Gedanken - Stau
Es ist ja nicht so, dass ich in meinem Leben nicht schon Bekanntschaft mit fragwürdigen Damen geschlossen hätte. Damit hat man sich abzufinden. Aber heute? Ich meine, ich bilde mir ein, ein verträglicher Mensch zu sein. Mit mir kann man reden. In Zimmerlautstärke. Ruhig, höflich, freundlich.
Na gut, denke ich. Dann fahren wir mal los. Es irritiert mich etwas, dass meine Begleiterin von den Schildern, die mich darauf hinweisen, dass die A 40 um Duisburg-Rheinhausen herum wegen Brückenschäden gesperrt ist, keinerlei Notiz zu nehmen scheint. Im Gegenteil. Mit ihrem aufdringlichen, näselnden Tonfall kommandiert sie mich, geradeaus zu fahren, auch wenn etliche Schilder den Wechsel auf die A 42 Richtung Kamp-Lintfort vorschlagen.
Vollends verscherzt sie sich meine Rest-Sympathien, als sie meint, dass ich auf einen Stau zufahre. Die kleine Schelmin. Da stehen wir nämlich schon drin! Und auf ihre reichlich überflüssige Bemerkung habe ich nur ein unfreundliches „Hätten Sie das nicht eher sagen können?“ parat. Auch ihren Vorschlag, ich solle an der nächsten Ausfahrt die A 40 verlassen, quittiere ich mit höhnischem Gelächter. Jetzt! Jetzt kommt sie mir damit! Zu spät, meine Dame, zu spät! Was kommt als nächstes? Wird sie den Rückspiegel benutzen, um den Lippenstift zu korrigieren?
Wirklich! Frauen und Autofahren, ich sag’s ja immer! Ich weiß wohl, dass ich mich damit nicht allzu beliebt mache, aber das ist jetzt doch wirklich das Letzte! Ein Stau, und es geht nicht weiter, keinen Zentimeter!
Lassen Sie mich bitte noch anfügen: Diese Zimtzicke ist die unfreundlichste Person, die ich je ertragen habe. Gewohnt bin ich eine eher einschmeichelnde Stimme. Passend zum Daimler. Früher war sie eher bukolisch, ländlich, einfach. Opel, eben. Aber die hat ja jetzt einen französischen Akzent. Provence, glaube ich. Mein Leihwagen ist ein Golf. Eine herrische, dominante Sprache. „Knie nieder und sage, ich war ein sehr, sehr ungezogener Junge!“, äußert die Gestrenge. Peitschenknall. Sie versteht keinen Spaß. In der Luft vibriert das Aroma von Lack und Leder. Und Neuwagengeruch-Spray.
„An der nächsten Ausfahrt rechts halten, und gleich rechts abbiegen! Hier rechts! RECHTS!“
Ja doch! Ich habe es gleich beim ersten Mal verstanden. Unnötig, das noch zwei Mal zu wiederholen, und mir damit Teile der Nachrichtensendung zuzuquatschen!
Ob sie wohl in einer Partnerschaft lebt? Ich stelle mir vor, wie sie sich, voll sinnlicher Begierde, hingibt, das blonde, volle Haar offen, die Brüste beben, eine samtige Haut, wie Milch und Honig, duftend nach orientalischen Essenzen! Sie räkelt sich lasziv, scheinbar willenlos auf dem Laken. Sie erzittert unter liebkosenden Händen, stöhnt sinnlich, bäumt sich lustvoll auf - und man hört „rechts abbiegen! Hier rechts! RECHTS, hab ich gesagt, verdammt noch mal!“
Gibt es Navis mit Männerstimmen? Sowas will ich. Eine Stimme, die einem auf die Schulter klopft, der man anmerkt, dass sie auf Deiner Seite steht, im Zweifelsfall, ohne das ganze Gedöns mit Stöhnen und Aufbäumen, oder Liebkosen. Eine Stimme, die verständnisvoll sagt, ey Kumpel, mach Dein Ding. Mit der man nach der Tour noch was Trinken geht, friedlich abhängt und viel zu spät, übelriechend nach Bier und Fluppen, nach Hause kommt.
Na endlich. Die Wagen vor mir setzen sich langsam in Bewegung. Die Bremslichter erlöschen. Es geht weiter. Wie war das? An der nächsten Ausfahrt rechts halten ….
Um Abendgarderobe wird gebeten
Kein Wunder. Mit der Abschlussfeier der Universität hat ein engagiertes Organisationskomitee das ehrwürdige Hotel „Bayerischer Hof“ betraut, und für eine derartige Veranstaltung darf man sich gern schon einmal verkleiden. Ja, der dunkle Anzug passt noch - oder besser, wieder. Ich finde sogar meine Lieblingskrawatte, die, die ich damals bei SØR in Essen, in der Kettwiger Straße, gekauft habe, und die so wunderbar golden schimmert, ohne dabei kitschig zu wirken.
Der Portier erinnert an Emil Jannings. Er versetzt für mich die messingumrahmte Drehtür in gemächliche Rotation und wünscht mir einen schönen Abend. Auf dem Weg zum Weißen Saal begegne ich den ersten Damen in eleganten Roben. Die Friseure und Visagisten der Landeshauptstadt haben wirklich alles gegeben. Donnerwetter!
Der Vorraum füllt sich. Drei charmante junge Damen schnibbeln ein Eckchen meiner Eintrittskarte ab und gürten mein Handgelenk mit einem braunen Bändchen, auf dem „Bachelor 2017“ zu lesen ist. So. Jetzt gehöre ich offiziell dazu.
Im Weißen Saal schleppen attraktive, grau uniformierte junge Menschen Tabletts mit Sekt, Saft und Wasser; von Letzterem greife ich mir ein Glas und nippe verlegen. Ich kenne hier niemanden. Aber ich erinnere mich gut, an meine Abschlussfeier, die fröhlichen, geröteten Gesichter, nervöses Lachen überall, stolze Eltern, die sich zu Ehren der hoffnungsvollen Brut in Schale geschmissen haben.
Dabei bin ich niemandes Vater. Mein Schützling, Sohn eines guten Freundes, hat mich eingeladen. „Kannst Du kommen? Es würde mir viel bedeuten, wenn Du dabei bist.“
Um das klarzustellen: Ich habe nichts weiter gemacht. Gelegentlich mal was von ihm Verfasstes gelesen, Verbesserungsvorschläge bei Formulierungen angebracht. Gemeckert. Vielleicht auch mal mit dem einen oder anderen Taler ausgeholfen. Die eigentliche Leistung liegt ganz woanders. Stellt Euch vor, Ihr müsst eine Prüfung ablegen, habt aber Verantwortung zu tragen für kleine Geschwister, kranke Eltern, kein eigenes Arbeitszimmer, praktisch kein Geld außer dem, was Ihr Euch mit Gelegenheitsjobs erarbeitet. Gar nicht so einfach, oder?
Ja, und nun stehe ich hier, inmitten akademischer Würdenträger, die jetzt angehalten sind, ihre Plätze an vorbezeichneten Tischen einzunehmen, in ihre Roben zu schlüpfen und die Bachelor Caps aufzusetzen. Alles in seriösem Blau, mit roten Borten. An unserem Tisch sitzt der designierte Ex-Kommilitone Julian mit seiner charmanten Mama, und seiner gut gelaunten Freundin. Auch aus seinen Augen strahlt Glück und Befriedigung.
Der Kanzler ( zu meiner Zeit sagte man „Dekan“ ) der Universität trägt seine Ansprache vor. Er spricht von Jugend, Erfolg, und weiterem Lebensweg. Der Bedeutung des Smartphones in der modernen Kommunikation. Beglückwünscht, dankt und gibt bekannt, dass mit diesem besonderen Jahrgang an Studenten seine Laufbahn ein Ende nimmt. Er ist sicher, dass ihre Ausbildung die jungen Menschen befähigt, ihre Frau bzw. ihren Mann zu stehen. Er geißelt noch kurz die neu aufkommende Unsitte des Personal-Castings. Und lädt dann, unter tosendem Applaus der Zuhörerschaft, zum reichhaltigen Buffet ein.
Für unseren Tisch ist ein unglaublicher, pechschwarzer Junge zuständig, der auffallend edle Gesichtszüge hat. Er erinnert mich an Lee Thompson Young aus der Serie ‚Scrubs‘, und wirkt wie der Sohn eines Stammesfürsten, so daß ich fast Skrupel habe, ihn um Wasser zu bitten. Er will mich zum südafrikanischen Weißwein überreden und ist fast enttäuscht, als ich ihm erzähle, dass ich nie Alkohol trinke. „Vielleicht später?“, fragt er hoffnungsvoll. Er lächelt ein unglaubliches Lächeln, aber nein, Wasser reicht mir, Danke! Er ist perfekt in dem, was er tut. Achtsam. Flink. Und er gibt jedem Gast das Gefühl, als sei er für ihn persönlich engagiert.
Der emotionalste Moment entlarvt mich als das rührselige Weichei, das ich leider tatsächlich bin. Die Übergabe der Zeugnisse. Ein froher, feierlicher Moment, mit Musik von Edward Elgar unterlegt, Pomp and Circumstance. Wir sind beide nervös, Du und ich. Dein Name erklingt durch den Lautsprecher. Du hast es geschafft. Ich gratuliere Dir von ganzem Herzen. Ich freue mich so für Dich, und kann es nicht wirklich zeigen, sonst plärre ich hier los wie ein Baby. Wie sieht denn das aus. Und ich weiß, dass Du das weißt. Aber so hilflos, wie jetzt gerade, hab ich mich selten gefühlt.
Am Tisch gegenüber ein türkisches Ehepaar, das sich über den Erfolg ihres Sohnes freut. Freut? Der Vater tupft verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Die Mutter leuchtet. Wirklich. Ihr Gesicht, umrahmt von einem dunklen Schal, der verschwenderisch mit grün-goldenen Applikationen bestickt ist, verbreitet Glanz und Helligkeit von innen heraus, so viel Glück, ihre Augen strahlen. Auf dem Weg zum Buffet halte ich an diesem Tisch an, entschuldige mich für meine Aufdringlichkeit, und erkläre dem jungen Mann, dass er das Schönste an diesem Abend verpasst hat. Das Gesicht seiner Mama. Die Familie freut sich.
Die Auswahl und Folge der Speisen ist erlesen, und ich verfluche meinen Entschluss, mich streng low carb zu ernähren. Bei den Hauptgerichten gäbe es kein Problem, der cremig-sahnig-schokoladige Nachtisch mit der Garnitur aus Physalis und Himbeere allerdings ist verboten.
Julian salzt nach. Ohne zu probieren, ob es nicht vielleicht schon salzig genug ist. Also, normalerweise halte ich mich vornehm zurück, in diesem Fall gelingt es mir nicht, die Klappe zu halten. Seine Mama gibt mir recht. „Von wem hat der Junge das bloß?“, erkundige ich mich in gespielter Verzweiflung. Die Dame schüttelt energisch den Kopf. „Von mir nicht!“, erklärt sie nachdrücklich.
Mittwoch wird er mit Freundin nach Berlin umziehen, dort fängt er direkt an, zu arbeiten, in einer Firma, in der er bereits als Werksstudent hospitiert hat. Die Karriere ist kaum noch aufzuhalten. Auch die junge Frau an seiner Seite hat dort einen Job gefunden, und sie werden in Neukölln leben. Die Zukunft liegt zum Greifen nah.
Hauke kommt an unseren Tisch. Er freut sich auf Teheran ... Moment mal! Was war das? „Hauke, Junge! Mach kein Quatsch!“ Warum kann ich mich eigentlich nicht vornehm zurückhalten, wie andere auch? Aaach, alles völlig ungefährlich, erklärt er mir. Sein Vater, ein gut aufgelegter, freundlicher Heilpraktiker, mit dem ich eine Weile fachsimpele, lacht. Alles gut. Dem Jungen passiert schon nichts.
Nach einer Show-Einlage, in der leidenschaftliche, hingebungsvolle, junge, weibliche Körper zu heftigen Rhythmen demonstrieren, zu welchen Bewegungen man in der Lage sein kann, wenn Kniegelenke und Bandscheiben keine Einwände haben, trägt ein bildhübsches Absolventinnen-Trio unter dem tosenden Applaus und Gejohle der männlichen Bevölkerung eine Abschiedsrede vor.
Mein nachtschwarzer Fürstensohn bringt mir einen ebensolchen Kaffee, sich nach weiteren Bedürfnissen erkundigend. „Die behalte ich lieber für mich“, grinse ich zurück. „Wie sich das für ältere Herren gehört!“ Eine der bildhübschen Absolventinnen verkündet, dass nunmehr die Disco-Night beginne. Ein dicker alter Mann auf der Tanzfläche? Das überlassen wir mal den jungen Leuten, oder? Ich gebe Hauke noch den Ratschlag, gut auf sich aufzupassen, in Teheran, bevor ich aufbreche.
„Die Kinder gehen aus dem Haus“, philosophiert Julians Mama. „Was empfinden Sie dabei”, erkundige ich mich neugierig. „Ach, wissen Sie - das ist ja nun mal der Lauf der Dinge!“
Sie hat recht.
Ich erinnere mich an 1984, als ich als Student ein Gebäude in Berlin-Charlottenburg betrat, um es als Arzt wieder zu verlassen. Ich habe damals auch gedacht, Gottseidank, das Schlimmste hast Du geschafft. Und habe gefeiert.
Irrtum, Freunde. Das Schlimmste kommt noch. Das Schlimmste heißt Alltag, Finanzamt, Chef, Bank. Aber so ist das, mit dem Lauf der Dinge. Nur nicht aufgeben. Niemals aufgeben.
Du wirst Deinen Weg machen. Und wenn es mal haken sollte, bin ich ja immer noch da. Und wenn es nur darum geht, etwas von Dir Verfasstes zu lesen. Verbesserungsvorschläge zu Formulierungen anzubringen. Zu meckern.
Viel Glück auf Deiner Reise.
Menschen verletzen
Eben fragt eine liebe Freundin, die sich beständig sorgt, irgendetwas zu äußern, was wen anders verletzen könnte. Komisch, so etwas Ähnliches hatte ich heute schon. Und ich bin da deutlich härter im Nehmen. Es liegt - und jeder, der mich kennt, sollte das eigentlich wissen - mir fern, willentlich und wissentlich gezielt meine Freunde persönlich zu attackieren. Trotzdem denke ich, dass man sich über Widersprüchliches, Unerträgliches, Erstaunliches oder Verstörendes Gedanken machen darf.
Ja, das kenne ich, habe ich erwidert. Aber ich bekomme es gesagt. Postwendend. Mit vorwurfsvollem Unterton. Damit ich auch merke, dass man das nicht mag, wenn ich was zu mäkeln habe.
Wie kannst Du nur! Wie kannst Du was über den Islam sagen! Du hast doch keine Ahnung davon und vergrätzt Deine muslimischen Freunde! Wie kannst Du etwas gegen die israelische Siedlungspolitik sagen, damit verärgerst Du Deine jüdischen Freunde! Wie kannst Du etwas atheistisches Posten? Du bist doch Christ, und verletzt die Gefühle Deiner gläubigen Freunde! Wie kannst Du den CSD kritisieren, die Flüchtlingspolitik, die Jungen, die Alten, die Amerikaner, die Russen, den Brexit, die Frauen, die Männer, die Armen, die Reichen, die Progressiven, die Konservativen?
Wieso REDEST DU ÜBERHAUPT? UND MIT SO VIELEN WORTEN?
Heißt nicht ein altes lateinisches Sprichwort, „Si tacuisses, philosophus fuisses“?
Ach, liebe Leute! Ist das der Sinn des Lebens? Oder von Facebook? Ich mag Katzenvideos, aber nicht nur. Ich mag diese Pseudo-Psycho-Test, aber nicht nur. Ich mag wunderschöne Gemälde oder tolle Filmszenen posten, oder Cartoons, aber ich mag auch nachdenken, mich über was ärgern, oder über was wundern, und das dann auch - sorry! - ÄUSSERN!
Dabei erhebe ich keinen Anspruch auf die absolute Wahrheit. Weder bin ich Imam, noch der Papst. Ich beanspruche für mich nur das Recht, meine Meinung zu äußern. Vielleicht habe ich, in seltenen Fällen, auch mal Unrecht. Das darf man mir sagen. Aber ich werde antworten. Und mich nicht voll Scham in eine Ecke verziehen.
Denn: Wer an meiner Kritik Kritik übt, beansprucht sein Recht, mich zu kritisieren, ebenso, wie ich mein Recht auf Kritik in Anspruch nehme.
Ich hoffe, dass Ihr damit leben könnt, Freunde. Denn wenn das nicht mehr ginge, machte diese Veranstaltung hier keinerlei Sinn. Katzenvideos kann ich auch auf SAT1 und SuperRTL sehen. Und wie entfreunden geht, wisst Ihr bestimmt, oder?
Leute Verletzen für Fortgeschrittene
Ich habe gerade den Eindruck, dass es für mich an der Zeit ist, Facebook zu verlassen. Denn es scheint immer problematischer zu werden, Meinungen zu äußert, Stellungen zu beziehen, Haltungen zu vertreten. Wir - auch ich, zugegeben - werden immer sensibler, wenn es um (Vor-)Urteile geht.
Wir verärgern uns, bestenfalls. Schlimmstenfalls verletzen wir uns gegenseitig mit dem, was wir glauben, mit unserer politischen oder sozialen Einstellung. Mit unserer sexuellen und gesellschaftspolitischen Orientierung. Mit unserer Hautfarbe, oder unseren körperlichen Eigenheiten. Mit unserem Humor. Mit unseren Steckenpferden und Interessen.
Beispiele? Eine mir sehr wichtige, liebenswerte Freundin fühlte sich angegriffen durch Bosheiten, die ich über die peinlichen Ausfälle des Christentums veröffentlichte. Gestern fragte empört eine jüdische Freundin, an der mir sehr viel liegt, und die ich sehr schätze, warum ich bei Amnesty mich für zwei junge Palästinenser einsetzte. Heute finde ich, dass ich mit einem Video eines depperten Mullahs einen lieben muslimischen Freund verletzt habe, was mir besonders nahegeht, weil ich ihn wirklich gern habe.
Mein Einsatz für Flüchtlinge, meine politisch deutlich linke Haltung, meine Unterstützung der LGBTQ-Gemeinde, mein Atheismus, ja, selbst meine Unterstützung des BVB und des 1. FC Köln und, nicht zuletzt, meine Sympathien für CR7 führen zu Kopfschütteln, Mitleid, Unverständnis, Häme. Sogar auf meine nachdenklichen Statements beim „Beichtstuhl“ ernte ich immer wieder Kommentare, die mein Bemühen, hilfreich zu raten, infrage stellen.
Ich merke, dass das bei mir inzwischen schon dazu führt, dass ich bei Freundschaftsanfragen die Profile auf Unvereinbarkeiten untersuche. Erst neulich habe ich die Anfrage eines wirklich interessanten, witzigen, intelligenten Menschen schweren Herzens gelöscht, weil in seiner Timeline Koransuren als Titelbild und unablässig religiöse Formulierungen zu finden waren. Das geht nicht gut, habe ich mir gesagt. Lass es lieber sein.
Gibt es Auswege? Kann man diesem „Die/der ist ja ganz nett, aber dummerweise [ politisch liberal Moslem Christ Jude schwul transgender lesbisch Engländer Flüchtling intelligent schwarz Bayernfan Helene-Fischer-Hörer ], und deswegen passt das nicht“ entkommen?
Bedeutet das, keine Meinung mehr haben zu dürfen? Und, wenn sich Meinungen nicht vermeiden lassen, diese nicht mehr äußern zu dürfen? Freiwillige Selbstzensur, um des lieben Friedens willen? Um niemandem auf den Schlips zu treten? Keinen Freund zu verletzen?
Und wie ist das umgekehrt? Ich werde ja auch verletzt, oder? Oder zumindest genervt, von dem religiösen Schwulst, der über mir ausgekippt wird. Den politischen oder sonstwie diskriminierenden Angriffen auf mich oder meine Freunde. Missverständnissen. Gut gemeinten Ratschlägen, die meinem persönlichen Lebensentwurf diametral entgegengesetzt laufen.
Wie geht Ihr damit um? Meine Oma hätte gesagt, „Jedem Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.“ Es sei denn, man macht es wie die drei Affen. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Aber ist das nicht ziemlich nichtssagend? Oder, man entfreundet alle, die nicht exakt ins Schema passen. Dann hat man eine uniforme, gleichgeschaltete Freundesliste. Posts sind da gar nicht mehr erforderlich. Alle denken dasselbe. Wenig spannend. Langweilig. Uninteressant. Oder?
Wer weiß einen Ausweg? Hat jemand eine Idee? Gute Vorschläge nehme ich gerne an. So lange sie nicht religiös sind. Politisch korrekt. Nicht irgendwie -phob. Ohne Diskriminierung. Und genderneutral.