( Wirklich. Als ich meine Praxis im Dezember 2015 schloss, war ich wild entschlossen, Rentner zu sein. Alt, hässlich, nutzlos. Ein inhaltsleeres, ruhiges Leben, friedlich dem eigenen Ende entgegendämmernd. Und was passiert?
Jedenfalls mehr als während meiner Praxiszeit. Man kann kaum aus dem Haus gehen, ohne dass irgendwas geschieht. Zum Beispiel in meinem Lieblings-Supermarkt. Dabei fehlten mir nur Zitronen, Quark und Käse zum Frühstück ... )
Susis Happy Nails
Ich kenne so viele tolle Frauen. Patente, selbstständige, starke Weiber, die mit beiden Beinen im Leben, auf dem Boden der Tatsachen stehen. Die nicht zimperlich sind. Zupacken können. Analytisch-praktisch denken. Perfekt organisiert sind.
Warum bloß stehen diese Frauen nie vor mir im Supermarkt an der Kasse? Oder am Bezahl-Automaten im Parkhaus?
Die junge Frau vor mir, angetan mit vermutlich wärmendem rosa Kunstpelzjäckchen und Leggins mit Leopardenmuster, lädt 10 Tiefkühlpizzas und 2 Beutel Tiefkühlpommes auf das Laufband an der Kasse. Eine Quetschflasche Mayo, eine mit Ketchup. Ein Sechserträger Cola. Etwas drängt mich, großväterlich zu rufen, Na, junge Frau, da wird die Leggins bald 'ne Nummer größer ausfallen müssen! Und nehmen Sie lieber Tigermuster! Das streckt! - aber dazu komme ich nicht, weil sie plötzlich fortrennt, zurück in den Verkaufsraum. Der kassierende junge Mann sieht mich fragend an. „Gehören Sie zusammen?“
Empört sehe ich ihn an. „Was trauen Sie mir zu?“
Und dann frage ich höflich, „Könnte ich nicht eben ...?“
„Die Pommes sind schon drin!“
Ach so. Nee. Dann eben nicht.
Strahlend kehrt die junge Frau zurück. Natürlich! Chips und Schokolade! Letztere heute im Angebot! Da gönnen wir uns doch gleich den 5er-Pack!
Der Junge setzt die Kasse in Bewegung. In aller Ruhe sortiert unsere Freundin die Pizzas nach Sorten in ihren Einkaufswagen. Vorsicht, Vorsicht! Nicht, dass die überlangen Fingernägel, vermutlich ein Angebot von „Susis Happy Nails“, Schaden nehmen!
„34,93!“ Überraschter Blick zum Kassierer. Überraschter Blick auf das Display der Kasse. Dann beginnt die Suche nach dem Portemonnaie in der schönen, großen Umhängetasche aus pflegeleichtem Kunstleder mit Reptilprägung in Schlangenoptik, vermutlich von QVC oder HSE24. Gut, dass sie es so sicher verstaut hat. Allzu oft wird man Opfer von Taschendieben. Das ist IHR bestimmt noch nie passiert.
„Ach, da isses ja!“
Na Gottseidank. Ich hatte mir schon überlegt, den Betrag für sie zu begleichen, um die unruhige Schlange hinter mir zu beschwichtigen.
Sie zählt in aller Ruhe die Münzen vor, wobei sich Susis viel zu lange Nails als hinderlich erweisen. „Ach!“ Sie schaut schuldbewußt auf. „Das sind nur 86 Cent! Na gut!“ Spricht's, befüllt mit den Münzen sorgsam das Kleingeldfach, und kramt drei Zehner und einen Fünfer hervor. Ja, sie benötigt die Quittung. Gleich hier, an Ort und Stelle, wird sie sie lesen. Keinen Zentimeter wird sie sich von der Kasse wegbewegen -
„Entschuldigung!“, entfährt es mir. „Würden Sie mich freundlicherweise vorbeilassen?“ Etwas unwirsch schaut sie vom Kassenbon auf. „Bin ich im Weg?“
Nein, Schätzchen! Wie kommst Du bloß darauf? Sollte ich diesen Eindruck vermittelt haben, wäre ich untröstlich!
Ich kenne wirklich viele Frauen, die zielgerichtet und überlegt handeln. Die praktisch und orientiert durchs Leben gehen. Die wissen, dass das Kassieren in den Bezahlvorgang mündet, und man deswegen das Geld bereithalten sollte. Ja, sogar solche, die rückwärts einparken können, vor Susis Happy Nails, zum Beispiel. Aber die kaufen offenbar nicht im Supermarkt ein. Und wenn, dann stehen sie in der Schlange nicht vor mir. Leider!