The Day After

Wie es mir geht? Danke der Nachfrage! Seien wir zufrieden! Und selbst? Muss ja, oder? 

Ach, liebe Leute, was soll ich sagen: Es hat Spaß gemacht. Ich meine, realistisch betrachtet: Was hatte ich befürchtet? Es war keine Prüfung. Ich stand nicht vor Gericht. Ich mußte den Text nicht auswendig rezitieren. Ich musste nicht singen, niedlich sein oder wenigstens durch Schönheit, Originalität und Eleganz überzeugen. Einfach nur vom Blatt lesen, was ich geschrieben hatte. Und verdammt noch mal, wofür habe ich habe denn Unterricht gehabt? Den „Kleinen Hey“ 'rauf und 'runtergebetet? Atemstütze gelernt, damit man, wie meine Schauspiellehrerin immer sagte, mich auch noch in der letzten Reihe versteht? 

Dem wunderbaren online-Kongress von der wunderbaren Jurenka Jurk verdanke ich das Handwerkszeug. Textauswahl. Text ausdrucken. Markierungen machen. Dynamisch lesen, laut, leise, schnell, langsam. Und immer wieder markieren - Achtung! Hier eine Pause machen! Tonlage wechseln! 

Hab ich. 

Interessiert jemanden die Kritik? Ja? Schade. Von mir erfahrt ihr kein Wort. Es kommt immer schlecht, und klingt nach Arroganz und Eitelkeit, wenn man so viel Positives selber sagt. Also: Keine Details. ( So ganz unter uns verrate ich aber, dass ich so viel Zustimmung zuletzt ... ach, was weiß denn ich! Mit Lob kann ich ja sowieso schlecht umgehen. Jedenfalls: Eine halbe Stunde war geplant, eine Stunde mit Diskussion und Fragen. Es wurden dann aber doch gut 2 Stunden daraus. ) Danke noch mal, Patrick. Vielen Dank. 

Kann so etwas noch getoppt werden? Ich meine, das war doch schon alles unfassbar schön. Und da nun noch einen draufsetzen? Ausgeschlossen. Oder? 
Am Rande ereignete es sich, dass ... ja, wie soll ich das beschreiben? Die Leute waren gegangen, nur der Veranstalter, Patrick, und ein junger Mann, der mir irgendwie bekannt vorkam, waren übrig geblieben. Der junge Mann erhebt sich, und bewegt sich in meine Richtung. „Peikchen“, grinst er. 

WAS? Wie bitte? Na da hört sich doch alles auf! Sie, junger Mann, was erlauben Sie sich ...? Und im nächsten Moment liegen wir uns in den Armen, weil, das ist mein Freund Dominic. Mir verschlägt es die Sprache. ( Und das hinzubekommen, ist gar nicht so einfach, glaubt es mir! ) Dominic! Ey, bist Du bescheuert? 60 km von München nach Schliersee, und 140 km von Schliersee zurück nach Hause? Bei diesem Wetter? 

Kennengelernt haben wir uns vor Jahren auf Facebook. Ich sammele Ü-Ei-Figuren, er verkaufte sie. Wir kamen ins Gespräch. Mal mehr, mal weniger intensiv. Mal mehr, mal weniger persönlich. Dann kam die Nachricht, dass er den geschäftlichen Kontakt zu einem Persönlichen verändern wollte. Ab da entwickelte sich die Freundschaft. Und jetzt sitzt der Junge plötzlich und unerwartet, für uns alle unfassbar, vor mir, und es fühlt sich so an, als träfen wir uns regelmäßig, weil es weder unangenehme Überraschungen, noch Anlaufschwierigkeiten, noch sonst irgendetwas Negatives gibt. Er ist exakt so, wie ich es mir vorgestellt habe. Freundlich, entspannt, heiter, intelligent, und - bitte nicht falsch verstehen - wohlerzogen. 

Nach 2 weiteren Stunden verabschieden wir uns. Macht nichts. Wir sehen uns bald wieder. Die Freude, die er mir gemacht hat, lässt er mir als vorgezogenes Weihnachtsgeschenk da. Und, wenn ich jetzt, am Tag danach, in mich hineinhorche, finde ich dies Gefühl noch immer. Danke, Dominic. Du weißt nicht, wie viel mir das bedeutet, und wie glücklich Du mich gemacht hast. 

Wo, bitte, geht’s zur nächste Lesung? 


Probleme beim Treppensteigen

Es ist wahr. Wirklich. Wenn Du Dich als alter, hässliches, dicker Mann mit einem 20jährigen, den zwangsläufig die der Jugend eigene Schönheit umgibt, auf einem Foto herumtreibst - was erwartest Du? Ein Jemand, der Euch nicht kennt, oder nur einen von Euch, bemerkt irritiert den Altersunterschied. Er begreift sofort, dass da mindestens zwei Generationen dazwischen liegen. Das KANN sich ja nur um einen Enkel und den dazugehörigen Großvater handeln. 

Nein, das sind wir nicht. Freunde. DAS sind wir. 

Nicht wahr. Also, wenn mich jemand fragte, Du, wer ist denn das?, hätte ich zur Antwort gegeben, ein Freund. Und zur Erklärung hätte ich hinzugefügt, kenn' ich über Facebook. Lieber Kerl. Neulich sind wir uns sogar live und in Farbe begegnet. Altersunterschied? Ja, in der Tat. Jetzt, wo Du es sagst. Biografisch und biologisch, auf jeden Fall. Im Kopf? 

Ich bin mir da nicht so sicher. Die Menschen, die in meiner Altersgruppe liegen, so zwischen 55 und 65, werden das kennen. Ich meine, unsere Jahrgänge im Ausweis überrascht nachlesen - das können wir selbst. Unser gefühltes Alter spricht dem Hohn. Keinen Tag älter als 18, oder? So lange wir nicht beim Treppensteigen außer Atem geraten, oder zu lange entsetzt in einen Spiegel, oder auf ein aktuelles Foto starren. Und wer kennt ihn nicht, den 20jährigen, der im Kopf unbeweglicher, bornierter und damit älter wirkt, als man selbst? Na bitte. 

Dieser Jemand, der uns nicht kennt, oder nur einen von uns, und sich deswegen erkundigt, „ist das Dein Opa?“, hat jedes Recht, derartige Fragen zu stellen. Meine erste Reaktion war ja ein heiter-empörtes ‚Na höre mal!‘ 

Jetzt, nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen habe, denke ich, ‚Schade, leider nein.‘ 

Ich meine, warum denn nicht? Was ginge mir verloren, wäre ich Dein Großvater? Eben! Gar nichts! Im Gegenteil! Anders als meine Eltern, die ununterbrochen mit Ideen und Vorschlägen hinsichtlich meiner Erziehung daherkamen, waren meine Großeltern locker drauf. „Nun lass den Jungen doch“, sagte Oma gern. Ich durfte alles. Oma und Opa hatten keinen Anspruch hinsichtlich irgendwelcher Vorschriften oder Manieren. Sie waren großzügig, liebevoll, tolerant und vertrauenswürdig. ‚Cool‘, sagt man heute zusammenfassend. Das mag damit zusammen hängen, dass man, wenn man älter ist, die meisten Situationen, die einen beunruhigen, wenn man jünger ist, bereits kennt und raten kann, wie man damit umgeht. Und versteht, was einen an- und umtreibt. 

Irgendwann werden wir auseinandergerissen. Zwangsläufig. Das ist so. Leider. Die Zeit, Krankheit, der Tod, gar. Nichts ist für die Ewigkeit. Aber, so lange wir noch füreinander da sein können, spricht, denke ich, nichts dagegen, dass wir für einander da sind. Dass wir miteinander reden. Uns an unseren Leben teilhaben lassen. Uns zuhören. Miteinander ernst sind. Miteinander lachen. Und uns verstehen. Über Altersgrenzen hinweg. 

Und es wäre schön, wenn Du beim Treppensteigen, oben angekommen, kurz auf mich warten könntest. Ich brauche nur einen Moment länger.


Sehr geehrtes Bundesverfassungsgericht,

Schön, dass Sie die Studienzugangsberechtigung für das Fach Humanmedizin zu reformieren angekündigt haben. 

Schade, dass das nicht schon viel früher passiert ist. Zum Beispiel 1975. Da machte ich mein Abitur, und bei einem Notenschnitt von 1,3 bedauerte die ZVS ( Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen ) in Dortmund, mein Ansuchen um einen solchen Studienplatz abschlägig bescheiden zu müssen. 1,0, hätte ich haben sollen. Drei Jahre lang musste ich warten. 

Ich habe in diesen drei Jahren die Ausbildung zum Krankenpfleger gemacht. Ich erhielt eine Ausbildungsvergütung - im 3. Lehrjahr immerhin rund DM 500 - und konnte schon mal Erfahrungen mit erkrankten und sterbenden Patienten sammeln. Ich war ja gerade erst 18, 1975. Gern wäre ich, wie Wolfgang und Dieter, endlich von zu Hause ausgezogen, und aus dem verträumten, kleinen, miefigen Cuxhaven in das weltstädtische, atemberaubende Hamburg oder Bremen gegangen, oder wie Hilke, gar nach Würzburg. Als Verschwendung würde ich die Zeit nicht abtun. Auch wenn ich heute weiß, dass einem so viel Zeit, wie man denkt, nicht bleibt, fürs Leben. 

Was ist denn noch alles nicht verfassungskonform, in unserem Land? Warum durchforstet man das nicht? Für jeden Mist gibt es Kommissionen, Ausschüsse, Expertenrunden, Sachverständigengutachten. Wem tut man jetzt gerade Unrecht, entgegen seinen verfassungsmäßigen Rechten? Und wird man dies Unrecht wieder gutmachen? 

Drei Jahre. Wie gedenken Sie, mich zu entschädigen? Wer weiß: Vielleicht hätte sich in dem neuen Auswahlverfahren herausgestellt, dass ich als Arzt deutlich schlechter geeignet bin, denn als Schriftsteller? Nicht wahr - mein Leben hätte vielleicht andere, glücklichere Wendungen nehmen können. Drehbuch-Autor in Hollywood? Bestseller nach Bestseller? Eine Kolumne in der „Zeit“, der „New York Times“ und „Le Figaro“? Eine vielbeachtete Talkshow im Fernsehen, neben Will, Illner und Maischberger? Ein millionenfach abonnierter YouTube-Kanal? 

Dieses Land stand mir im Wege. 

Trotzdem bin ich ganz zufrieden. 
Da habt Ihr aber nochmal Glück gehabt! 



Die Sache mit Sissi

Ja, ich weiß. Die erste Freundin hat schon im Sinne von „Ach Du lieber Gott, diese Schnulze!“ reagiert.

Ich bekenne mich schuldig. Ich bin ein „Sissi“-Fan. Nein, nicht „Sisi“. Der historisch korrekte Name der österreichischen Kaiserin. Ich bin Fan des Dreiteilers, mit Romy und Magda Schneider, Karlheinz Böhm, Vilma Degischer, Gustav Knuth, Josef Meinrad. Mir ist bewußt, dass Historie verdreht wird, und des ganze ein süßlich-kitschiges Märchen ist, dass da über den arglosen Fernseh- und Rundfunk-Teilnehmer ausgegossen wird.

Ich bin im Wesentlichen ohne den Fernseher aufgewachsen. Oma hatte so ein Ding. Ein riesengroßer Holzkasten mit einem kleinen, grünlichen Bildschirm. Ein Knopf für an und aus, einer für laut und leise, einer für hell und dunkel. Es gab ja nur ein Programm, und das auch nur für wenige Stunden. Diese Investition war für meine Eltern zu teuer. Wenn etwas Bewegendes, Wichtiges kam, traf man sich eben bei Oma, die schon Sinalco, Salzstangen, Käseigel und Schnittchen bereitgestellt und die Clubsessel um die Nierentischchen aufgebaut hatte. Und dann sahen wir „EWG“ mit Hans-Joachim Kulenkampff, oder Ohnsorg-Theater ( mit der Pause! ), oder auch schon mal einen Film.

Dann zogen wir weiter weg, und die Fernsehabende entfielen. Der NDR produzierte interessante Hörspiele, und die sonntägliche Schlagerparade am späten Nachmittag waren das einzige mediale Ereignis ( fast hätte ich ‚multimediale‘ geschrieben ) in meinem Leben. 

Und dann kam „Sissi“. Mama hatte in der „HörZu“ der Weihnachtswoche entdeckt, dass alle drei Teile gezeigt werden würden. 1970, war das. Seit 1963 gab es 2 Programme, und seit 1967 konnte man entsprechend produzierte Sendungen in Farbe sehen. 

Mama bettelte. Ihr Gatte, mein Stiefvater, behauptete, „Die Dinger sind technisch noch nicht ausgereift“. Es wurde viel diskutiert. „Ach bitte! Ich möchte doch soooo gerne“, jammerte Mama. Es dauerte einige Tage, dann begab sich die Familie zu Janocha in die Schillerstraße, um dort ein Gerät in Augenschein zu nehmen. „Erstmal gucken“, meinte der Gatte. Es gab wunderbare Farbfernseher. „Schrecklich, diese Farben. Das wird sich nicht durchsetzen“, erklärte das Familienoberhaupt. 

Mama jammerte wieder, und Herr Janocha kam auf eine wunderbare Idee. „Ich habe da einen gebrauchten Schwarz-Weiß-Empfänger. Den könnte ich Ihnen für DM 150.- überlassen!“ 

So kam es, dass wir an Weihnachten 1970 um den eigenen, ersten, technisch noch nicht ausgereiften Fernseher herumsaßen und Sissi schauten. Danach schaltete mein Stiefvater das Gerät ab. „Der Kasten muss ja nicht die ganze Zeit laufen. Das verbraucht viel zu viel Strom!“ 

Wann immer ich die Ankündigung, dass „Sissi“ läuft, entdecke, wird diese Zeit wieder wach. Nicht so sehr Hansgeorg, der sich, bis zum letzten Atemzug von Mann und Ross, gegen diese völlig überflüssige Anschaffung gestemmt hatte. Nein. Der dringende, sehnliche Wunsch meiner Mutter, die regennasse Schillerstraße, Herr Janocha, umgeben von diesen Geräten voller Magie und Verheißung einer großen Welt, und der glückseeligen Aufregung, einen von diesen Apparaten zu besitzen.

Ich werde mir die Filme anschauen. Mit Stollen, Dominosteinen und Lebkuchen, und Zitronentee. Und einen Moment lang werde ich wieder 13 sein, in Vorfreude auf die Bescherung, den strahlenden Baum mit den Wunderkerzen, den Besuch der Verwandten, und Omas unvermeidlichen Heringssalat. 

Und an Mamas bedeutungsvollen Blick in meine Richtung denken, wenn Karlheinz Böhm zu Vilma Degischer sagt, „Nichts bedrückt mich so sehr als das Bewusstsein, Mama, Ihnen Ärger zu bereiten.“


Guten Rutsch, die 60.!

Findet Ihr die Tradition, Rundbriefe zu Weihnachten zu verschicken, nicht auch saublöd? Erinnert Ihr Euch noch an die wunderbaren Zeiten, wo man den blauen UNICEF-Schachteln mit dem transparenten Plastikdeckel Karte um Karte entnahm, um sie den Freunden, Bekannten, Verwandten als besonderes, festtägliches Zeichen der Wertschätzung zu schicken? Handgeschrieben, sogar? „Ein frohes Weihnachtsfest und ein glückliches, erfolgreiches, gesundes Neues Jahr“, stand da. Und vielleicht noch ein oder zwei persönliche Bemerkungen, die man allerdings ohnehin nicht lesen konnte. Bei der Sauklaue!

Heute ist das natürlich anders. Stromlinienförmiger. Wir bedienen uns der Maschinen, mit Autokorrektur, copy&paste, fügen rasch noch ein lustiges pic ein ( früher hätte man Foto gesagt ), und veröffentlichen, also, „posten“ das in den sozialen Medien. Der Text enthält eine Liste der persönlichen Heldentaten, die in Wahrheit niemanden wirklich interessieren, weil man dem Erfolg anderer immer ein wenig neidig gegenübersteht. Klingt komisch. Ist aber so. Und dann gibt es „likes“, und manchmal „loves“, und auch „wows“, wenn man den Text albern findet, aber befürchtet, den Verfasser zu beleidigen, wenn man ihn unkommentiert läßt.

Ich lasse es sein. Ich schreib nix zu Weihnachten. Sondern zum Neuen Jahr. Und es gibt nichts, worum ich zu beneiden wäre. Oder? Oder doch?

Am 17. Januar 2017 änderte sich mein Leben radikal und unveränderlich. Es handelt sich um die Geburtsstunde meines kleinen Romans, na gut, Schmökers, eher. Seither halte ich mich für einen Schriftsteller. Der Psychiater sagt, es sei unheilbar.
 Mein Jahr stand im Zeichen des Buches, und der gehobenen Formulierungen, Noblesse oblige. Damit verbunden ist eine völlig neue Aufgabe - Werbung und Marketing. Sehr ungewohnt. Früher kamen die Leute zu mir, und Werbung für mich machten andere. Heute muss ich zu den Leuten gehen und höflich darum bitten, dass man mich liest. Aber es macht auch Spaß, weil es eine neue Herausforderung darstellt. Alles kann man lernen, auch wenn man reiferen Datums ist.

Und sonst? 
Ja, nee, danke, und selbst?

Es gab drei Ereignisse im vergangenen Jahr, die mich sehr berührt haben. Ja, vielleicht auch mehr. Aber diese drei waren besonders für mich.

Es begann auf der Leipziger Buchmesse mit gleich zwei Frauen: Meiner Kollegin ( in zweifacher Hinsicht ) Lily und meiner bloggenden Freundin Louise. Lily und ich kennen uns seit dem ersten Tag unseres Studiums, und irgendwie klappt es nicht, dass der Faden zwischen uns reißt. Wir sehen uns nur sporadisch, kommentieren gelegentlich auf Facebook, aber wenn wir uns gegenüberstehen, dann ist wieder alles da, Berlin, die Rostlaube, die Tile-Wardenberg-Straße, Yeti, Stade ... dann sind wir wieder jung, und das Leben ist unendlich. 

Manchmal läuft man Menschen über den Weg, die so ähnlich ticken, wie man selbst, dass es fast schon unheimlich ist. Dieser ganze Anlauf-Krams, hallo, mein Name ist Peik, guten Tag, ich bin Louise, wie geht es Dir, schön Dich zu sehen ... kann ersatzlos gestrichen werden. Von 0 auf 100 in 0,1 Sekunde. Nach einmal Luftholen waren wir mitten im Gespräch, wie alte Freunde. 

Ich habe es ja auch schon mal geschrieben. Wer mich gelegentlich liest, hat meine Freude über die Reunion mit meinem ehemaligen Klassenkameraden und Schulfreund, mit Dir, Hans-Peter, sicher mitbekommen. Peter hat mit einem Schlag mit seinem liebevollen Verständnis ( Protest nützt übrigens nichts. Es muss Dir auch nicht peinlich sein. Ja: Liebevoll. ) meine gesamte Schulzeit in einem anderen Licht erscheinen lassen. Ich durfte mich verstanden fühlen. Rehabilitiert. Akzeptiert. 

Das dritte Ereignis war die persönliche Begegnung mit Dir, Dominic. Wir kannten uns ja nur über Facebook. Und plötzlich bist Du wirklich kilometerweit gefahren, um mir ein Stündchen beim Vorlesen zuzuhören. Komisch, nicht wahr? Manchmal begreift man erst im Lauf der Zeit, wie gut die Freunde - na gut: Die Enkel - sind, die man hat. Auch wenn ein erheblicher Altersunterschied manchen stören mag. Also - mich nicht. Ist mir egal. 

Ach, es gäbe noch mehr zu erwähnen. Mohammad, den ich fast getroffen hätte, in Essen, wenn ich nicht so blöd gewesen wäre. Dominik, der mich virtuell zu seinem unglaublichen Heilgabend-Diner einlud. Tim, mit dem mich nicht nur die Liebe zur Sprache verbindet. Eric, der Liebenswerte, auf dessen Erfolge ich stolz bin, als sei er mein kleiner Bruder. Regina, die mir mit wunderbaren, köstlichen Keksen eine Riesenfreude bereitete.  Ellen und Zia, Hoàng, Sholom, Helga, Brigitte, Patrick, Maria, Joseph, Sven, Andreas ( Bögle und Karpinski ), Feli, Tanja, Fereshta, Margrit und Petra, Riem, Sabine, Murat, Nicolai, Jeroen, Pramod, Michaela, Beate, Yasin, Malek, Ali, Marion mit ihren wunderbaren, lebensklugen Kommentaren, David, Heidi, Akira, Dimitar, Claudia, Katrin, Dany, Kevin, Hicham, Aseem, Petra ... ich sitze oft da, scrolle mich erstaunt durch die Bilder meiner Freunde und frage mich, womit ich so viel Glück verdient habe. Die Aufzählung hier ist natürlich nicht vollständig. Wie denn auch.

Ihr alle seid im vergangenen Jahr an meiner Seite gewesen. Ihr habt mein Leben bereichert und schöner gemacht, interessanter. Danke für alles, auch allen, die bei der Nennung zu kurz gekommen sind. 
Erwartet Ihr von mir ein Wort zur AfD? Zu Glaubensfragen? Zu Trump? Brexit? Europa? Nordkorea? Putin? Nein Danke. 

Auf ein schönes, gesundes, freundschaftliches 2018. An mir soll’s nicht scheitern.


Fast so was wie Liebe

Einer geht noch, oder? Der letzte in diesem Jahr, versprochen. Kurz, aber von Herzen. 

Gefühlt ist es Jahre her, dass wir uns kennenlernten. Gab es irgendeine Zeit, in der wir uns nicht kannten? 
Ja, na klar. Erst kam Deine Mama, dann Du selbst. Rein beruflich. Wie das eben so ist. Wir konnten uns gut leiden. 

Dieses Gefühl wuchs weiter. Sympathie. Verstehen. Auch wortlos. Wie habe gelacht, zusammen, und manchmal auch geheult. Trost gab es immer. Mit Marzipan, oder einer Umarmung. Du bist gut-mütig im wahren Sinn des Wortes. Und liebens-wert. 

Etwas Trennendes gibt es nicht. 
Fast nicht. 
Also, über Deine Leidenschaft für den HSV sehe ich mal großzügig hinweg. 

Neulich haben wir, mit Deiner wunderbaren Frau und Deinem wunderbaren Sohn, um einen Tisch herumgesessen. Viel zu kurz. Aber der Beweis dafür, dass unsere Verbindung grundlos hält. Einfach so. 

Lieber Karsten, Du hast nie aufgehört, mir Freude(n) zu machen, seit Du zu meinem Leben gehörst. Dafür danke ich Dir. 

Dies Gefühl ist großartig. Zu wissen, dass Du da bist. Ich weiß, dass Du heulen wirst, wenn Du das hier liest. Weil ich es auch gerade tue. 
Du weißt, was ich gesagt hätte, oder? ‚Los. Reiß Dich zusammen!‘ 

Wir beiden Weicheier, was?
Das ist fast so was wie Liebe.
Euch dreien ein wunderbares, liebevolles, gesundes, glückliches 2018. 

Dein Peik


Angst vor Schokolade

Haben Sie kürzlich meinen afghanisch-stämmigen Freund Firouz gesehen? Sie wissen doch: Firouz! Dieser nette, gut aussehende Kerl, der im Fitnessstudio kaum den begeisterten Blick von seinem sportgestählten, muskulösen ( hier müsste jetzt das Wort „Körper“ stehen. Aber heute sagt man stromlinienförmiger ) Body im Spiegel wenden kann? Pechschwarze, under-gecuttete Haare, perfekte, gebleachte Zähne? Verkäufer in einem großen Elektronik-Markt? 

Er ist ein lieber Kerl, und ich mag ihn sehr. Wirklich. 

Um so erschrockener war ich, als ich ihm heute gegenüberstand. Ihn umarmend, klopfte ich ihm auf den Rücken. Wir hatten uns fast ein halbes Jahr nicht gesehen, und ich war geplagt von schlechtem Gewissen, weil ich nicht zu seiner Hochzeit hatte kommen können. 
„Du siehst Scheiße aus“, entfuhr es mir. Und in dieser Sekunde nahm ich wahr, dass das stimmte. Blass, eingefallene Wangen, dunkle Ringe unter den Augen. Pickel auf der Stirn.
„Alter, was ist los?“

Er hat es mir erzählt. Unter Tränen. Die Eltern seiner Gattin und die Seinen hatten den Deal beschlossen. Er hatte seine Zukünftige kaum gekannt. Sie hatten sich einige Male getroffen, unter Aufsicht. Das war’s. 
„Dann hat mir meine Schwiegermutter etwas Schokolade in dem Mund gestopft, und Zack! war ich verheiratet!“

Voller Verzweiflung rief er diesen Satz aus, der bei mir zu einer peinlichen Mischung aus Mitleid und Heiterkeit führte. Um so mehr, als er mir seinen Alltag schilderte. Er arbeitete hart, sie gab das Geld aus. Shopping war ihr Lebensinhalt. Sex - Danke nein. Saar dart mekonat. Kopfschmerzen. Noch nicht mal das. Und wenn er nach Hause kam, saß die Frau Schwiegermama in seinen Rolf-Benz-Sesseln herum, und mischte sich in alles ein, was thematisiert werden konnte. Ein Versuch, ihre Visiten zu verhindern, war kläglich gescheitert. 

„Ich hab bei meinen Eltern mal das Wort ‚Scheidung‘ fallen lassen. Das käme in unserer Familie nicht infrage, sagte Papa.“

Ich weiß nicht, wie ich das zu bewerten habe. Sind unsere Liebesheiraten besser als arrangierte Ehen? Gibt es da Statistiken über Scheidungsraten? Hat das was mit Religion zu tun? Und vor allem: Wie hilft man dem Jungen da raus? 

Liebe Freunde mit afghanischen Wurzeln: Sollte eine ältere Dame, wohlmöglich die Mutter einer Tochter, sich Euch nähern und versuchen, Euch mit Schokolade oder anderen Süßigkeiten zu füttern, presst die Lippen fest aufeinander. Ganz fest. 

Es kann sein, dass das Zeug im Abgang etwas bitter schmeckt ... 



( Wirklich. Als ich meine Praxis im Dezember 2015 schloss, war ich wild entschlossen, Rentner zu sein. Alt, hässlich, nutzlos. Ein inhaltsleeres, ruhiges Leben, friedlich dem eigenen Ende entgegendämmernd. Und was passiert? 


Jedenfalls mehr als während meiner Praxiszeit. Man kann kaum aus dem Haus gehen, ohne dass irgendwas geschieht. Zum Beispiel in meinem Lieblings-Supermarkt. Dabei fehlten mir nur Zitronen, Quark und Käse zum Frühstück ... ) 


Susis Happy Nails


Ich kenne so viele tolle Frauen. Patente, selbstständige, starke Weiber, die mit beiden Beinen im Leben, auf dem Boden der Tatsachen stehen. Die nicht zimperlich sind. Zupacken können. Analytisch-praktisch denken. Perfekt organisiert sind. 


Warum bloß stehen diese Frauen nie vor mir im Supermarkt an der Kasse? Oder am Bezahl-Automaten im Parkhaus? 


Die junge Frau vor mir, angetan mit vermutlich wärmendem rosa Kunstpelzjäckchen und Leggins mit Leopardenmuster, lädt 10 Tiefkühlpizzas und 2 Beutel Tiefkühlpommes auf das Laufband an der Kasse. Eine Quetschflasche Mayo, eine mit Ketchup. Ein Sechserträger Cola. Etwas drängt mich, großväterlich zu rufen, Na, junge Frau, da wird die Leggins bald 'ne Nummer größer ausfallen müssen! Und nehmen Sie lieber Tigermuster! Das streckt! - aber dazu komme ich nicht, weil sie plötzlich fortrennt, zurück in den Verkaufsraum. Der kassierende junge Mann sieht mich fragend an. „Gehören Sie zusammen?“ 

Empört sehe ich ihn an. „Was trauen Sie mir zu?“

Und dann frage ich höflich, „Könnte ich nicht eben ...?“

„Die Pommes sind schon drin!“

Ach so. Nee. Dann eben nicht. 


Strahlend kehrt die junge Frau zurück. Natürlich! Chips und Schokolade! Letztere heute im Angebot! Da gönnen wir uns doch gleich den 5er-Pack! 

Der Junge setzt die Kasse in Bewegung. In aller Ruhe sortiert unsere Freundin die Pizzas nach Sorten in ihren Einkaufswagen. Vorsicht, Vorsicht! Nicht, dass die überlangen Fingernägel, vermutlich ein Angebot von „Susis Happy Nails“, Schaden nehmen! 


„34,93!“ Überraschter Blick zum Kassierer. Überraschter Blick auf das Display der Kasse. Dann beginnt die Suche nach dem Portemonnaie in der schönen, großen Umhängetasche aus pflegeleichtem Kunstleder mit Reptilprägung in Schlangenoptik, vermutlich von QVC oder HSE24. Gut, dass sie es so sicher verstaut hat. Allzu oft wird man Opfer von Taschendieben. Das ist IHR bestimmt noch nie passiert. 

„Ach, da isses ja!“


Na Gottseidank. Ich hatte mir schon überlegt, den Betrag für sie zu begleichen, um die unruhige Schlange hinter mir zu beschwichtigen. 

Sie zählt in aller Ruhe die Münzen vor, wobei sich Susis viel zu lange Nails als hinderlich erweisen. „Ach!“ Sie schaut schuldbewußt auf. „Das sind nur 86 Cent! Na gut!“ Spricht's, befüllt mit den Münzen sorgsam das Kleingeldfach, und kramt drei Zehner und einen Fünfer hervor. Ja, sie benötigt die Quittung. Gleich hier, an Ort und Stelle, wird sie sie lesen. Keinen Zentimeter wird sie sich von der Kasse wegbewegen -


„Entschuldigung!“, entfährt es mir. „Würden Sie mich freundlicherweise vorbeilassen?“ Etwas unwirsch schaut sie vom Kassenbon auf. „Bin ich im Weg?“


Nein, Schätzchen! Wie kommst Du bloß darauf? Sollte ich diesen Eindruck vermittelt haben, wäre ich untröstlich! 


Ich kenne wirklich viele Frauen, die zielgerichtet und überlegt handeln. Die praktisch und orientiert durchs Leben gehen. Die wissen, dass das Kassieren in den Bezahlvorgang mündet, und man deswegen das Geld bereithalten sollte.  Ja, sogar solche, die rückwärts einparken können, vor Susis Happy Nails, zum Beispiel. Aber die kaufen offenbar nicht im Supermarkt ein. Und wenn, dann stehen sie in der Schlange nicht vor mir. Leider! 





Das kleine Einmaleins

Die Frage, wie man auf Facebook richtig kommentiert, beginnt ja schon bei der Definition des Wortes ‚richtig‘. Eine Aussage sollte inhaltlich richtig sein, wenn es um die Darstellung bestehender Fakten geht. Man kann Belege bringen, Quellen, Originalzitate. Zum Beispiel für die Aussage, dass 1+1=2 ergibt. Man bemüht den Taschenrechner. Das Ergebnis ist korrekt? Alle werden nicken, und behaupten, „Recht hat er. Guter Mann.“

Vieles allerdings bewegt sich im Rahmen einer subjektiven Einschätzung. Da kann man das arithmetische Ergebnis von 1+1 gern auch einmal bezweifeln. Zumindest hinterfragen. Leute, seid ihr den sicher, dass 2 das korrekte Ergebnis ist? Haben wir denn alles berücksichtigt? Die Raumtemperatur, die Tageszeit, den aktuellen Kontostand? Kann sich das Ergebnis unter verschiedenen Bedingungen und Einflüssen nicht ändern? 

Was mich wundert, sind die Kommentatoren, die den Standpunkt vertreten, dass alle, deren Meinung von der eigenen abweicht, von erblichem Schwachsinn befallen sind. Was? 1+1=2? Das ist ja unglaublich! Ich habe hier genug Dummes lesen müssen, aber jetzt bricht meine Auffassung sich Bahn! Ihr macht es Euch sehr einfach! Hört endlich auf, die Komplexität der Mathematik auf derartig einfältige Formeln herunterzubrechen! 'Schuldigung, aber das MUSSTE einfach mal gesagt werden!

Ich persönlich neige ja auch dazu, gelegentlich meine Meinung kundzutun. Dabei allerdings versuche ich, diese weder als das Maß aller Dinge, oder den heiligen Gral der Weisheit, noch als moralisch wertvoll und überlegen, oder gar als Auswurf höherer Intelligenz darzustellen. Vor allem bin ich bemüht, niemanden klein, dumm oder unerfahren aussehen zu lassen. Ich möchte meine Haltung zu einem Thema als eine der möglichen Variationen über dieses Thema aufzeigen, und jedem anderen das Recht einräumen, meine Erkenntnisse NICHT für eine akzeptable Betrachtungsweise zu halten. 

So nehme ich mir gelegentlich heraus, das Ergebnis von 1+1 frei zu interpretieren. Ich ertrage es gern, korrigiert zu werden, solange der Ton respektvoll, wohlwollend, humorvoll bleibt. Aggressive Untertöne, Vorwürfe oder Schmälerung meiner Leistungen finde ich unfreundlich und nicht notwendig. Ich zwinge niemanden, mich zu lieben, zu mögen oder gar zu bewundern. 

Und das ist genau so sicher, wie 1+1=2,3 ist. Oder 5 1/2. 


( „Schreib mal was Errrodisches“, meinte meine Freundin Dorothee. Nicht wahr? Sie haben gedacht, dass ich mich verschrieben habe. Aber Doro stammt aus Nürnberg, wo man „Domadenbrrrod“ isst und „Allmächt“ den Ausruf höchster Verwunderung darstellt. Na gut. Erotisch. Kann ich. Aber, meine Damen und Herren: Dieser Text ist nicht jugendfrei. Sollten sich minderjährige Sprösslinge in ihrem Haushalt befinden, oder ihr moralisches Rückgrat gusseisern sein, lesen Sie bitte nicht weiter. Für alle anderen folgt: )

Pikachu ist ausverkauft

Ich hab’s mal wieder zu spät entdeckt. Bei McDonalds gibt es Pokémon-Figürchen. Drei konnte ich kaufen, die Vierte, Pikachu, war aus. 

Es wurde Nacht um mich. Also, nicht vor Kummer. Nein. 18 Uhr, und es war stockdunkel. Kein Wunder. Es war den ganzen Tag nicht richtig hell geworden. Ich hatte die beiden nächstgelegenen Filialen des Schnellrestaurants aufgesucht. Überall erhielt ich die gleiche Information. Pikachu ist ausverkauft. 

Da! Auf der gegenüberliegenden Seite der Autobahn strahlte es mich an, das gelbe „M“, das ungesunde Kalorien, leckeren Kaffee und Pokémons verhieß. Diese Filiale kannte ich nicht. Vielleicht war sie mir bisher auch nur nicht aufgefallen? Wo war die Ausfahrt? Schlecht beleuchtet! Da! Gerade noch geschafft! Kreisverkehr. Wo geht es 'raus? Da ist das ‚M‘. Aber wo ist das Gebäude? Na klar. Gegenüber. Wie sinnvoll. Noch ein Kreisverkehr. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht! 

Ich biege in Richtung Parkplatz ab, als sich mit quietschenden Reifen ein grünweißer Wagen vor mich wirft, auf dem ich in roten Leuchtbuchstaben die Aufforderung „Bitte folgen!“ lese. Aus dem Wagen sprangen zwei junge Männer. Zunächst nahm ich an, dass das eine folkloristische Einlage war, entstieg ebenfalls meinem Gefährt und sprach: „Gott zum Gruße! Wie kann ich Ihnen helfen?“ 
„Fahrzeugkontrolle! Die Fahrzeug- und Ausweispapiere, bitte!“
„Hab ich etwas falsch gemacht?“
„Links an Ihrem Lenkrad befindet sich ein kleiner Hebel. Wenn Sie den betätigen, blinkt ein Licht auf, und man weiß, wohin Sie wollen!“ Ironie? Kann ich auch. 
„Ach wissen Sie - das möchte ich gar nicht! Dann kommen doch alle hinter mir her!“

Der Gesichtsausdruck des Ordnungshüters verfinsterte sich. „Machen Sie keine Scherze! Die Papiere, wenn ich bitten dürfte!“ 
Den Ausweis hatte ich schnell gefunden, wo, verdammt, war der Fahrzeugschein? 
„Hatten Sie schon häufiger Probleme mit der Polizei?“
Nein, Du blonder Scherge! Du siehst bezaubernd aus, wenn Du Dich ärgerst! Und hat Dir schon mal jemand gesagt, dass diese Uniform Deine Dominanz aufregend unterstreicht? 50 Shades of Green? Willst Du mir den Hintern versohlen, nachdem Du mir Handschellen angelegt hast? 

Nein, das hab ich mir natürlich verkniffen. Aber gepasst hätte es gut, oder? 
„Viermal! Viermal haben Sie nicht geblinkt!“ 
„Schuldig, Herr Wachtmeister! Ich muss allerdings sagen, dass es schwierig war, sich in dieser Finsternis auf unbekanntem Terrain zurechtzufinden! Ich war froh, dass ich die richtigen Ausfahrten fand!“
„Ach, und da verstoßen Sie einfach gegen die StVO? Sind sie mit einem Alco-Test einverstanden?“
„Gern. Mein letzter Alkoholgenuss ist allerdings schon etwas her.“
„Wann?“
„November 2015. Zwei Mon Chéri.“

Der Dunkelhaarige war um meinen Wagen herumgelaufen. „Wer ist Ihnen denn da hinten reingefahren?“, erkundigte er sich neugierig. 
„Der Nachbar“, gestand ich. Um Himmels Willen! Ernst bleiben! 

Er präparierte den kleinen Apparat mit einem Plastik-Mundstück. 
Und dann kam es.
„Sie müssen kräftig blasen“, behauptete er.
Die Franzosen nennen es ‚fou rire‘, wir sagen auf Neudeutsch ‚Lachflash‘. „Sie Schlingel!“, brachte ich noch heraus. Dann war es um mich geschehen. So unendlich viele Sätze drängten sich parallel in mein Gehirn, die ich, um eine Störung der öffentlichen Ordnung zu vermeiden, für mich behielt. Dreimal musste ich ansetzen.
„Blasen Sie, bis der Pfeifton kommt!“
An diesem Punkt war ich schon völlig fertig. 
„Wer möchte das nicht?“, konterte ich charmant. 

Irgendwie bekam ich es hin. „Wir belassen es bei einer mündlichen Verwarnung“, entschied der Blonde. „Mündlich ist gut“, grinste ich fröhlich. „Und so passend!“ In dem sanften Licht, das durch das Fenster drang, sah ich, dass sein Gesicht sich dunkelrot verfärbt hatte. 
Ich durfte weiterfahren. 

Übrigens: Ich bekam Pikachu in dieser Filiale. Einer war noch da. 
Glück muss der Mensch haben! 


Die Butter ist zu kalt!

Darf ich gerade mal ein wenig „influencen“? Bitte stellt Euch vor: Eure Tante wird 85, und Ihr wollt für eine Nacht nach Stuttgart, das alte Mädchen hochleben lassen helfen. Seid Ihr reich? Wenigstens wohlhabend? Nein? Ich auch nicht.

Trivago ist die letzte Rettung. Na prima. Der durchschnittliche Zimmerpreis in Stuttgart - exclusive Frühstück - liegt zwischen 180 und 240 Euro. Bank im Stadtpark? Schlafsack? Zelt? 
Ah, da ist was. Das ist bezahlbar, und inclusive Frühstück. Hotel Gloria, in Möhringen. Drei Sterne. Das reicht. Für Musical- oder Spielcasino-Besucher besonders bequem, da das SI-Centrum fußläufig erreichbar ist. 

Die Sigmaringer Str. ist eher kleinbürgerlich, das Parken ein Kunststück. Für später gibt es eine Tiefgarage, jetzt will ich nur eben einchecken. Wer weiß, wann die Feier vorüber ist. Zur Halle führt eine kleine Treppe, die ich trotz wehem Knie bewältige. Aus der Tiefgarage wird später direkt ein Fahrstuhl führen. Die junge Frau an der Rezeption ist charmant und professionell. Den Zimmerschlüssel für 416 muss ich unbedingt mitnehmen. Nach 22 Uhr ist die Eingangstür verschlossen. 

Als ich in der Nacht heimkomme, erwartet mich ein geschmackvolles Zimmer, schöne Farben, ein hinreißendes Bad mit bequemer Dusche, Wasserdruck sehr gut. Alles neu, liebevolles Design. Ein bequemes Bett. Freies W-LAN. Ein Flatscreen. Überall Steckdosen. Gemütliche Dachschräge mit riesengroßem Velux-Fenster. 

Das Frühstück am anderen Tag ist frisch, guter Standard, alles da. Eier, Käse, Wurst, Obst, Brot und Kuchen, Joghurt, Cerealien, Tee, Kaffee, Säfte, Tomaten, Paprika, Gurken ..  Es fehlen Lachs, Speck, Nürnberger Rostbratwürstchen. Und: Die Butter ist etwas zu kalt, und deswegen etwas zu hart, und etwas zu wenig streichfähig.

Ha! Doch noch was gefunden, was man kritisieren kann! Ätsch! Ich habe danach aber auch sorgfältig suchen müssen! 

Die zauberhafte junge Frau an der Rezeption ( wirklich, das Personal ist sehr liebenswürdig und aufmerksam! Sogar das Zimmermädchen wünscht einem einen guten Morgen! Freiwillig! Lächelnd! Und wünscht einen schönen Tag! Ja, Leute, das ist nicht selbstverständlich! Ich bin oft in Hotels! ) beantwortet mir die beiden Fragen, die mir auf der Seele brennen. Nein, schade. Für einen Rollstuhl wären die Zimmertüren nicht breit genug. Und von den Zimmern seien ca. 90% derart modernisiert, wie ich es erlebt hätte. 

Kurz und gut: Ich bin nicht nur begeistert, sondern sogar überzeugt. Die junge Frau lacht, als ich sie mit meinem Vorhaben, eine Kritik zu schreiben, bedrohe. „Sie werden schon sehen“, rufe ich. „Halten Sie Ausschau nach einem Artikel, der überschrieben ist: Die Butter ist zu kalt!“

Hotel Gloria, Sigmaringer Str. 59, 70567 Stuttgart www.hotelgloria.de


Pflaster herunterreißen

Nein, man muss mich nicht mögen. Das wäre wohl zu viel verlangt. Ich bin ein Mensch mit Ecken und Kanten, wage gelegentlich eine eigene Meinung, sage unpopuläre Sätze, bin alt, kahl, fett, launisch und sehe nicht besonders gut aus. 

Aber: Warum sagt man mir das nicht? Ich kann das ab. Und ich bin sehr für offene Worte. Ich teile aus, und kann auch einstecken. Ich vertrage sogar Kritik. Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann. Sagte schon Oma. 

Springen wir drei Wochen zurück. Ich lerne einen interessanten Menschen anläßlich einer kulturellen Veranstaltung kennen. Ich schlage vor, dass wir uns bei Gelegenheit wiedersehen könnten, vielleicht sogar von einem alkoholfreien Bier begleitet. Ja fein, erhalte ich zur Antwort. Am 11.2., da gibt es doch da und da eine Veranstaltung, wie wäre es denn, wenn -
„Das ist meine Nummer. Ruf. Mich. An!“
Die Antwort: Ja, na klar. Gerne.

Heute ist der 11.2.. Heute früh schaute ich erwartungsvoll auf mein Handy. Nein, keine SMS, kein Anruf. Vorhin durchfuhr mich ein Schreck: Es ist gar nicht ‚laut‘ gestellt, nur auf Vibration! Aber auf dem Display kein Anzeichen für Aktivität. Zwischendurch kontrollierte ich nervös den Zustand des Akkus. Er wird sich doch nich heimtückisch entladen haben? 

Es ist jetzt 17 Uhr, kurz nach, sogar. Ich schau mir nachher die Lindenstraße an und dann im 2. die Schmonzette von Inga Lindström, aus Gemeinheit. Und ich werde missvergnügt meinen Himbeerquark löffeln, und noch ein wenig schreiben. 

Ich bin enttäuscht. 

Es ist ok, wenn mich jemand nicht mag. Man muss mich nicht mögen, das wäre wirklich zu viel verlangt. Aber warum, verdammt noch mal, sagt man mir das nicht? Ein einfaches „Danke nein, kein Interesse!“ - und die Fronten sind geklärt! Das tut vielleicht einmal kurz weh, wie beim Herunterreißen eines Pflasters. Und dann ist es schon Vergangenheit. Aber jemanden am ausgestreckten Arm verhungern lassen? 

Scheiße finde ich das. Echt Scheiße. 


German Values

Wie nennt man eigentlich diese Zäune, die die Fußballfelder innerhalb der Stadien begrenzen? Auf denen in Höhe der Mittellinie steht, wo man sich befindet, oder um welche Veranstaltung es sich handelt? Und auf denen wechselnd ringsherum Werbung für coffeinhaltige Getränke, Autoreifen oder Kreditinstitute läuft?

Jedenfalls war ich neulich hellauf begeistert, auf einem solchen Zaun „German Values“ lesen zu können. Es erinnerte mich an den Deutschunterricht, Besinnungsaufsätze, sagte man damals. Herr Cammert und Herr Granzin peitschten uns durch die abendländischen Philosophien. 

Ich meine: Werte - ist klar, oder? Gibt es eigentlich „deutsche“ Werte? Außer der Nibelungentreue? Einigkeit und Recht und Freiheit? Ach komm! Das findet man auch bei unseren europäischen Nachbarn! Genau wie Verantwortungsgefühl, Ehre, Treue, Anstand, Humor. 
Vaterlandsliebe? Der Begriff wird originellerweise von denen mit Beschlag belegt, unter denen dies Vaterland schon einmal fast vor die Hunde gegangen wäre. 
Sprache? Ja. Unbedingt. „Über allen Gipfeln ist Ruh‘“. Oder „In einem kühlen Grunde“. Die deutsche Sprache ist wunderbar. 

Deutsche Werte? Ist das vielleicht personenbezogen? Albrecht Dürer? Nikolaus Kopernikus? Goethe? Die Bachs? Immanuel Kant? Albert Einstein? Jeder ein Genie. Jeder ein Wert. 
Oder die großartigen Landschaften, die atemberaubenden Bauwerke - von der Elbphilharmonie bis Neuschwanstein, vom Harz bis zum Bayrischen Wald. Die Industriekultur im Pott. Dresden. Monschau. Nördlingen. Rothenburg ob der Tauber. Meersburg am Bodensee. 

German Values. 
Dummerweise habe ich dann das Internet bemüht. www.german-values.de. „Sichern Sie sich jetzt TOP Renditen mit Immobilienfonds und bis 7,5% im 1. Jahr!“ 
Na klar. DAS sind unsere Werte. Wohlstand, koste es, was es wolle. Kohle auf dem Konto. Gold im Safe. Deswegen fällt es uns auch so leicht, den Türken Waffen zu verkaufen, die damit die Menschen in Afrin, den Saudis, die damit die im Jemen metzeln. 

Deutsche Werte? Armes reiches Deutschland! 


„Der Nächste, bitte!“

Ach Gott, die ewige Diskussion um die Wartezeiten beim Facharzt! Ich habe ja selbst 28 Jahre eine urologische Praxis geführt. Beschwerden über Wartezeiten waren an der Tagesordnung. „Dann bestellen Sie doch weniger ein“, schlugen kluge Patienten verärgert vor. 

Leider muss man eine bestimmte Anzahl von gesetzlich versicherten Patienten sehen, um wirtschaftlich zu arbeiten. Denn wenn man das nicht tut, kann man irgendwann die Miete und die Mitarbeiter und die Labormaterialien und Gerätereparaturen und Hygieneartikel nicht mehr bezahlen. Und dann ist Schluss mit der Patientenversorgung. Ach ja, und wenn wir NUR die Patienten ansehen würden, die bestellt waren, hätten wir ständig Anwaltspost wegen unterlassener Hilfeleistung zu beantworten. 

„Dann arbeiten sie doch schneller“, meinten die Patienten. Genau. Da hat man gerade den Hodenkrebs bei einem 18jährigen entdeckt, und hat dann keine Zeit mehr, weil seine 10 Minuten leider um sind. Soll sich nicht so anstellen, der Junge. Der Notfallpatient mit der Nierenkolik bekommt gesagt, tut uns auch leid, aber unsere Notfalltermine sind alle für heute. Alles Gute. Für Beratungen, Erklärungen, Ängste, psychische Zusammenbrüche ist leider keine Zeit. Wie lange hab ich noch, Herr Doktor? Meinen Sie Ihren Prostatakrebs oder Ihren heutigen Termin? Der geht gerade zu Ende. Ihr Leben auch. Aber das erörtern wir später. Meine Helferin gibt Ihnen einen neuen Termin im nächsten Quartal. Sollten Sie inzwischen versterben, sagen Sie den Termin bitte ab. 

„Dann machen Sie doch keine Termine, wenn Sie sie doch nicht einhalten!“ Großartige Idee. Dann sind die Instrumente nicht sterilisiert, wenn sie gebraucht werden. Der Untersuchungsraum ist besetzt. Das Spermiogramm verrottet im Becher, weil niemand frei ist, um es zu bearbeiten. Der Patient liegt für einen 20 Minuten Eingriff zwei Stunden in Vollnarkose, weil plötzlich das Patientenaufkommen so hoch ist, und wir auch nicht wussten, dass er sich ausgerechnet DIES Zeitfenster aussuchen würde. 

Im Quartal sahen wir durchschnittlich 1100-1200 Patienten. Wir waren bemüht, Notfälle sofort zu behandeln, und einen Termin nicht länger als 7-10 Tage hinauszuschieben. Und ich habe versucht, meine ganzheitliche Auffassung von Medizin einfließen zu lassen. Man kann sich darauf beschränken, Risse zu verspachteln, lockere Schrauben festzuziehen oder Pickel mit Conceiler abzudecken. Ich fand es immer interessanter und nachhaltiger, wenn ich begriff, WARUM der Patient erkrankte, und was man dagegen tun konnte - außer Schmerzmittel und Antibiotika. Und ich fand es entscheidend, den Menschen auf einer liebevollen, emotionalen Ebene gegenüberzutreten. Aber das dauerte manchmal etwas länger. 

Übrigens: Das Nach-Hause-Gehen war meine Leidenschaft. Pünktlich, möglichst. Wartezeiten führen dazu, dass der Doktor auch länger dableiben muss, wozu er auch nicht immer Lust hat. 

Leute, ihr glaubt nicht, wie froh ich bin, nicht mehr in diesem System arbeiten zu müssen. Und mich - angesichts kranker, leidender, verängstigter, verzweifelter, sterbender Patienten - nicht mehr um Scheiß wie Wartezeiten kümmern zu müssen. Ha! Jetzt sitze ICH im Wartezimmer, und quäle die Helferin. „Mein Termin war um 9! Jetzt ist es Viertel vor 10! Und der da ist nach mir gekommen. Und warum ist der jetzt schon dran?“ 
Worum geht es beim Arzt? Darum, dass einem geholfen wird? Darum, dass sich jemand liebevoll und interessiert zugewandt sich Zeit nimmt und vermittelt, dass der Patient ab jetzt nicht mehr allein dasteht, sondern einen Begleiter, einen Freund an seiner Seite hat? Oder darum, dass man nicht warten muss? 

Jeder Patient hat das Recht darauf, dass man sich um ihn kümmert. Sogar die Patienten, die VOR einem an der Reihe sind. 


Ich oute mich! 

Gleich ist es sechs Uhr. 
Also, eigentlich ist es Fünf. Aber die Uhren, die ich in vorauseilendem Gehorsam gestern Mittag schon vorgestellt habe, zeigen 6 Uhr. Ja, auch der Fernseher. Ja, auch der Festplatten-Recorder. Auch Tablet und Mobiltelefon haben das gesetzte Häkchen bei „Automatische Zeiteinstellung“ berücksichtigt und zeigen die brandneue Zeit an.

Die „neue Zeit“! Wie das klingt! Ein wenig nach '33-'45, oder? Oder wie DDR? „Wann wir schreiten Seit' an Seit', mit uns zieht die neue Zeit.“ Oder so ähnlich. 

Dabei ist die Zeit gar nicht neu. Und es wird uns auch nicht „eine Stunde gestohlen“. Wir stehen nur etwas früher auf. Eine Stunde, um genau zu sein. Ja, schön. Jetzt ist es noch dunkel. Aber in 14 Tagen wird es schon hell sein, und ich werde beobachten können, meinen Tee mit Zitrone genießend, wie die kahlen Äste der Bäume zunehmend zartes Frühlingsgrün ans Licht bringen. 

Es wird so viel darüber geredet, wie lästig die Zeitumstellung ist. Legionen von immer den gleichen Experten geben immer die gleichen Statements ab. Ökonomen, Mediziner, Politiker, Ökotrophologen. Alle wissen: Es ist sinnlos, irritierend, fördert Herzerkrankungen und Adipositas. Alle erklären: Ja, der Quatsch muss abgeschafft werden. Und keiner tut etwas. Alles nur Lippenbekenntnisse. 

Und ich? 

Ich gebe es zu: Ich liebe die Sommerzeit. Und ich hoffe, dass, wenn die Abschaffung der Zeitumstellung doch noch zu meinen Lebzeiten beschlossen wird, die Sommerzeit beibehalten wird. 

Ich habe es immer gehasst, dass es, wenn ich begann, die Galeere zu rudern - ich meine, die Sprechstunde abzuhalten, NOCH, und wenn ich heimging, SCHON dunkel war. Ich fühlte mich wie ein Maulwurf. Wie halten die das aus - die Norweger? In der dunklen Hälfte ihres Jahres, meine ich? Schrecklich! 

Jetzt ist es 6 Uhr 30. Also, eigentlich ist es 5 Uhr 30. Und es wird langsam hell. Wunderbar. So ist es gut. So kann es bleiben. Ich mag es hell. Dunkel wird es noch früh genug, und dann für die Ewigkeit. Wenn die Zeit abgelaufen ist, hilft das Verstellen der Uhr auch nicht mehr viel.

Freut euch, ihr Lieben, über Licht, Leben, Wärme! Begrüßt mit mir die Sommerzeit! 


Festtagsgrüße

„Ausgerechnet du? ‚Frohe Ostern‘? Was meinst du damit? Du sagst doch immer, dass du nicht glaubst! Und jetzt? ‚Frohe Ostern‘? Das kannst du dir dann aber auch sparen!“

Tante Ursel hat ja nicht ganz unrecht. Und ich will mich auch nicht mehr verteidigen, als unbedingt erforderlich. Geboren und getauft in die evangelische christliche Kirche hinein, konfirmiert. Regelmäßiger Besucher des Gottesdienstes. Berufen als jüngstes Mitglied in den Kirchenvorstand der St. Petri Kirche zu Cuxhaven. 

Ja, und dann kommt das Leben. Neben all den unlogischen und unbeweisbaren Geschichten, die alle „heiligen“ Schriften so verbreiten, begegnet man Angst, Not, Leid, Elend, Krankheit, Tod. Man betet, fleht, hofft. Man zündet in sakralen Bauten Kerzen an. Man gelobt Besserung, wenn ER nur dies eine Mal ... 
 Aber, verloren in einem gleichgültigen Universum, stoßen unsere inbrünstigen Gebete auf wenig Verständnis. Wir sind allein, und völlig auf uns gestellt. Die Rhetoriker aller Glaubensrichtungen versuchen, uns mit Geschichten von Gottes Plan und Willen zu beruhigen. Das habe ich bis vor wenigen Jahren noch selbst getan, und kenne die Argumente mit den dazugehörigen Bibelversen. 

Bitte keine Missverständnisse. Ich habe die teilweise erbitterte Facebook-Schlacht um die zu befolgenden Regeln, Karfreitag betreffend, verfolgt. 
Ist es denn so schlimm, an EINEM Tag im Jahr auf das Tanzen, das Spielcasino, lustige Filme im Fernsehen und Kino zu verzichten?, fragen die einen. 
Warum, bei einem konsequenten Laizismus, kann ein kirchliches Dogma meinen individuellen Alltag bestimmen?, murren die anderen. 
Ich gebe zu: Auch ich finde den Einfluss der Kirche schlimm. Nicht wegen der Tanzerei. Eher wegen der Einschränkungen, z.B. bei der Stammzellforschung. Da entscheiden sogenannte Ethikkommissionen, bis zu welchem Grad die Forschung zulässig ist. Oder die Gleichstellung der Ehe, zum Beispiel? Wie lange wetterte und wettert noch fast jeder dahergelaufene Bischof oder Kardinal dagegen, und wie schwierig war es, das durchzusetzen? 

Auch lapidarere Exempel gibt es. Eine Drogeriemarkt-Kette in Hamburg kann davon ein Lied singen. Die katholische Kirche besitzt sehr viele Immobilien in zentraler Bestlage. Und ein Geschäft dieser Kette wurde mehrfach (!) von einem kirchlichen Kontrolleur (!!) abgemahnt, weil es Kondome (!!!) im Sortiment hatte, die der Institution nicht genehm waren! 

Nein, nein. Ich möchte hier niemandes religiöse Gefühle verletzen. Genau so, wie ich auf meinem Recht beharre, nicht zu glauben, billige ich jedem die Freiheit zu, zu glauben, an wen oder was er möchte. Das wäre ja wohl noch schöner. 

Feste wie Weihnachten und Ostern sind für mich zwar religiös sinnentleert, allerdings stellen sie ein nicht unwichtiges Symbol abendländischen Lebens dar. Süße Wehmut. Feste sind immer gut, und das glänzend-ehrwürdige, liebevolle Weihnachten und das niedlich-bunte, heitere Ostern markieren, passend zu den Jahreszeiten, Wendepunkte im Ablauf der Zeit. Jeder von uns verbindet mit diesen Festen Erinnerungen. An bemerkenswerte Ereignisse. An liebe Verwandte, die damals noch lebten. An wunderbare Geschenke. An rituelle und ritualisierte Handlungen. Und, ganz besonders, an die eigene Jugend, als Mama und Papa noch jung waren, und das Leben heil und unendlich schien.

Darum: Lasst uns feiern, als gäbe es kein Morgen. Lasst uns unserer erwartungsvollen Freude gedenken, wenn wir unsere Kinder und Kindeskinder beobachten. Wie sie mit roten Flecken im Gesicht von aufgeregter Spannung und Vorfreude die bunt eingewickelten Kalorien suchen. Wie sie an den Osterhasen glauben. Und an Glück, und ein Leben, das so heiter und bunt und voller Lachen ist, wie heute. 

Ich wünsche euch und euren Lieben ein frohes Osterfest und viele wunderbare, zauberhafte, farbenfrohe Erinnerungen!