Freundinnen
Ihr Mann versteht sie nicht, sagt sie. Ein unsensibler, grober Klotz, den Sie seit 33 Jahren liebt, mit dieser hingebungsvollen, aufopfernden, selbstlosen Liebe, die er nicht versteht, nicht
anerkennt. Zu der eben nur Frauen fähig sind. Männer! So sind sie eben.
Tränen füllen ihre Augen, und sie bekommt diese roten Flecken, besonders um die Nase herum. Naja.
Ich bin angefaßt. Das wäret ihr auch, tut nicht so. Da sitzt ein Mensch, ein liebe Freundin, vor Euch und schluchzt herzzerreißend über die Seelenkälte, das Nichtverstehen, die Grausamkeit in
der eigenen Beziehung. Wie reagiere ich?
"Komm, Du mußt mal raus. Wir fahren nach Hamburg, da hab ich noch eine Wohnung. Wir schauen uns die Elphi an, die Innenstadt, lecker Labskaus ... dann erscheint die Welt wieder in rosigem
Licht."
Dankbare Blicke aus verschleierten Augen treffen mich. Ja, ich bin ein großherziger, wunderbarer Mensch. Ein guter Freund. Sanftmütig, verständnisvoll. Ich betrachte mich in einem Spiegel.
Ist das da ein Heiligenschein über meinem Haupt? Ach so, nur die Flur-Lampe. Na schön.
Am anderen Morgen geht die Fahrt los. 850 Kilometer.
"Sag mal, hast Du abgenommen?"
"Ja, ich esse jetzt low carb und habe schon 20 kg ..."
"Was, low carb? Da ist doch der Jo-Jo-Effekt hinterher so schlimm! Das bringt überhaupt nichts! Also ich würde an Deiner Stelle ... ( es folgt eine Aufzählung einiger Diäten, die vermutlich
auch um einen Jo-Jo-Effekt nicht herumkommen, zumindest sagt mir das meine Erfahrung ... es gibt ja keine, die ich noch nicht ausprobiert hätte ... )
"Also, ich würde hier abfahren und den Weg über Würzburg nehmen!"
"Da ist um diese Zeit der Stau vom Berufsverkehr, das spart zwar Kilometer, aber kostet Zeit. Ich denke, wir bleiben lieber auf der Autobahn!"
"Nein, Würzburg ist besser, man muß nur ... ( es folgen einige Tipps, den innerstädtischen Stau zu umfahren. Das Ganze kostet Benzin, Zeit und Nerven. Macht nichts. )
"Wann machst Du Pause?"
"Jetzt dann bald ..."
"Das ist gut, ich habe auch Hunger. Wo halten wir?"
"Hier vielleicht? Autohof ... Sämtliche Fastfood-Ketten, und ein Restaurant ..."
"Fastfood? FASTFOOD? Gibt es denn kein Steakhouse? Das ist alles so ungesund!"
"Immerhin, die haben auch Nordsee!"
"Davon werde ich nicht satt ..."
( Wir entschließen uns dann doch für McDonalds. Ich wähle einen schwarzen Kaffee - keine Kohlenhydrate! - meine Freundin einen Big Mac, einen Mac Rib, einmal Chicken McNuggets und eine große
Pommes, mit einer Cola ... )
"Schwarzer Kaffee? Na, ich weiß nicht ... das ist nicht gut für Dein Herz! Achtest Du denn gar nicht auf Deine Gesundheit?"
Wie das so ist, nach opulenten Mahlzeiten: Man wird schläfrig. Neben mir ertönt nach kurzer Zeit ein mehr oder weniger sanftes Schnarchen, das durch gelegentliche, interessante Zwischenfragen
unterbrochen wird.
"Sind wir schon in Göttingen?"
"Nein, das ist Kassel."
"Sind wir schon in Hannover?"
"Nein, das ist Göttingen..."
"Sind wir schon in Hamburg?"
"Nein, erst in Hannover."
"So, das wäre dann Hamburg!"
Sie wacht nicht auf. Das Schnarchen wird nur etwas lauter. Erst beim Erreichen meiner bescheidenen Wohnung kehren die Lebensgeister in sie zurück. Mittlerweile ist es 20:05 Uhr, es ist
ziemlich kalt, und stockdunkel.
"Fahren wir noch fort? Wo ist denn jetzt was los? Disko? Ich hätte so Lust, mal wieder tanzen zu gehen ..."
"Weißt Du, ich bin etwas müde. Die Fahrt war doch etwas anstrengend!"
"Na so ein Quatsch! Anstrengend? Ich bin hellwach! Komm, sei doch kein Spielverderber! Laß uns was unternehmen! In Hamburg sind die Nächte lang, heißt es doch!" ( Ich schlage vor, sie mit
einem Haustürschlüssel auszustatten, und Geld für die Taxe. Nein, das möchte sie dann doch nicht. Wir können uns ja auch unterhalten, nicht wahr. )
"Hallo! HALLO! Sag mal, Du hörst mir ja überhaupt nicht zu! Was ist den los mit Dir?"
Huch? Da sind mir doch tatsächlich die Augen zugefallen. Trotz Kaffee. Woran liegt's? An meinem hohen Alter? Meiner schwächlichen Konstitution? Beschämt ziehe ich mich zurück. Am nächsten
Morgen will ich etwas früher aufstehen, um der Freundin frische Rundstücke zu organisieren, ein paar Eier, und etwas Aufschnitt. Butter, Zitrone und Marmelade sind noch da.
"Wo steht denn der Wein? Roter, am liebsten!"
"Nicht in meiner Wohnung. Ich trinke nie Alkohol."
"Was? Das ist nicht Dein Ernst! Wo gerade Rotwein so gesund ist!"
"Das mag sein. Aber Wasser und Sauerkraut sind auch gesund."
Am nächsten Morgen koche ich die Eier, dekoriere das Laugenbrötchen, das Croissant, die Rundstücke und das Baguettebrötchen im Brotkorb. Kaffee und Tee. Ich entzünde noch die Kerzen, da
erscheint sie, gähnend.
"Wurst mag ich nicht. Gab's keine Körnerbrötchen?"
"Ähhh, nnn.nein. Was möchtest Du tun?"
Sie strahlt.
"Eine Hafenrundfahrt!"
Ich erschauere.
"Ist das nicht etwas kalt in dieser Jahreszeit? Außerdem habe ich meinen grippalen Infekt gerade hinter mir ..."
"HAFENRUNDFAHRT!"
"Na gut, ich fahr Dich zu den Landungsbrücken. Aber ich warte da irgendwo im Café."
"Hab ich Dir was getan? Hast Du schlechte Laune? Was ist bloß los mit Dir?"
Ich weiß auch nicht. Klar ist, das es an mir liegt. Vielleicht an meiner Erziehung. Oder an mangelnder Empathie. Aber Männer sind eben Schweine. Monster. Triebgesteuert.
Ich sitze in einem winzigen 'Balzac', in dem ich mir einen von 5 Sitzplätzen erkämpfe. Der Himmel ist stahlblau, die Fenster der Elbphilharmonie funkeln und glänzen wie Perlmutt, genau wie
das Wasser. Da das Zelt vom 'König der Löwen'. Hab ich zweimal gesehen. Um mich herum nette Leute, mit denen man ungezwungen in Konversation gerät. Die 90 Minuten sind wunderschön. Hammonia,
oh wie herrlich stehst Du da!
Dann kommt sie wieder.
"Jetzt hab ich Hunger."
Na klar. Ich mache einige Vorschläge, die aber zurückgewiesen werden. Dann entdecken wir das 'Tunicis' in der Fuhlsbüttler Straße. Netter, entspannter Laden, sehr leckeres kroatisches Essen,
umwerfend freundliches Personal.
Das Essen läuft ohne Komplikationen. Immerhin, hier gibt es wenigstens auch Wein. Zum Nachtisch bestellt sie Erdbeer- und Schokoladeneis. Als der netter Junge mit dem Schüsselchen kommt, ruft
sie laut,
"Pfui, Erdbeereis! Das kann ich nicht ausstehen! Ich wollte Vanille!"
Der nette Junge transportiert das Schüsselchen ab und schleppt ein neues herbei.
"Ohne Sahne ... naja, macht ja nichts!"
Offenbar ist sie nach dem Wein milde gestimmt.
Ich verabschiede mich herzlich und mit Handschlag von dem freundlichen jungen Mann.
"Ihre Freundin?", flüstert er mir zu.
"Nö, bloß eine Bekannte", entschuldige ich mich.
Zu Hause schalte ich den Geschirrspüler aus.
"Na, dann wollen wir uns mal nützlich machen und dies Wunderwerk der Technik ausräumen!"
"Das macht keinen Sinn. Morgen stelle ich das Frühstücksgeschirr direkt aus der Maschine auf den Tisch."
"Aber, es ist doch schöner, wenn Ordnung herrscht, oder?"
"Es HERRSCHT Ordnung. Alles steht in der Maschine, die Du jetzt bitte wieder schließt. Laß es einfach sein."
"Na? Hat da einer sein Leben nicht im Griff? Das machen wir ganz schnell!"
Bevor ich meiner Wut Ausdruck verleihe, ziehe ich mich zum Schlafengehen zurück.
"Also, bei MIR zu Hause sagt man wenigstens 'Gute Nacht'!", tönt es hinter mir her.
Am nächsten Morgen frühstücken wir - mit Körnerbrötchen. Die Kerzen lasse ich weg. In der Küche
steht überall Geschirr herum, und es dauert etwas, bis ich alles, was ich benötige, wiedergefunden habe.
"Du hättest ruhig noch so ein Croissant mitbringen können, das war ja ganz lecker. Wieso bist Du so komisch? Hab ich Dich geärgert?"
Ich nutze diese Gelegenheit, meinem Herzen und meiner Wut Luft zu machen.
Und dann fahren wir schweigend zurück. Also, ich schweige. Sie schnarcht.
Sie erwacht erst, als wir vor ihrer Haustür stehen. Alles ist dunkel, ihr Gatte trifft sich heute mit Freunden. Wie gut ich ihn verstehen kann! Sie durchforstet ihre Handtasche nach dem
Haustürschlüssel.
"Also ... hier muß doch ... aber ... ich versteh das nicht! Ich weiß genau, das ich ... "
Oh mein Gott ...
"Es ist mir so peinlich, aber ... ich glaub, ich habe vergessen, meinen Schlüssel mitzunehmen! Und es dauert noch etwas, bis mein Mann heimkommt! Ich würde ja hier warten, aber ... es ist so
kalt! Kann ich nicht mit zu Dir ... "
Ja, na klar. That's what friends are for.
( Gerade kam er, und holte sie ab. Über ihre Schulter hinweg traf mich ein verzweifelter Blick. Ich verstehe Dich, Bruder. Das nächste Mal fahren WIR beiden! )