiner Homepage, dies hier ist meine individuelle Geschichte mit Frankreich.

Mit 13 Jahren betrete ich zum ersten Mal französischen Boden. Sehr aufregend! Als Norddeutscher bist Du ja eher England-affin. In der Schule versucht Madame Monique Raap, eine kleine, dicke, cordiale Französin, den Schülern ihre Sprache zu vermitteln. Ich habe darauf keine Lust und wähle stattdessen Latein ...
Und nun: Die Klassenfahrt ins Elsaß! Ich habe Hunger und betrete todesmutig eine Bäckerei. Es duftet köstlich, und es sieht auch so aus. Die Frau hinter der Theke sagt etwas zu mir, woraus ich schließe, das ich jetzt dran bin. "Das Stück Kuchen, bitte!", sage ich. Ich sage es auf Deutsch. Die Frau hinter der Theke schaut mich mit einem Blick voll Haß und Verachtung an. So bin ich bisher noch nie angeblickt worden. Sie wendet sich ab und wendet sich der Kundin neben mir zu. Ich bin nicht erwünscht.

Meinen 14 Geburtstag verbringe ich in Locarno, im Tessin. Auf meinem Geschenketisch liegt eine Schallplatte. Leopold Biberti und Valeri Steinmann sprechen "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry. Es ist eine wundervolle Geschichte, die mich mein Leben lang nie wieder losgelassen hat. Ich habe die Platte so oft gehört, das ich lange Passagen auswendig kann - bis heute.

Mit 15 fahre ich für ein Jahr zum Schüleraustausch nach England. Ich wohne bei den Butterfields ( Pauline und David, mit den Kindern Neil und Alison ) in Bishops Stortford. Kurze Zeit später zieht noch ein Franzose ein. Hugues Bonnet, ist sein Name. Ein blasser, rothaariger, schlecht gelaunter Junge aus Südfrankreich. Er findet alles toqué. 

Mit 17 fahren wir zu Mamas Geburtstag ein langes Wochenende nach Paris. Mama hat die Reise leider vorbereitet, mit einem Polyglott-Reiseführer, und zerrt uns durch sämtliche Sehenswürdigkeiten inclusive Louvre, Lido und Versailles. Grauenvoll. Mir gefällt Paris trotzdem. In einem Restaurant fragt die Serviererin nach meinem Wunsch. Ich habe ein paar Worte Französisch gelernt und bitte um eine Pizza und eine Limonade ... die junge Frau kann sich ein Lachen kaum verbeißen. Dabei bin ich mir ganz sicher, alles richtig gesagt zu haben. Aber eben nicht gut genug.

Ich beschäftige mich mit der französisch-deutschen Geschichte. Die "Erbfeindschaft". Die Weltkriege. Ich kann verstehen, dass die Franzosen uns Deutschen nicht um den Hals fallen. Schade. Im Bücherregal zu Hause liegen drei Bildbände. 'Bretagne', 'Loire-Schlösser', 'Provence' ( Mama liebt die Bücher von Marcel Pagnol ). Ich sehe historische Aufnahmen von General de Gaulle und Konrad Adenauer. De Gaulle in Köln! Hält eine Rede! Auf Deutsch! Wann immer ich diese Film-Dokumente sehe, kommen mir die Tränen. Können wir doch Freunde sein? 

Zum Studium gehe ich nach Berlin. Mein Konto richte ich bei der Commerzbank am Kurfürstendamm  Ecke Uhlandstraße ein - im Maison de France. Im Sommer gibt es immer zwei Riesenfeste, das Deutsch-Amerikanische, und das Deutsch-Französiche Volksfest. Die Amerikaner sind entspannter, die Franzosen deutlich reservierter. 

Mit dem Bus fahre ich von Berlin nach Paris. Es sind die 1985er Jahre. Die Pariser lachen mich noch immer aus, wenn ich versuche, französisch zu sprechen. Ich rede lieber Englisch. Was mir noch in Erinnerung ist? Der Stau auf der Périphérique, der Invalidendom mit dem Sarkophag Napoleons, und der Friedhof Père Lachaise, den ich liebe. 

In Rahmen der Facharztausbildung in Berlin wechsele ich 1988 vom Franziskus-Krankenhaus in die Universitätsklinik Berlin-Steglitz. Dort arbeitet mit 11 anderen, großartigen Kollegen Dr. Jean-Claude Pecqueux, vom 1. Oberarzt, Professor Fiedler, immer 'Peköx' genannt. Ein freundlicher, unauffälliger Mensch, der fleißig und bescheiden seine Arbeit macht und nach der Facharztprüfung nach Frankreich zurückkehrt. 

Mein dritter Besuch in der französischen Hauptstadt findet 2002 statt. Ich sitze bei Häagen-Dazs an den Champs-Élysées. Ein junger Ober kommt. Ich bestelle auf englisch. Er sagt was auf französisch. Ich versuche es auch. Er lacht. Aber freundlich. Nein, nicht herablassend. Lustig! Fröhlich! Endlich! Europa wirkt! Ich fordere mein Glück heraus, und fahre noch einmal ins Elsaß. Dahin, wo alles begann. Straßburg. Ich gehe in ein Eiscafé. Erfahrungsgemäß sind Franzosen in Eiscafés am nettesten. Ich bestelle - mit meinen 7 Brocken Französisch. Der netter Kerl hinterm Tresen grinst. In nahezu perfektem Deutsch lacht er mich an: "Willst Du nicht lieber auf deutsch bestellen?" Ja, ich will. Es ist noch nicht viel los. Er setzt sich kurz zu mir, wir reden. Ich bin so glücklich, ich könnte die Welt umarmen. 

Das Internet/Facebook verbinden weiter. Mein Freund Zia, der eigentlich aus Pakistan kommt, aber seit 100 Jahren mit seiner Frau Huma in Lyon lebt, besucht mich 2016. Wir üben französische Vokabeln, dafür zeige ich ihm etwas von Deutschland. Er bringt mir französisches Marzipan mit, das Coussins de Lyon heißt. Köstlich. 

Wie sehr mein Herz blutet, wegen der Terroranschläge, brauche ich nicht zu erwähnen. Charlie Hebdo, Bataclan, Nizza, Rouen ... das fühlt sich so an, als ob meine französischen Schwestern und Brüder angegriffen und ermordet wurden. Und wie groß meine Angst davor ist, das Mme. Le Pen im Mai gewinnt und Europa zerbricht - und vielleicht die Beziehung zwischen Frankreich und Deutschland - kann ich nicht in Worte fassen. 

J'aime la France.


Wie wichtig ist es eigentlich, beliebt zu sein? Und warum ist man es - in bestimmten Kontexten - nicht? Ich meine, in der Krankenpflegeschule war ich beliebt, und zu meinen Studienfreunden habe ich heute noch eine gute Beziehung ( Ja, Susanne, und ja, Hassan, an Euch denke ich da ganz besonders ). Aber die Schulzeit? Sie ist zwar nur eine Zeile im Lebenslauf, aber gelegentlich greift diese Zeile nach Dir ... und Du freust Dich schon, oh, sie reicht mir die Hand! Dabei will sie Dir nur eine 'runterhauen ... 


Klassentreffen

Als die E-Mail mich erreichte, 2015, von Dierk, habe ich mich sogar gefreut. Es wäre immerhin unser 40jähriges Abitur-Jubiläum, stand da, und, weil wir uns so lange nicht gesehen hätten, wollte er vorschlagen, dass wir die Gelegenheit zu einem Klassentreffen am Vorabend der Feier vom Verein der Ehemaligen Schüler nutzten. Er sei inzwischen Lehrer an unserer Schule geworden, organisiere das und würde sich freuen, wenn ich zusagte. Treffpunkt: Die Cafeteria im Neubau. 
Ich buchte sofort ein Hotelzimmer, bei Sternhagen. Ich habe in Cuxhaven ja kein Zuhause mehr. 

Ich unterhielt keinen Kontakt zu meinen ehemaligen Klassenkameraden. Auf Facebook sprach Dorit mich mal an, die inzwischen in Seattle, Washington lebt ... aber die Frage, ob ich ich sei, blieb der einzige Hinweis auf intelligentes Leben, weswegen ich diesen Kontakt wieder löschte. Hilke war nach Heirat, Zwillingen und Wegzug nach Würzburg viel zu beschäftigt. Axel, den ich riesig gern hatte, besuchte das Predigerseminar seiner baptistischen Gemeinde, heiratete und war fruchtbar und mehrte sich über alle Maßen. Klaus war Tierarzt geworden. Er hatte als einziger manchmal angerufen, nur um mal 'Hallo' zu sagen. Dass Christian als Anästhesist und wie ich in Hamburg arbeitete, erfüllte mich mit Hoffnung. Er Narkose, ich urologische Operationen? Gut, oder? Offenbar hatte er kein Interesse. Ich habe ihm zweimal geschrieben, allerdings ohne eine Reaktion seinerseits. 

Wolfgang war sehr bald nach unserem Abitur schwer erkrankt und an seinem Lungenkrebs gestorben. Das hatte mich schwer getroffen. Hilke, er und ich hatten im Garten seiner Eltern gezeltet und uns mannigfaltigen Genüssen hingegeben, besonders dem Konsumieren von Toast Hawaii, Asti Spumante und, als Gipfel der Verruchtheit, einem Gesöff, das 'Picon' hieß und mit dem Slogan "erstmal entspannen, erstmal Picon" beworben wurde. Und, wie jedermann weiß: Wenn Schüler etwas dringend brauchen, dann ist es Entspannung, nicht wahr. 

Die anderen? Peter? Michael? Rainer? Hans-Henning? Alfred? Dieter? Der andere Dieter? Keine Ahnung. Schön, sie mal wiederzusehen. 

Ich bin also nach Cuxhaven gefahren und parkte auf den Lehrerparkplätzen, Samstag Abend, alles frei, des Amandus-Abendroth-Gymnasiums. Beim Betreten des Hauptgebäudes mit der kleinen Bronzestatue eines schreitenden Knaben warf mich der der Turnhalle entströmende Geruch direkt in meine Schulzeit zurück. Kinder, Kinder. Es roch immer noch nach Bohnerwachs, pubertierenden Jungs mit zweifelhafter Auffassung von Hygiene, Schweiß, Basketbällen und Matten fürs Bodenturnen. 

Über den unteren Korridor steuere ich den Neubau an. Moment mal ... bin ich hier richtig? Da hinten ... lauter ältere Herren! Was war das denn für eine Rentnergang? 
"Ach nee, Peik!" 
Die Stimme kam mir irgendwie bekannt vor, der Herr nicht. Oder doch ...? 
"Peter?" 

So verbrachte ich den Abend. Und auch das ähnelte meiner Schulzeit. Wie früher. Keiner sprach mit mir. Lediglich Klaus, der gerade ein bahnbrechendes Medikament mit der Firma Lohmann entwickelt hatte, zur Bekämpfung irgendeiner grässlichen Erkrankung bei Nutzvieh. Der einzige, der sich gefreut hätte, mich zu sehen, lag auf dem Friedhof Brockeswalde, und Hilke, die sich zumindest höflich-interessiert nach meinem Befinden erkundigt hätte, hatte den Weg aus Würzburg nicht geschafft. 

Ich habe mir das fröhliche, bunte Treiben einen Moment angesehen. Mich mal zu der einen oder anderen Gruppe gesellt. Ob es irgendjemandem auffiel, das ich anwesend war? 
Um es kurz zu machen: Ich weiß es nicht. 

Es fiel zumindest niemandem auf, dass ich ins Hotel zurückkehrte. Ein Zuhause habe ich ja nicht mehr, in Cuxhaven, nach dem Tod meiner Mutter, die, unweit von Wolfgang, auch in Brockeswalde ruht. Das Zeichen, dass die Zeit reif zum Aufbruch war, war für mich gegeben, als die anderen sich verabredeten, noch zu Café Schnapp zu gehen, um ein wenig weiterzufeiern. Mich hatte niemand gefragt. Aber das kannte ich ja schon. 

Ich muß ein A*loch gewesen sein. Vermutlich abgestempelt als Streber, obwohl ich in Mathe, Physik und Chemie nur mittelmäßige Leistungen ablieferte, und in Mathe sogar zur Nachhilfe mußte, immer donnerstags um 16 Uhr, zu Herrn Schön in die Strandstraße. Ich war gut in Latein und Griechisch, besonders in Deutsch. Ich ließ abschreiben. Ich schwänzte Religion und Sport so oft, wie es ging, schlich aus der Schule fort hinüber zu Café Schleyer, um mit Hilke und Wolfgang Marzipanringe und Kakao zu genießen, nach denen man kaum noch Appetit aufs Mittagessen hatte. Oder zu Karstadt, oben, in die Schallplattenabteilung, um die neuesten Singles zu kaufen, und noch Cassetten, die 90er - die 120er vermurksten sich immer - um abends mit dem Cassettenrecorder von Loewe Opta das Hörspiel vom NDR aufzunehmen. Oder zu Tchibo, um für 20 Pfennig eine Tasse Kaffee zu trinken. 

Beim Abitur wurde ich mit Auszeichnung von der mündlichen Prüfung befreit. Als einziger, 1975. Ob es das war? Ich hatte mich dann doch freiwillig gemeldet. Ich wollte von 2 plus auf 1, in Deutsch. Und fiel mit Glanz und Gloria durch. Danke, Herr Granzin. Wer rechnet auch mit Henrik Ibsen in der Deutschprüfung. Egal. 2 ist ja auch ganz schön. 

Was mag es gewesen sein? Ja, sicher, so beliebt wie Uli Seitz, oder Horst Herrmann ... das schaffte nicht jeder. Der eine fuhr ein Motorrad, der andere hatte revoluzzerlange Haare ... da konnte ich nicht mithalten! Aber war ich wirklich so ätzend? 

Das habe ich mich wieder gefragt, als vorgestern Frau Meyer vom 'Verein der Ehemaligen Schüler des AAG' anrief, wegen der Änderung meiner Bankverbindung. Man habe vergeblich versucht, die € 20.- Mitgliedsbeitrag einzuziehen ( von dieser Spende schafft die Schule Lehrmittel an, die das niedersächsische Kultusministerium nicht finanziert ). 

Ich habe die Mitgliedschaft gekündigt.
Nein. Ich habe dort kein Zuhause mehr. 







Warum können wir unsere Mitmenschen nicht ein kleines bißchen besser behandeln? Warum müssen wir unsere schlechte Laune an anderen auslassen? Was treibt uns, andere für unsere Unzulänglichkeiten büßen zu lassen? Ich will mich da gar nicht besser machen, als ich bin. Ich nörgele auch schon mal, aber - wie so oft - der Ton macht eben die Musik, nicht wahr ...


Der schnelle Kaffee zwischendurch



"Kennen Sie das?", fragte mich der nette Junge von McCafé, der mir eben einen schwarzen Kaffee aus dem Automaten ließ.

Ja, ich kenne das auch. Der dicke Mitvierziger mit der schüchternen Begleiterin und dem fettigen Pferdeschwanz, der sich eben am Counter lautstark über alles mögliche beschwert hatte, war ja unüberhörbar gewesen. Offenbar war seine Bestellung völlig falsch bearbeitet worden, kalt, zu wenig Salatblätter, zu viel Dressing, die Uniform der Servierkräfte eine Zumutung, die Stühle zu hart ... einfach alles ungenießbar. 

"Wir sind zu viert in der Küche, und wir haben ausgelost, wer ihm die Bestellung bringen muß!"

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, das das McDonalds am Amandus-Stubbe-Weg direkt neben der A 1 mein Lieblings-McDonalds ist, und die Leute, die dort arbeiten, sind entspannt, freundlich und zuvorkommend. Der Laden ist gepflegt und neu und sauber. 

Ja, ich kenne das auch. Wir sind unfreundlich. Menschen, die Dienstleister sind, im Service tätig, sind ja nix. Ach, Sie sind Dienstleister? Aha. Zu mehr haben Sie es eben nicht gebracht. Und bei den Dienstleistern sind Restaurant-Mitarbeiter, wenn sie nicht Sterneköche sind, ohnehin unter ' ... ferner liefen' gelistet. Deutschland hat sich eben aus dem Obrigkeitsstaat entwickelt. Wenn Du nicht Akademiker oder Beamter bist, bist Du nichts. 

Der Junge ist wahnsinnig lieb. Jemand, den man sofort sympathisch findet. Wie gut ich ihn verstehen kann. Das kenne ich ja auch noch, aus der Praxis. Je mehr Du Dich um jemanden bemühst, desto weniger erkennen sie das an. Die, die man als Routinefall abgehandelt hat, stehen anderentags mit Präsentkörben vor einem und bedanken sich. Aber können wir heraus, aus unserer Haut? Können und sollen wir uns deswegen ändern? Unsere Frustration nach außen tragen? Übellaunig und halbherzig unseren Job 'runterreißen? 

Nein, ich glaube, das geht nicht. Zumindest würden wir nicht glücklich, wenn wir gegen unsere innere Überzeugung, das, was uns antreibt, handelten. Das habe ich in meinen Berufsjahren gelernt, und ich glaube, der nette Junge bei McDonalds weiß das schon. Hoffentlich verändert er sich nicht. Und hoffentlich denken wir alle daran, dass auf der anderen Seite des Tresens ein Mensch steht, mit Sorgen, und Hoffnungen, und einer Geschichte, die wir zumindest respektieren sollen. 


Wien, Wien, nur Du allein ...? 

Und ich dachte immer, in Österreich sei alles anders. Immerhin: Da tanzt man Walzer. Bei uns eher Marsch. Offenbar habe ich vergessen, das die Donau so blau nicht nur durch Wien, sondern auch durch Bayern fließt ... 

Mein Freund Dominik BE hat sich erlaubt, die Veröffentlichung des "Spiegel" des Bundesinnenministeriums zu posten, und hat damit eine Welle der Empörung gegen den 'Gutmenschen Dominik' ausgelöst. Ich habe heute morgen versucht, ihm etwas Mut zu machen ... 


Ich kann, Dominik, natürlich nicht für österreichische, sondern nur für deutsche Verhältnisse sprechen. Ich bin mit vielen syrischen und afghanischen Flüchtlingen befreundet, habe mir bisher keine Hepatitis B geholt ( dafür bedarf es des Austauschs von Körperflüssigkeiten ), und bin auch nicht zum Islam konvertiert, dessen politische Seite ich ablehne - die religiöse Seite ist mir Wurscht. Ich sehe an der Diskussion hier, dass unsere "besorgten Bürger" den Weg in Euer wunderschönes Land geschafft haben. Ich kann sogar einen Teil dieser Sorgen nachvollziehen. Was ich nicht mag, ist die Unterstellung, dass der kriminelle Abschaum sich auf den Weg zu uns gemacht hat. Die Kriminalitätsstatistik erfaßt Delikte wie Schwarzfahren, Drogenkonsum und Sachbeschädigung genauso wie Diebstahl und Einbrüche. Das soll auch schon bei Deutschen und Österreichern vorgekommen sein. Man kann nicht erwarten, das nur Nonnen und Heilige sich auf den Weg gemacht haben, und dafür gibt es halt die Justiz. 

Meine Freunde sind kultivierte Menschen, die studieren, einer Ausbildung oder bereits einer Arbeit nachgehen. Ich versuche, sie zu integrieren, durch meine Freundschaft, mein Interesse, meine Zuwendung. Ich sage ihnen, Du bist hier willkommen. Wir können Dich gut gebrauchen. Lern unsere Sprache, und hilf mit, unsere Länder aufzubauen und zu gestalten. 

Es bringt nichts, sich zurückzulehnen und zu sagen, schaut mal, die da. Die integrieren sich nicht, pfui! Ich glaube, dass die Offenheit, die Bereitschaft, die Zuwendung bei jedem einzelnen von uns liegt. Ihr Österreicher haltet uns ja auch aus, wenn wir urlaubshalber in Salzburg, Wien oder ins Salzkammergut einfallen. Ich bin nicht furchtsam. Mumps, Masern und Windpocken hab ich als Kind gehabt, und TBC oder Läuse bekomme ich nicht, weil ich geimpft bin, und nicht 6000 km fliehen und in grauenhaften Lagern unter schrecklichen Bedingungen campieren mußte. 

Dass wir als Waffenlieferanten und Ausbeuter afrikanischer Ressourcen zu den Fluchtursachen beitragen, will ich gerade mal außen vor lassen. 

Weißt Du, Dominik, was mich so erschreckt? Auch bei den Kommentaren hier - die ja noch verhältnismäßig zivil sind, aber eben manchmal doch auf krone/Bild - Niveau ... Es ist der Hass, die zunehmende verbale Nazifizierung, unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit und des "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen". Diese Haltung produziert Kriege. Warum geht es uns "schlecht"? Weil die Ausländer kommen. Aha. Ging es uns vorher besser? Und wem von uns geht es denn jetzt deutlich schlechter? Wem haben die Behörden etwas weggenommen, wegen der Flüchtlinge? Ach! Die Ämter sollen gefälligst lieber den armen Österreichern/Deutschen helfen, die in Not sind? Habt ihr das denn auch schon getan? Geholfen? Dem Penner, der Euch um ein paar Groschen gebeten hat? Und wenn Ihr Angst vor der Islamisierung habt - was tragt ihr denn bei zur Re-Christianisierung? Geht ihr regelmäßig zum Gottesdienst/Hl. Messe? 

Es ist so bequem, ein Feindbild zu haben, nicht? Alles was schiefgeht, kann man den Arbeitern ( Wilhelm II. ), Juden ( Hitler ), Moslems/Mexikanern ( Trump ), Kurden ( Erdogan ), Migranten zuschieben. Googelt mal den Begriff "Dolchstosslegende". Es beruhigt kolossal, wenn man sagen kann, ich bin nicht schuld, der da wars! 

Ich kann Sorgen verstehen. Keine Entschuldigung gibt es allerdings dafür, satt und warm und trocken vorm Flatscreen zu sitzen und sich zu freuen, wenn Menschen im Mittelmeer ersaufen, oder sich in Griechenland zu Tode frieren, oder dass sie im Schlamm der Balkanroute steckenbleiben und krank werden, um dann scheinheilig zu rufen, igitt, die bringen ja Krankheiten zu uns. 

Ich bin auch ein besorgter Bürger. Mit Sorgen sehe ich, das Ausländer, die sich hier hervorragend integriert haben, Deutsch besser sprechen als mancher Hass-Kommentator, die einer Arbeit oder einer Ausbildung nachgehen, deren Kinder hier zur Schule gehen, bei Nacht und Nebel deportiert werden. Ich sehe mit Sorgen, das wir Diktatoren des Machterhalts wegen in den Enddarm klettern. Das wir an Verbrecher in Krisengebieten Waffen liefern, mit denen Ehebrecher, Homosexuelle, Atheisten und Dissidenten gefoltert und hingerichtet werden. Ich sehe mit Sorge die Ausbeutung Afrikas, denen wir seltene Erden stehlen, um unsere Mobiltelefone leistungsfähig zu machen, und das Trinkwasser, um unsere Profite zu erhöhen. 

Gute Heimreise, sagt Herr Gabl und postet auf seinem Profil Fotos von einem luxuriösen Ägypten-Urlaub mit blauen Meer und leckerem Essen. Ohne Angst vor Islam, Kriminalität und ansteckenden Erkrankungen. Offenbar leidet er stark unter den Einschränkungen in seinem Leben, die die Aufnahme von Flüchtlingen so mit sich bringt. Ja, die ganzen Opfer, die wir so bringen müssen. Was? Die da bekommen einen Kühlschrank vom Amt gestellt? Ich will auch! Kühlschrank! Neu! Jetzt! Sofort! 

Wir sind Menschen, Dominik. Die Flüchtlinge auch. Und die, die aus Hass kriminelle Taten gegen die Migranten begehen, sind nicht besser als kriminelle Migranten. Du machst alles richtig. Lass Dich nicht beirren.


Geschieht ihm ganz recht ... oder? Oder nicht? ( Die Affaire Großkreutz )


Nein, sein Fan bin ich wirklich nicht. Ich fand ihn immer etwas blöd. Sogar, als er noch bei "meinem" Verein, dem BVB, spielte. Und dann die Sache in Berlin! Haben Sie doch auch gehört, oder? Pinkelt der Typ in die Hotelhalle. Besoffen, na klar. Ekelhaft! 

Ja, das habe ich auch gedacht. Echt. Die Fußballer sind eine der überbezahltesten Berufsgruppen. Sie haben für junge Leute eine Vorbildfunktion, und für ihre Heimatregion sind sie Identifikationsträger. Aber sie bekommen eindeutig zu viel Geld. Ob sie was dafür leisten, oder nicht. 

Und dann benehmen sie sich so daneben. Er ist ja nicht der Erste. Fahren ohne Führerschein, mit überhöhter Geschwindigkeit, Prügeleien, Drogen, Alkoholexzesse. Und nun hat endlich mal ein Verein konsequent durchgegriffen, und den Deppen rausgeworfen ... 

... ja, das hab ich auch gedacht ... und dann fiel mir Robert Enke ein, über den sich alle lustig machten, und der von seinen Kollegen gedisst wurde, weil der immer so komisch war. Ob das einen Grund hat, warum Kevin Großkreutz auch immer so komisch ist? 

Ich habe die Pressekonferenz gesehen. Einen weinenden, stotternden Fußballprofi, der sich bedankt und entschuldigt ... den Faden verliert. "Die Fans", zischt eine Stimme. "Ich bedank mich auch bei den Fans", echot der Junge gehorsam. Er stammelt, fernab von Grammatik und deutscher Sprache. Und ich habe ihn gern. Zum ersten Mal in meinem Leben. Ich möchte da sein, ihn in die Arme nehmen, ihn trösten, und ihm versichern, dass es Menschen gibt, die zu ihm halten. Und dass es immer irgendwie weitergeht. Und dann würde ich ein Taschentuch nehmen, sein Gesicht abtrocknen, und ihn die Nase putzen lassen. 

Warum hat das da keiner getan? Warum hilft ihm niemand? Statt ihn rauszuschmeißen ... wäre es nicht sinnvoller, ihm einen Therapeuten zu vermitteln? Ihm einfach mal zuzuhören? Was hat er für Sorgen, für Probleme? Geht das nicht im Fußball? Menschlich sein? Bei Robert haben alle Krokodilstränen geweint, und eine Trauerfeier im Hannöverschen Stadion abgehalten. Dabei ging das vermutlich allen am Allerwertesten vorbei. 

Sonst wäre einer aufgestanden, und hätte den dummen, unreifen Jungen umarmt und ihn aus dem Gefühl des eigenen Versagens herausgeholt. 

Ich umarme Dich, Kevin. Du bist eben doof. Auf keinen Fall so klug wie alle anderen, die sich immer richtig verhalten, nie Fehler machen, einen untadeligen Lebenslauf haben. Aber Du bist ein Mensch, genau wie ich. Und ich lasse Dich nicht hängen. Ich halte zu Dir, und ich verteidige Dich. Fühl Dich umarmt und beschützt. Und sei nicht mehr traurig. Ich bin ja bei Dir. Und gemeinsam schaffen wir das.



Halbzeit! 


Was schmieren sich Fußballspieler in die Haare? Ich habe den Nachmittag mit der Bundesliga verbracht, gerade spielen Ingolstadt gegen Köln, und es geht gleich in die Halbzeitpause. Einige Nahaufnahmen diverser Herren auf dem Spielfeld verblüffen mich. Mein Gott, sehen die alle GUT aus! Dafür brauche ich morgens eine gute Dreiviertel Stunde! Die Haare scheinen nach jeder Schwalbe automatisch wieder in die Position zurückzufallen, die der Hairstylist ( ich trau mich gar nicht, Frisör zu sagen ) bestimmt hat. 

Die müssen doch schwitzen! Ich war heute morgen in der Metro, und, obwohl die immer ganz kühl ist, transpirierte ich, immerhin, ich mußte mich beeilen ... im Spiegel der Tür sah ich, dass ein paar Haare auf meiner schweißnassen Stirn klebten. 

Warum nicht bei den Jungs auf dem Spielfeld? 

Oder schwitzen die etwa nicht? Macht man das heute nicht mehr? Dieses proletarische Absondern von Aromen? Der männliche, testosteron-schwangere Haut Goût der Athleten? Unsere Sportler machen vermutlich nicht umsonst so viel Reklame für Rasierer, Tagescremes und Duschgel. Da schwitzt man nicht mehr unter der Achsel. Da wirkt man gepflegt und gestylt, und zwar in jeder Lebenslage - sogar beim Elfmeter. 

Jetzt gehen sie in die Pause. Die Werbung läuft. Ein Seifenstick für die 'Bodyrasur' wird angepriesen. Duschen, Body rasieren, Umziehen, und bestimmt die Haare stylen - also, die auf dem Kopf. Manchmal wollte ich, dass sie etwas mehr schwitzten, und mit verstrubbelten, nassen Frisuren um den Ball oder sogar einen Torschuss kämpfen würden. 

Aber ich bin halt von gestern. Entschuldigen Sie bitte. 
Trotzdem: Was schmieren die sich in die Haare? Wissen würde ich es schon gern .... 


Es ist immer das Gleiche. Ich werde eingeladen, und freue mich darüber. Dann ist der Tag der Einladung da, und ich habe überhaupt keine Lust, hinzugehen. Ich denke über Entschuldigungen nach, Gründe, in letzter Sekunde abzusagen. Dann gehe ich doch. Widerwillig, aber doch. Und dann ist es viel netter, als man erwartet hat ...

Afghanische Hochzeit

Was ist das nur immer mit dieser Heiraterei? Muss doch nicht sein, oder? Man kann doch auch so ... 
Na gut. In bestimmten Kulturen bzw. Religionen ist das eben so üblich. Bei Moslems, zum Beispiel. Und wenn ich an Fernsehformate wie ‚Traumhochzeit‘ denke, glaubt auch das christliche Abendland an derlei doch noch nicht ganz überkommene Traditionen. 

Ach, was soll's. Die wirklich zauberhafte Tochter ‚meiner‘ afghanischen Familie heiratet, ich werde mit einer Einladung ausgezeichnet. Wie ich es hasse, vor meinem Kleiderschrank zu stehen und zu probieren, in was ich gerade reinpasse, um mich dem Anlass entsprechend zu verkleiden! Und vor allem, diese unbequemen, aber sehr schicken Schuhe zu tragen, die ein namhafter, vermutlich sadistischer Designer entwarf, um nette ältere Herren zu foltern, mit der fadenscheinigen Begründung, es sähe gut aus! 

Ab 18 Uhr gehe es los. Jetzt ist es nach der ‚Tagesschau‘, die ist Pflichtprogramm, gerade in diesen Tagen. Es ist schon duster, als ich die Adresse erreiche. Das Gebäude ist mit violettem Licht angestrahlt und schmeckt hierdurch sehr nach ‚Fantasy‘. Die Erde bebt. Bumm-Bumm-Bumm-Bumm. Na, hat da einer seine Bässe nicht im Griff? Die Musik bringt bereits auf der Strasse meine Trommelfelle in Wallung. 

Die Nummernschilder der PKWs verraten mir: Heute Abend ist tous le monde hier. Ganz Deutschland, Dänemark, Holland, Belgien, Schweiz, Österreich. Auch die in den Staaten lebenden Onkel und Tanten sind angereist. Hier feiert man die Reunion, die gemeinsame Tradition, die Sprache, die Kultur einen die in die Diaspora Verstreuten.

Ich schreite durch ein Spalier wunderschöner, frischfrisierter Menschen mit erlesenen Roben und von eifrigen Visagisten gestylten Gesichtern. Ich habe derartige Kleider ja schon gesehen, in türkischen oder afghanischen Geschäften für Brautmoden, aber ich hatte ja keine Ahnung, dass man die auch tatsächlich trägt! Wie die Ballszene bei ‚Sissi‘. Also, dem ersten Teil. Nicht den beiden Traurigen, in denen Vilma Degischer Romy Schneider ... ja ich weiss. Ich soll nicht abschweifen ...

Der Ballsaal ist imposant. Geschickt platzierte Kandelaber, erhöht positionierter Blumenschmuck, festlich dekorierte Tische, passend zu den festlich dekorierten Menschen. Im Vordergrund eine kleine Bühne, mit Blumen garniert, und einer hellen Couch, die leider nicht für mich bestimmt ist. Eine Kamera auf einem Stativ, eine Kamera am Galgen, die schon reichlich von drei dünnen Jungs über die zur Musik eines fleissigen DJ Tanzenden geschwenkt wird, gefährlich dicht über die perfekten Frisuren hinweg. 

Der Grundton ist weiss. Und, wie nicht anders zu erwarten war, werden auch hier geschickt Lichtakzente gesetzt mit violettem Licht. 

Ich kenne ganz viele Leute. Einmal die Familie, die ich mit Stolz als ‚meine‘ Familie betrachte. „Du sitzt ganz vorne! Beste Plätze, direkt vor den Lautsprechern!“ Wie schön! Ich folge meinem afghanischen Freund zu meinem Platz, nicht ohne nach links und rechts zu grüßen, hoheitsvoll, mild lächelnd, und fühle mich ein wenig wie die englische Königin, die zur Parlamentseröffnung den Thron ansteuert, um ihre Rede zu halten. 

Unterwegs auf dem mit dramatischen, weissen Vorhängen garnierten Mittelpfad muss ich mehrfach anhalten, weil unentwegt Leute aufspringen, um mir auf die Schulter zu klopfen, die Hand zu schütteln, oder mich zu küssen. Kein Wunder. Also, nicht das mit dem Küssen. Nein, kein Wunder, dass es so viele sind. 30 Jahre als Urologe in Mümmelmannsberg! Da kennt man eben viele Leute! 
Ich sehe in strahlende Gesichter, die mich freundlich begrüssen, mir sagen, schön, dass Du hier bist, gleich gibt's was zu essen, setz Dich einfach, wir bringen Dir was!

Sehr verehrte Leserin, sehr geehrter Leser - ich muss Ihnen das Geständnis machen, dass der letzte Satz nur dichterischer Freiheit entstammt. Kein Wort habe ich verstanden. Nicht ein einziges Wort, obwohl mir vieles direkt ins Ohr gebrüllt wurde. Sogar in deutscher Sprache. Theoretisch hätten alle sagen können, „Sauhund, Verreckter! Depp, Elendiger! Schleich di!“ - ich hätte es eh nicht verstanden.

Zum orientalischen Stakkato der Musik bewegen sich wunderschöne Menschen jeden Alters auf der sehr geräumigen Tanzfläche. Elegante Handbewegungen und komplizierten Schrittfolgen, wobei die Herren es vorziehen, mit den anderen Herren, die Damen, mit den anderen Damen zu tanzen. Ja. Warum nicht? Die Stativkamera umrundet das frohe Treiben, die Galgenkamera kreist gefährlich tief über den wohlfrisierten Köpfen, einem Raubvogel gleich. Ah, da tanzt ja auch die Braut, in einer smaragdgrünen Robe, mit ihrem grau-gewandeten Zukünftigen. Scarlett O'Hara und Rhett Butler. Ein magischer Anblick. Junge Liebende, am Anfang ihres Wegs, der, wie wir Älteren ja alle wissen, schwierig, dornenvoll und traurig sein kann bei aller inbrünstigen, heiteren Hoffnung, rühren mich immer sehr. Jetzt bloss nicht losheulen. Dass überlassen wir mal schön der Brautmutter, die, in einer atemberaubenden, schwarzen Gewandung, Regie führt. 

Es folgt eine Ansage in Farsi, nach der die Musik leiser wird. Das Brautpaar verlässt den Saal. Zu meiner Überraschung füllen Tango- und Flamenco-Rhythmen den Raum, und, erholsamerweise, deutlich leiser. Na wunderbar. Das gibt Raum für das eine oder andere heitere Gespräch, das nur durch das Kauen der Speisen vom inzwischen eröffneten Buffet unterbrochen wird. Gosht und Birinj ( Fleisch und Reis ), Murgh ( Hühnchen ), Mahi ( Fisch, in diesem Fall Lachs ), Sabsi ( Spinat. Sabsi bedeutet eigentlich ‚grün‘ ), und vor allem Badenjaan ( frittierte Aubergine mit einer Joghurtsauce - da könnte ich mich reinlegen! ). Und Kebap, mit dem ich von allen Seiten versorgt werde.

Ein netter, junger Mann, 17 Jahre alt, wie ich erfahre, setzt sich neben mich und schüttet mir sein Herz aus. Abitur will er machen, aber dann? Lustig. Er ist unglaublich respektvoll, die übliche „Sie sind doch Arzt"-Geschichte. Wir sprechen eine ganz Zeit, und dann passiert's. Das Beste, was mir an diesem Abend passieren konnte. Mitten im Gespräch fragt er mich unvermittelt: "Was meinst du, soll ich Sport studieren?" 
Moment mal ... hat er mich eben geduzt? "Wenn du daran Spass hast - warum nicht? Da musst du dann aber nach Köln gehen, zur Sporthochschule!" - "Echt? Meinst du wirklich? Geht das nicht auch in Hamburg?"
Er hat mich tatsächlich geduzt! Mich alten Knacker! 

Leute! Wenn ein 17jähriger einen 60jährigen plötzlich duzt, interpretiere ich das so, dass ich doch noch nicht wie der alte Mann 'rüberkomme, der ich ja nunmal bin! Der Abend ist perfekt, in diesem Moment. Überall regnet es, nur den Fleck, auf dem ich stehe, trifft ein wärmender, goldener Sonnenstrahl. Man möchte die Weltkugel sanft und gütig streicheln ...

Ein anderer Junge, 25, unterhält mich mit einer Geschichte, in der er in einer Polizeikontrolle geriet, die, sagen wir mal, intensiver durchgeführt wurde als nach dem uns allen bekannten „Die Fahrzeugpapiere, bitte!“-Schema. 
„Ist ja klar“, meinte er. „Ich als schwarzhaariger Ausländer!"
Ich blicke ihn erstaunt an. Er sieht nett aus, vielleicht ein bisschen viel Gel in den tollen, gestylten, lackschwarzen Haaren ... ach, ich bin nur neidisch, mit meinen grauen Fusseln auf'm Kopp! „Wieso, Ausländer?“, frage ich überrascht. „Du bist doch Deutscher?“ 
Jetzt ist es an ihm, überrascht auszusehen. Er nickt. „Du solltest mal sehen, was passiert, wenn ich mich irgendwo unter meinem Namen bewerbe. Nur Absagen!“

Die Musik beginnt aufs Neue, baut mit dezenten Trommelwirbeln Spannung auf. 
"Jetzt kommen sie!" 
Lichteffekte führen die Blicke zum Mittelgang, Sie wissen schon, dem, über den auch ich hereinkam, mit den dramatischen Volants. Zu einem traditionellen, afghanischen Hochzeitslied, treten, gemessenen Schritts, die beiden ein. Sie haben inzwischen die Kleidung gewechselt. Trüge er eine rote Uniformjacke, hätte man unweigerlich an Prinz Charles und Lady Diana Spencer denken müssen. Aber er trägt einen schicken schwarzen Anzug, sie ein zauberhaftes, weißes Brautkleid mit langer Schleppe, dazu einen Schleier, der über ein funkelndes Diadem gelegt ist. Auf der Tanzfläche macht er sich unverzüglich ans Entschleiern, und beide tanzen einen kleinen Walzer. Danach steuern sie die bequeme Couch auf der kleinen Bühne an, um nunmehr die Glückwünsche und den Applaus der Gäste entgegenzunehmen. 

Es handelt sich, bei aller Lautstärke, um ein fröhliches Fest. Aber inzwischen geht es auf die 2 Uhr zu, und ich entdecke in mir das Bedürfnis, mich auf die Couch auf der Bühne zu legen, Beine hoch, entschuldigen Sie, ist hier noch frei? Rücken Sie doch mal ein Stück! 
Nein, ich breche lieber auf. Ich arbeite mich durch den Strom der Brautjungfern, wieder durch den Mittelgang, die Tabletts mit Kerzen und Preziosen und Briefumschlägen vermutlich üppigen Inhalts in Richtung Tanzfläche balancieren, vorsichtig hindurch. Die Mutter der Braut - Sie erinnern sich, die Dame in der atemberaubenden, schwarzen Gewandung - wirft sich mir in den Weg, dankt mir für den Besuch, und betont, man rechne mit meinem baldigen Besuch. 

Ich verpasse die Hochzeitstorte, und, als Abschluss, den Atan, einen pashtunischen Tanz. Trotzdem war es ein schönes, heiteres Fest in gediegener Umgebung. Alles hat gepasst. 
Mir bleibt nur noch, Euch beiden alles Gute zu wünschen. Alles Glück der Erde. Gesundheit. Wunderbare Kinder. Wenig materielle Sorgen. Viel Zeit und ein langes Leben miteinander. 

Und Frieden.


( Wie schon gesagt - ich bin kein Meister der Rezension. Aber zu Olivers Buch musste ich doch kurz Stellung nehmen.  Ich hoffe, durch das Zeigen des Titels nicht irgendwelche Urheberrechte zu verletzen, Oliver! Ich hab’s gerade bei Amazon eingestellt, vielleicht veröffentlichen sie es ja diesmal. Und wenn nicht? Dann stelle ich es mal auf meine timeline, und die Seite Peik Volmer Autor. )

Prison Break

Er hat es getan. Er hat es tatsächlich getan. Er hat nämlich nicht nur an sich, sondern in erster Linie an die Integrität seiner Kinder gedacht. Sein eigener Verstand, seine intime Kenntnis der Sachlage, und letztlich auch der Wunsch, seine Familie und sich nicht auf dem Altar von überkommenen Dogmen zu opfern, waren bestimmend für den Entschluss, den Zeugen Jehovas den Rücken zu kehren. 

In unaufgeregter, nüchterner Sprechweise schildert Oliver Wolschke den Ausstieg, und den Weg dahin. Als Leser frage ich mich immer wieder, in welcher psychischen Verfassung man sein muss, um diesen Strauß an Repressalien zu ertragen. Eins ist allen Religionen gleich: Das Geflecht von Machterhaltung und Einflussnahme. Es stellt sich mild lächelnd über den Menschen, so lange man gehorcht. Wenn man dann selber denkt, zeigt sich die böse grinsende Fratze, die Eltern zwingt, mit ihren Kindern zu brechen, Geschwister auseinander reißt. Enkel zwingt, ihre Großeltern, Onkel, Tanten, Freunde zu ignorieren, die „ausgestiegen“ sind. 

Zwischen den Zeilen klingt die Emotion durch. Die Angst, vielleicht zu irren, einen Fehler zu begehen. Die Furcht vor Isolation. Die Sorge, zeitliche und ewige Rache und Strafe als Abtrünniger auf sich zu ziehen. 
Die Frage nach dem „und was ist dann?“ beantwortet Wolschke, und macht Mut. Man verliert, wenn man innerhalb eines geschlossenen Systems lebt, das nicht nur Glaubensbekenntnis ist, sondern Ideologie, die jeden einzelnen Bereich des Lebens von Geburt bis zum Tod, und den Tagesablauf regelt, die in jeder Situation vorschreibt, was und wie man zu denken hat, den Bezug zu der Welt außerhalb dieses Systems. Man muss sich erst wieder zurecht finden. 

Aber - Oliver sagt und schreibt und zeigt, dass es geht. Und er wird damit noch vielen helfen. 
Den „Wachturm“ gibt’s in 300 Sprachen. Wolschkes Buch hoffentlich auch - demnächst.