Ich schreibe gerade auf meinem Facebook Account eine kleine, alberne Fortsetzungsgeschichte, in der ich ein paar meiner Facebookfreunde auftreten lasse. Für die, die nicht mit mir auf Facebook sind, schreibe ich die Geschichte hier hinein! 


Ist mir egal. Ich laß das jetzt so.






Zwischen den Bergen, in einem von hohen Tannen umgebenen Garten, stand das Schloß. Es war ein ziemlich kleines Schloß, denn es hatte nur eine Zugbrücke, und auch nur drei Türme, und das ist, wie ja allgemein bekannt ist, die Minimalausstattung für ein Schloß. 

Immerhin waren die Dachschindeln, mit denen die Türme gedeckt waren, aus rotem Ton, und das sah ganz imposant aus, imposanter jedenfalls als die Türme des Nachbarschlosses, die nur grauen Schiefer zu bieten hatten.

Der Hausherr, Ritter David aus dem Hause der Hallidays, schien ein rechter Romantiker zu sein. An jedem der Fenster hing ein Blumenkasten mit Geranien, und Gardinen mit kleinen Schmetterlingen sorgten für einen harmonischen Eindruck.

Auch der kleine, schwarze Drachen Benjamin, der dafür engagiert war, das Verlies des Schlosses zu bewachen, machte einen niedlichen Eindruck. Er war noch sehr jung, was man sofort an den rosafarbenen Flecken am Bäuchlein erkannte - dazu mußte man nun wirklich nicht Drachenexperte sein - und all seine Versuche, sich den Anschein von grimmiger Gefährlichkeit zu geben, scheiterten. 
Sein schlechtestes Fach in der Drachenschule war Feuerspeien gewesen. Alle anderen Drachen bewerkstelligten es, leidlich große und heiße Flammen zu produzieren, die mit unheimlichen Zischlauten deren Kehlen verließen ... unser kleiner, schwarzer Benjamin hingegen schaffte nur ein einem Rülpsen ähnliches Geräusch, das von ein paar Funken, ähnlich denen einer Wunderkerze, begleitet wurde. 

An seinem 16 Geburtstag war Ritter David, der damals schon Ritter war - er hatte den Titel, wie alle seine Ahnen, durch erblichen Adelsstand erworben - eine wunderschöne Fee erschienen. Haare wie gesponnenes Gold, Haut wie Samt und Seide, Augen wie zwei Bergkristalle umschwirrte sie ihn plötzlich, aus dem Nichts auftauchend, mit ihren transparent schimmernden Feenflügeln. 

Er sei nunmehr, behauptete die Fee, die sich als Ingela vorgestellt hatte, zum Manne herangereift, was ihm die Herrschaft über Schloß und Garten garantierte. "Aber merke dir, Ritter David: Das Verlies des Schlosses hat drei Abteilungen. Die ersten beiden mögen dir zugänglich sein, aber den dritten Raum darfst Du nie betreten!"

Ritter David war erstaunt, aber er trug es mit Fassung, hatte Fee Ingela ihm doch noch das Rezept für ihre magischen Fischfrikadellen überlassen, die wunderfein zu seinem Kartoffelsalat mit selbstgerührter Mayonnaise mundeten. 

Und, wie das Feen so gewohnt sind, gab sie ihm gleich noch die Anweisung, sich binnen zwei Jahren für eine Gemahlin zu entscheiden, aus der Schar der lieblichen Mädchen, die in den angrenzenden Königreichen und Burgen lebten. Die Prinzessinnen Margrit und Amélie, zwei zauberhafte Schwestern, außerdem Comtesse Martina, Marquise Lily und Fürstin Marion. 

Wie immer, wenn ein Hauch von Melancholie das Schloß berührte, meldete sich der Hofnarr zu Wort. Angetan mit Schnabelschuhen, die an der Spitze durch ein Glöckchen verziert wurden, und einer rot-grünen Schellenkappe, in der Hand die unvermeidliche Laute, sprang er durch den Thronsaal - der eigentlich nur ein etwas geräumigeres Wohnzimmer war - auf Ritter David zu. 

"Was schaut ihr so traurig aus, Gebieter?" rief er seinem Herrn heiter zu. Und, die Laute schlagend, sang er in schmelzendem Tenor:

"Ist es denn wahr
Was ich gerad sah?
War sie denn eben wirklich da?
Die bezaubernde Fee
namens Ingela?"

"Frag bloß nicht, Hofnarr Peik!"

Ritter David schien trotz der großen Schüssel Kartoffelsalat und der beiden Fischfrikadellen, die er zierlich mit seinem goldenen Besteck traktierte, eher unglücklich zu sein. 

"Du weißt doch, wie ungern ich das Schloß verlasse, oder?"

Hofnarr Peik nickte.

"Und jetzt muß ich, das sagt zumindest Fee Ingela, unter den Töchtern des Landes ein passendes Eheweib freien! Kannst Du mir sagen, wer so lange den kleinen Benjamin füttern wird?"

Hofnarr Peik sah erstaunt aus. "Wie alt ist dieser Drachen eigentlich? Ich meine, zu meiner Zeit konnten Drachen ihre Beute selbst erjagen!"

"Erjagen ist nicht das Problem", entgegnete Ritter David. 
"Erjagen kann er. Er frißt es dann bloß nicht. Er hat eine Glutenallergie, eine Lactoseintoleranz, eine Histaminintoleranz und hat schon mal auf biogene Amine, Glutamat und Lektine allergisch reagiert. Wir haben ihn auf eine vegane Diät gesetzt."

Abermals zückte der Hofnarr die Klampfe, um einen Gesang anzustimmen, ließ das Instrument aber auf eine Einhalt gebietende Handbewegung seines Herrn hin sinken. Stattdessen bemerkte er:

( Fortsetzung folgt! Lesen Sie auch nächste Woche weiter, wenn Eremit Rowbin und Äbtissin Katrin aktiv in die Handlung eingreifen! )

"Tja, edler Ritter! Wenn eine so bezaubernde Fee wie Ingela die Vermählung so dringend empfiehlt, werdet Ihr Euch kaum widersetzen können! Soll ich schon mal die Rosse satteln lassen?"

Seufzend nickte David, der edle Ritter. Er war zwar mit seinem bisherigen Leben nicht unzufrieden gewesen, mit Drachen und Hofnarr und gelegentlichem Feenbesuch .... und da er den Kochkurs "Basic Cooking für den Hochadel - 1001 Drachenrezept" besucht hatte, fiel ihm auch die Zubereitung einfacher, schmackhafter Mahlzeiten nicht schwer. Er beschränkte sich aber, schon aufgrund seiner Freundschaft zu Benjamin, auf die Beilagen. 

Hofnarr Peik stand, fröhlich die Laute schwenkend, an der Zugbrücke - wir erinnern uns: Der einzigen Zugbrücke. Es war wirklich nur ein kleines Schloß- , um Ritter David zu verabschieden. 

"Gehabt Euch wohl, mein Ritter", rief er dem gesenkten Hauptes Vorüberreitenden zu. 

Resigniert hob Ritter David die Schultern, was man allerdings nicht sehen konnte, da er die Ausgehrüstung aus dem Schrank geholt hatte. Diese verbarg nicht nur derlei Bewegungen, sondern kaschierte auch das eine oder andere Pölsterchen, das durch den ungehemmten Kartoffelsalatkonsum hängengeblieben war. 

Als kleine Überraschung reichte ihm Hofnarr Peik ein leinenes Säckchen. 

"Hier, edler Ritter! Ein wenig Proviant! Ich habe noch vier Fischfrikadellen, die Fee Ingela zubereitet hat, eingepackt! Mögen sie Euch munden!"

So verließ David, der edle Ritter, seine kleine Burg. Sein treuer Rappe trug ihn über den Berg und durch den Wald. Ritter David hatte beschlossen, den Schwestern Margrit und Amélie als ersten seine Aufwartung zu machen.
Er war ungefähr eineinhalb Tage unterwegs gewesen, als er im Wald eine Lichtung erreichte. Reseda und Veilchen spendeten betäubende Düfte, Dompfaff und Pirol sangen ihr Lied. Durch das Blätterdach von Linden, Ahorn und Buchen fielen die Sonnenstrahlen auf ein Kissen aus dunkelgrünem Moos. Er beschloß, dort zu rasten und der einen oder anderen Fischfrikadelle den Garaus zu machen. Kaum war er mit einigem Getöse - immerhin trug er die Rüstung - vom Pferd gestiegen, trat aus einer Höhle ein älterer, attraktiver Mann mit langem, weißen Gewand und langem, weißen Bart. Er wirkte verstimmt.

"Welch garstiger Lärm dringt an mein Ohr! Was ist Euer Begehr?"

"Ich bitte um Entschuldigung", erwiderte Ritter David betreten. Er schätzte es gar nicht, andere Menschen zu inkommodieren. "Wer seid Ihr, Väterchen?"

"Ich bin Rowbin, der Eremit", sprach Rowbin, der Eremit. "Und Ihr, mein Sohn? 

"Ritter David, so nennt man mich! Entschuldigung, aber der Erzähler hatte gesagt, daß sie aktiv in die Handlung eingreifen werden?" 

Rowbin, der Eremit, legte seine Hand auf das Haupt des Ritters, der inzwischen aus Höflichkeit den Helm abgenommen hatte, und segnete ihn vorsichtshalber, man kann ja nie wissen. 

"Nein, mein Ritter, da hat der Erzähler übertrieben. Ich bin Eremit und halte mich per Definitionen gern aus allem heraus."

Aus lauter Dankbarkeit für die Segnung bot David ihm spontan die eine oder andere Fischfrikadelle an. Rowbin lehnte höflich, aber bestimmt, ab. 
"Ich bin Veganer, mein Sohn! Gerade, als Du heranscheppertest, bereitete ich mir eine Mousse au chocolat auf Basis einer Avocadocreme zu! Wenn Du probieren möchtest ... "

"Kenne ich, heiliger Vater, auch mein Drachen Benjamin wird vegan ernährt!" 

Das erfüllte Rowbin, den Eremiten, mit Wohlgefallen. Es sei eine Sünde, wie bedenkenlos die Menschheit andere Lebewesen vernichte und sie struktureller Gewalt aussetze. Er verwendete viele schwierige Worte wie "Speziesismus" und "Abolitionismus" und noch einige andere, die auch auf -ismus, -asmus, -enz oder -anz endeten. Nebenher leerten beide, Rowbin und David, in trauter Eintracht die Schüssel mit der Mousse, die, wie unser Ritter zugeben mußte, gar nicht mal so schlecht schmeckte. 

"Autsch", rief der Eremit plötzlich aus, und klatschte sich mit der Hand auf den Nacken. "Schon wieder eine Mücke! Widerlich, diese Dinger. Ich bin schon ganz zerstochen dies Jahr!" 
Einen Moment hielt er inne, dann sagte er: "Der Erzähler hat recht behalten. Jetzt habe ich doch aktiv ins Geschehen eingegriffen!"

Ritter David setzte den Weg zum Schloß der Prinzessinnen Margrit und Amélie fort. 

Beide erschienen in prächtigen, seidenen Gewändern. Prinzessin Margrit hatte sich in elegantes Grau mit Muschelrosa gehüllt, Prinzessin Amélie trug ein frisches weißblaues Gewand. Nachdem Ritter David den Grund seines Besuchs erläutert hatte, sahen sich beide bedeutungsvoll an. 

"Warum seht ihr euch so bedeutungsvoll an, liebe Prinzessinnen?" erkundigte sich David verwirrt.

"Och, nix", antwortete Margrit mit unschuldigem Augenaufschlag. 
"Wirklich, gar nix!" Amélie nickte, und runzelte die Stirn. 

"Werter Ritter", begann sie, "ich bin schön, klug, ich kann neben den hausfraulichen Qualitäten wie Kochen, Backen, Nähen, Sticken noch Musizieren, Malen und verfasse den täglichen Leitartikel unserer Tageszeitung. Ich kann den Motor unserer Karosse ausbauen, auseinandernehmen und wieder einbauen. Ich kann mit Hammer und Hobel umgehen, bin zudem promovierte Akademikerin, spreche Recht, ziehe Zähne und verkünde sonntags das Wort Gottes von der Kanzel unserer Schloßkapelle. Und? Was habt Ihr an Talenten nachzuweisen?"

Ritter David dachte kurz nach. Er hätte gern von seinem Drachen mit den rosa Tupfen erzählt. Von den drei Türmen mit den roten Schindeln. Oder auch von seinem sensationellen Kartoffelsalat. Aber irgendwie hatte ihn die kleine Ansprache der schönen Königstochter in die Bedeutungslosigkeit verbannt. 

"Ei der Daus!" entfuhr es dem Ritter, beglückwünschte die Prinzessinnen zu ihren mannigfaltigen Begabungen, und empfahl sich. 
Irgendwie war ihm nach geistigem Beistand zumute, weswegen er in einem nahegelegenen Kloster, in dem seine Eltern jährlich den Bestand an Kräuterlikör und Wein aufgekauft hatten, haltmachte. Äbtissin Katrin hieß ihn mit offenen Armen willkommen.

"Wie groß Ihr geworden seid", rief sie voll herzlicher Begeisterung aus. Durch den Schleier und den Habit wurde die Ehrwürdige Schwester geziemend verhüllt, dennoch konnte David mit Kennerblick feststellen, daß unter dem Gewand sich eine schöne, reife Frau verbarg. 

Die Ordensfrau drückte Ritter samt Rüstung an ihren Busen und verwies auf die guten alten Zeiten, als noch seine Eltern regelmäßige Gäste des Klosters gewesen waren. 

Ritter David nutzte die Gelegenheit, Äbtissin Katrin sein Herz auszuschütten. Katrin war erschrocken. 

"Es ist Zeit für mich, Ritter David, aktiv in die Handlung einzugreifen!" 
"Na endlich", lächelte David. "Der Erzähler hatte es zwar angekündigt, aber fast hätte ich schon nicht mehr daran geglaubt! Was gedenkt Ihr, zu tun? Hier, nehmt die letzte Fischfrikadelle. Die muß heute gegessen werden. Morgen ist sie vielleicht schlecht!"

( Schalten Sie auch nächste Woche wieder ein, wenn Sie die Ordensfrau sagen hören: "Dr. Hannes wird wissen, was zu tun ist. Er schuldet mir noch einen Gefallen, den er nicht ablehnen kann ..." 
Was weiß Dr. Hannes? Hat es was mit dem bösen Jäger Karsten zu tun? Und wird das furchtbare Geheimnis von Landwirtin Grit gelüftet?


Die Ordensfrau mümmelte am Qualitätserzeugnis der Fee Ingela. 

"Hhhhmmm, wirklich köftlich, diefe Frikadelle", brachte sie mit Mühe hervor, woran man erkennt, daß manchmal auch Nonnen die Grundregeln guten Benehmens vermissen lassen. 

Dann aber artikulierte sie wieder klar.

"Wie schon der Erzähler andeutete, lieber Ritter David", betonte sie, "Dr. Hannes wird wissen, was zu tun ist. Er schuldet mir noch einen Gefallen, den er nicht ablehnen kann!" 

Mit Bestürzung hatte Äbtissin Katrin vernommen, daß der Kreis der infrage kommenden Gattinnen sich inzwischen auf Comtesse Martina, Marquise Lily und Fürstin Marion beschränkte. 
"Alle drei haben unsere Klosterschule besucht, Ritter David, und alle drei haben ihre besonderen Qualitäten. Martina achtete immer auf ihr Äußeres und verwendete viel Zeit darauf, mit allerlei sanften Cremes, wohlriechenden Essenzen und  reichhaltigen Ölen ihren Körper zu pflegen. Lily hatte eine überbordende Fantasie, viel Humor und sah aus wie Olivia Newton-John. Marion schließlich war hochintelligent und erfinderisch, ihr Geschmack unfehlbar, ihre Moral bisweilen allerdings etwas locker!"

Ritter David lief das Wasser im Mund zusammen. Wie aber sollte es ihm gelingen, das Herz einer der adligen Jungfrauen ( naja, mehr oder weniger. Jungfrauen, meine ich, nicht Herz. ) zu gewinnen? Wie konnte er der Mann sein, den sie sich erträumten?

"Hier kommt Dr. Hannes ins Spiel", meinte die Äbtissin gut gelaunt. "Er soll Euch ein Pülverchen mischen, mit dem Ihr für die Comtesse oder die Marquise unwiderstehlich werdet." 

"Und was ist mit der Fürstin?"

"Ach na ja. Unfehlbarer Geschmack, lockere Moral. Wenn das nicht hinhaut, liegt es an Euch!"

So machte Ritter David sich auf den Weg zu Dr. Hannes, der ein finsteres Holzhaus auf einer Anhöhe bewohnte, das mitten in einem Kiefernhain lag. Die Nacht war hereingebrochen, die fahle Sichel des Mondes wurde immer wieder von düsteren Wolken verhüllt. Ein Sturm zog auf, schon begann es, zu regnen. Schaurig hallte der Ruf einer Eule, lautlos flatterten Fledermäuse durch die Nacht. 
Die zweifelhafte Reputation des Doktors hatte bereits das Ohr unseres Helden erreicht. Er war einst ein hervorragender plastischer Chirurg gewesen, hatte sich jedoch mit allerlei schlechten Menschen einge-  und auf die schiefe Bahn bringen lassen. Die Gier nach Macht, Geld, Luxus hatte ihn korrumpiert, so daß er nur noch durch den klerikalen Beistand der gütigen Äbtissin auf Absolution hoffen durfte. 

Böse Zungen behaupteten zwar, daß er sich als Gegenleistung professionell um das Antlitz der Äbtissin verdient gemacht habe - in der Tat wirkte die Klosterfrau, die mindestens 70 sein mußte, wie eine Mittdreißigerin, und die Kette des Brustkreuzes, die früher einmal glatt herunterhing, beschrieb heute einen deutlichen Winkel - aber die Integrität ihrer Person strafte die Schandmäuler Lügen.

Ein Blitz, gefolgt von heftigem Donnergrollen, zerriß die Finsternis. Der Regen peitschte gegen seine Rüstung. Verflixt, die Rüstung! Wie leicht konnte da was einschlagen! Erneut ein Blitz, erneut Donner. Wie weit war es noch bis zum Haus des Doktors? Der Sturm ließ das Wasser in jede Ritze dringen.

Da, eine Scheune. Er beschloß, sich dort unterzustellen, wenigstens, so lange das Unwetter tobte.
Knarrend öffnete sich das Tor. Hier war es warm und trocken. Erstmal raus aus der Rüstung, und irgendwie die Sachen trocknen. 

Das war gar nicht so einfach. Schade, daß er den Hofnarren nicht mitgenommen hatte. Der war ein ganz brauchbarer Knappe, zumindest reichte er die Bestandteile des Harnischs immer in der richtigen Reihenfolge an. Schade, das er kein Eremit war. Eremit Rowbin hätte sich einfach seines langen weißen Hemdes entledigt und es zum Trocknen über einen Balken gehängt. Oder wenigstens eine Fee. Von der wäre das Wasser vermutlich abgeperlt...

Irgendwie spürte Ritter David Sehnsucht nach roten Schindeln, drei Türmen, einer Zugbrücke. Einem jungen schwarzen Drachen mit rosa Tupfen. Also, das mit dem Feuerspeien, das mußten sie dringend üben. Aber Ben war eben noch sehr unerfahren und mußte sich ausprobieren. Das würde schon werden, mit der Zeit.

Die nassen wollenen Unterhosen kratzten schon in trockenem Zustand ziemlich, und er war froh, auch diese endlich ausziehen zu können. 


Das Stroh war warm und duftete. Er beschloß, sich auszuruhen.

Keine Ahnung, wie lange sie schon dagesessen hatte. Er hatte nicht gemerkt, daß sie die Scheune betrat. Als er die Augen aufschlug, sah er direkt in ihr Gesicht und erschrak.

"Huch! Was macht Ihr denn da!"

Bäuerin Grit lachte laut auf. 

"Meint Ihr nicht, werter Ritter, daß das Recht auf diese Frage mir zusteht?"

Da hatte sie recht. Immerhin war es ihr Grund und Boden, ihre Scheune, ihr Stroh. Und er befürchtete, einen lächerlichen Anblick abzugeben, so völlig nackt. Schnell hatte er mit beiden Händen Strohhalme gegriffen, die er wie ein Baströckchen zur geziemenden Verhüllung der Körpermitte über sich schichtete. 

Abermals kicherte die Bäuerin. "Stellt Euch nicht so an, Ritter David. Ich bin Expertin für Rinderhaltung. Ich habe schon Überraschenderes gesehen! Oh, habt Ihr Lust auf Frühstück? Wenn ihr Eure Blößen bedeckt habt, kommt ins Haus!" 

Der Edelmann nickte errötend. Aber, keck, wie er war, hatte er schon wieder Oberwasser. 

"Was ist den jetzt mit Eurem furchtbaren Geheimnis, Bäuerin Grit?"

"Wer hat den Mist denn verbreitet?"

"Der Erzähler!"

Grit lächelte mild. "Schaut, Ritter David, das ist so ähnlich wie auf Facebook. Glaubt nicht immer alles, was ihr lest."

Ritter David nickte. "Das überrascht mich nicht. Er hatte auch schon angekündigt, daß der Eremit aktiv in die Handlung eingreifen würde. Ein Eremit! Nein wirklich! Und ich bin auch noch drauf reingefallen! Ich meine, die vegane Mousse war wirklich lecker ..." 

"Die auf Avocadocreme-Basis?"

" ... genau die! Aber ein Eremit - und aktiv? Also bitte! Und jetzt das mit Eurem 'furchtbaren Geheimnis'! Und wo wir gerade dabei sind: Kennt Ihr einen 'bösen Jäger Karsten'?"

"Ja, den kenne ich. Der ist aber auch nicht böser als andere Jäger."

"Hab ich's mir doch gedacht. Wenn das so weitergeht, fordere ich einen anderen Erzähler!"

( Das geht mir jetzt echt ein bißchen zu weit. Ich reiße mir hier den A ... auf, trotz schlechter Bezahlung, um die Geschichte voranzutreiben, und dann macht man es mal wieder niemandem recht! 

Aber bitte, dann sag ich eben gar nichts mehr. Keine Ankündigung für die Fortsetzung. Meine Lippen sind versiegelt. Nothing. Nada. Rien. Außer vielleicht, daß Bäuerin Grit doch nicht so ganz die Wahrheit ... Na, ihr werdet schon sehen! )


Das Frühstück, das Bäuerin Grit für Ritter David zubereitet hatte, war üppig und nahrhaft. Leider war ein Glas Grapefruitsaft eingeschlossen, das David mit Todesverachtung - er wollte die junge Frau nicht verletzen - herunterstürzte. Er haßte Grapefruitsaft seit frühester Jugend, warum, konnte niemand wirklich sagen. Das Rührei mit den auf die Sekunde korrekt gebratenen Speckstreifen, den Toast aus Dinkelmehl und den mittelalten Gouda, zum Abschluß die selbstgemachte Stachelbeermarmelade mundeten perfekt.

"Assam oder Ceylon", fragte Ritter David. 
"Assam, FTGFOP1! Ceylon ist mir immer zu labberig!"

So saßen die beiden heiter auf der Eckbank des Bauernhauses und verdrückten alles, was Bäuerin Grit herbeigeschafft hatte. 

Ritter David erzählte von der Fee Ingela, ihren wirklich köstlichen Fischfrikadellen ( was, unter uns gesagt, Grit leicht verstimmte: Welche Frau hört es schon gern, daß eine andere Frau auch gut kochen kann ... selbst, wenn es sich um eine hinreißend schöne Fee handelt! ), ihrem Auftrag zur Eheschließung und den Begegnungen mit den multitasking-fähigen, wenn auch etwas abweisenden Prinzessinnen, mit dem Eremiten Rowbin und der Äbtissin Katrin. 

"Und jetzt beschränkt sich meine Auswahl nur noch auf  Comtesse Martina, Marquise Lily und Fürstin Marion!" Ritter David seufzte. "Die Klostervorsteherin hat mir geraten, mich an Dr. Hannes zu wenden, der wisse wohlmöglich, was zu tun sei ... und dann, werte Bäuerin, kreuzten sich unsere Wege!"

Bäuerin Grit löste den Knoten, zu dem sie ihr kastanienfarbenes Haar gedreht hatte, und einer Kaskade gleich ergoß sich der rötliche Schwall über Nacken und Schultern. Sie öffnete die oberen zwei Knöpfe ihrer linnenen Bluse - "Warm hier, nicht?" - und zwinkerte dem Edelmann neckisch zu. Sinnlich wickelte sie Strähne um Strähne ihrer Locken um den Zeigfinger und warf, gelegentlich auflachend, den Kopf in den Nacken, so daß die güldenen Kreolen, die sie an den Ohren trug, in Schwingung gerieten. 

Sie war bedenklich nah auf Ritter David zugerutscht, der ziemlich ins Schwitzen geraten war und einen hochroten Kopf hatte. Auch Grit atmete schwer. Der Busen, kaum noch durch die Bluse gezügelt, wogte. 

"Und Ihr habt den kleinen Drachen Ben ganz allein zu Haus gelassen, Ihr Schlimmer?" flüsterte sie David ins Ohr.
"Bedenkt, Bäuerin, daß er Veganer ist ... und schlecht im Feuerspeien", stotterte der Ritter. 
"Ihr macht mich willenlos, Ritter David", stöhnte Grit lustvoll auf, "ich bin Wachs in Eurer Hand! Ich begehre Euch!"
Ritter David packte sie mit beiden Händen an den Schultern. 
"Bedenkt, Bäuerin Grit, daß Ihr Spezialistin für Rinderzucht seid!"
"Expertin für Rinderhaltung", korrigierte die Bäuerin nachsichtig.
"Da habt Ihr's", rief David.

Bäuerin Grit ließ resigniert die Arme, die sie um den Hals des Ritters geschlungen hatte, sinken. David fiel auf, daß der Busen sich keinen Zentimeter bewegt hatte. 
"Vergebt mir, aber Eure Brüste ...?" 
"Hab ich machen lassen. Dr. Hannes, Ihr wißt schon. Aber nur für mich, nicht für irgend einen Kerl, falls Ihr das vermutet!"
Der edle Ritter nickte verständnisvoll. 
"Beeindruckend!"
"Wißt Ihr, Ritter David, es kommt im Leben jeder Frau der Moment, in dem man sich sagt, Grit, sagt man sich, erfinde Dich neu. Starte noch mal durch! Und dann hab ich mir auf HSE 24 ein schickes neues Top bestellt, aus pflegeleichtem Material-Mix, in Leoparden-Optik und mit Straßverzierung, und bin zu Dr. Hannes ..." 
Sie hatte während ihrer Worte den Kopf gesenkt, fast trotzig klang ihre Stimme jetzt. 

"Geht jetzt! Geht schnell! Vielleicht kann Dr. Hannes auch Euch helfen!"

Unterdessen, zwischen den Bergen, in einem von hohen Tannen umgebenen Garten, in einem ziemlich kleinen Schloß mit einer Zugbrücke, und auch nur drei Türmen ....

"Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Schönste im ganzen Land?" 
Hofnarr Peik stand vor dem Zauberspiegel, den Ritte David mal auf einer Auktion einer Konkursmasse preiswert erstanden hatte.

"Hofnarr, bist du denn überhaupt stark genug, die Wahrheit zu ertragen? Unter uns gesagt, sieht so ziemlich jeder besser aus als Du, und Du könntest ruhig mal 20-30 Kilo abnehmen!"

Hofnarr Peik wollte den Spiegel abnehmen, um das 'Made in China'-Zeichen auf der Rückseite zu suchen. Aber der Spiegel fauchte nur "Finger weg! Ich hab's ja gesagt, du Pflaume!"

Peik beschloß, ein wenig mit Ben zu spielen, um sich zu beruhigen und zu zerstreuen. Er stand in dem winzigen Schloßhof, der eher einem Atrium glich, und schwenkte, wie er es so gern tat, seine Laute. Taps, taps, taps ... Wer kam den da? Ben stapfte unbeholfen über die Zugbrücke, ein paar Fünkchen rülpsend. 

Dabei fiel Peik auf, daß man die Zugbrücke - die einzige Zugbrücke, nur zur Erinnerung - schon lange nicht mehr hochgezogen hatte. Und wenn sie nun verrostet war? Und plötzlich ein Feind ...? Nicht auszudenken? Gleich morgen wollte er sie kontrollieren! 

Ben jaulte etwas und stupste Peik, der sich sofort ans Kraulen machte, woraufhin Ben sich mit fest angezogenen Flügeln auf den Rücken wälzte und sein rosa Bäuchlein den kitzelnden Zeigefingern des Narren preisgab. Er kicherte und prustete, und die Funken stoben aus Rächen und Nase vor Vergnügen ....


Wir erinnern uns: Dr. Hannes bewohnte ein finsteres Holzhaus auf einer Anhöhe, inmitten eines Kiefernhains. 

Das Gewitter und der Regen der Nacht hatten zur Abkühlung geführt, dennoch war es Ritter David in seiner Rüstung, die er mit viel Mühe wieder angezogen hatte, recht heiß geworden. Schuld daran war Grit, offenbar nicht nur Expertin für Rinderhaltung .... Was war ihr Geheimnis? Angeblich hatte sie keins, aber gerade hatte er herausgefunden, daß Dr. Hannes an ihren weiblichen Reizen gearbeitet hatte. Was verbarg sie noch?

Die Rüstung quietschte und klapperte, als er den Zaun erreichte, der das finstere Holzhaus mit den kleinen Fenstern umgab. Wirklich, die Fenster erschienen so klein, fast als hätte der, der in dem Haus wohnte, das Tageslicht zu scheuen ... 
Die Rüstung machte so viel Geräusch, daß es Ritter David nicht weiter auffiel, daß die Vögel in dem Moment verstummten, in dem er das Tor durchschritt. Der Himmel verdunkelte sich, kein Lüftchen regte sich. Es herrschte Totenstille. 

An der schwarzen Ebenholztür gab es keinen Klingelzug, nur einen gigantischen Klopfer in Form eines Totenschädels. Mit Daumen und Zeigefinger hob David den Schädel an und ließ ihn gegen die Tür pochen. Quietschend und knirschend schwenkte diese zur Seite. Der Ritter sah niemanden, der hätte öffnen können. 

"Seid gegrüßt, Herr Ritter!" 

Mit pathetischer Emphase hatte Dr. Hannes diese Worte gesprochen, und war dann in diabolisches Gelächter ausgebrochen.

Ritter David erschrak. Welch grauenvoller Anblick!

( Und wenn Sie wissen wollen, welch grauenvolles Bild sich in die Netzhaut des jungen Edelmanns für immer einbrannte, lade ich Sie herzlich ein, unsere nächste Ausgabe zum Preis von drei Talern wohlfeil einzukaufen! )


Niemals wieder würde Ritter David dies Bild vergessen können: Der diabolische Schönheitschirurg, der sein von einer mit blonden Strähnchen durchzogenen Minipli umgebenes Haupt dem Backofen näherte. 
"Gleich ist der Zwetschgendatschi fertig", rief er begeistert und mit sächsischen Akzent aus. Und wirklich. Der Duft des schmackhaften, bekömmlichen Hefegebäcks durchzog das unheimliche, schwarze Haus. 

"Da! Da!"

Entsetzen schwang in Ritter Davids jetzt heiserer Stimme, mit zitterndem Finger zeigte er auf das Produkt sächsischer Backkunst. 

Dr. Hannes sah ihn fragend an.

"Streusel!", stieß der Edelmann voll Grauen hervor. 
Wer ihn gut kannte, wußte, daß man ihn mit Streuseln jagen konnte, weswegen seine Großmutter für ihn den Pflaumenkuchen immer ohne Streusel zubereitete, wiewohl sie aber auf Zimt bestand. 

"Ich kann Euch ersatzweise auch eine Bemme zubereiten", schlug Dr. Hannes vor. "Meine ärztliche Kunst wollt ihr doch sicher nicht in Anspruch nehmen, oder? Was ist Euer Begehr?"

Ritter David erzählte die ganze Geschichte, von Benjamin, dem kleinen Drachen, der bezaubernden Ingela und ihrem Auftrag, dem weisen, wenn auch attraktiven Eremiten Rowbin, der jugendlichen Äbtissin Katrin ( hier grinste Dr. Hannes ein teuflisches Grinsen, was sich der Edelmann nicht erklären konnte ), den angespannt wirkenden Prinzessinnen Margrit und Amélie, dem gar nicht so bösen Jäger Karsten, den er allerdings erst bei Marquise Lily kennenlernen wird, und dem erotischen Vulkan, der Expertin für Rinderhaltung, Bäuerin Grit ( auch hier grinste Dr. Hannes, wohlmöglich noch etwas teuflischer ).

Auch vegane Mousse au Chocolat auf Avocadocreme-Basis, Kartoffelsalat mit selbst gerührter Mayonnaise und Fischfrikadellen spielten in seinem Bericht keine ganz unwesentliche Rolle. 

"Ich weiß, was da zu tun ist!" rief Dr. Hannes. 
"Da bin ich aber froh", entgegnete der Ritter. "Das hat die Äbtissin auch schon gemeint! Und was ist zu tun?" 

"Ihr müßt die Marquise aufsuchen, Ritter David. Die Marquise verfügt über ... nun, sagen wir, Talente, die Euch die Augen öffnen werden! Dort werdet Ihr auch endlich dem bösen Jäger Karsten ... " 
" ... aber der ist doch gar nicht so böse", fiel der Ritter dem Doktor ins Wort.
"Nun wartet doch mal ab und unterbrecht mich nicht ständig! Also: ... dem bösen Ritter Karsten begegnen und feststellen, daß er gar nicht so böse ist."
Der edle Ritter sah den Doktor fragend an und zog die Schultern hoch, was aber erneut wegen der Rüstung nicht sichtbar war. 
"Das hab ich doch gesagt!"
Davids Stimme klang etwas trotzig.
"Da seht ihr, daß ich recht habe. Ich habe immer recht. Ich bin promovierter Akademiker", schwadronierte Dr. Hannes. 

Bäuerin Grit wusch das Frühstücksgeschirr ab. Das rote Haar hatte sie geschmackvollerweise mit einem dunkelgrünen Seidenschal zusammengebunden. Unwillig schüttelte sie den Kopf. Sie hatte sich gehen lassen, dem jungen Ritter förmlich an den Hals geworfen. 

Bestimmt die Hormone. Seit der Operation und der Einnahme der Hormone litt sie unter erheblichen Stimmungsschwankungen, auch wenn sie letztlich mit dem Ergebnis der Kunst des Doktors sehr zufrieden war. Inständig hoffte sie, daß die ärztliche Schweigepflicht ... ach, und selbst wenn. Es war ihr egal. Im Wartezimmer hatten sie alle gesessen, die Äbtissin, die angespannt wirkenden Prinzessinnen, auch der Eremit, der erst nach der Operation sehr attraktiv aussah ... warum nicht sie auch? Damals allerdings war ihr Name noch Philipp gewesen. 

Verträumt sah sie aus dem Küchenfenster und versenkte den Becher, aus dem er den Assam, wir erinnern uns, FTGFOP1, getrunken hatte , in der Seifenlauge. In der Ferne sah sie die Scheune, in der sie ihn gefunden hatte. 
Sie hätte den Becher nicht waschen sollen. Dort, am Rand, hatten seine Lippen einen Abdruck hinterlassen. Lustvoll aufstöhnend preßte sie den Becher an ihre Lippen. Ach, David! 


Inzwischen war erneut die Dämmerung hereingebrochen. 
Ritter David hatte sich vom diabolischen Chirurgen verabschiedet. Er solle, so trug ihm Dr. Hannes auf, immer an dem kleinen Bach, der heiter murmelnd sich durch die Landschaft schlängelte, entlanggehen, bis er ein rotes Licht sähe. Das sei das richtige Haus, dort lebte die Marquise Lily. 

Der Ritter folgte diesem Rat gern, denn der Weg war romantisch und wenig beschwerlich, da es meist bergab ging. Dr. Hannes hatte darauf bestanden, ihm eine kleine Wegzehrung mitzugeben, hatte aber nur noch den Pflaumenkuchen gehabt. 

Er setzte sich auf einen Baumstamm, der, offenbar entwurzelt von einem Sturm, quer über dem Weg lang, und begann seinen Imbiß damit, daß er sorgfältig alle Streusel vom Kuchen beseitigte. 
Da fiel ein Schuß. David erschrak. Gewiß, man hätte mit den Streuseln am See Enten füttern können, aber sollte er sie deswegen quer durch die Lande transportieren? War das der Grund, weswegen man ihn unter Beschuß nahm? 

Ein ziemlich gut aussehender Mann trat aus dem Unterholz. Er war, vom Filzhut bis zu den Hosen ( wetten, daß Fürstin Marion hier 'Hoden' liest? ), in grünes Tuch gekleidet, nur die Stiefel, der Gürtel und die Schultertasche waren aus braunem Leder gefertigt. 
"Ich bin Jäger Karsten", stellte Jäger Karsten sich vor. Er lachte. 
"Man nennt mich auch 'den bösen Jäger Karsten'! Dabei bin ich gar nicht so böse!"

Ritter David war verwirrt. 
"Entschuldigung, aber ... seid Ihr nicht viel zu früh dran? Wir lernen uns doch erst im nächsten Kapitel kennen!"

Jäger Karsten blickte erschrocken drein.
"Ach, Ihr meint, im Haus der Hex ... ähhh, der Marquise Lily? Wo sie ... "

"Pssst, nun verratet doch nicht alles! Sonst ist doch die ganze Spannung raus!"

Jäger Karsten zog schuldbewußt den Kopf ein. 
"Ich bin wieder so ein Tollpatsch! Meinen Auftritt krieg ich nicht hin, und dann verrate ich auch noch ..."
"... ist ja gut, Jäger Karsten. Ihr habt Euer Bestes gegeben. Ist schon in Ordnung! Aber läßt uns nun aufbrechen. Ach ja: Und wenn wir uns nachher begegnen: Kein Wort, das wir uns schon kennen, versprochen?" 

Jäger Karsten nickte, und schlug sich seitwärts ins Gebüsch ...

( Was glauben Sie, geneigter Leser: Wird Karsten das hinbekommen? Und was hat dieser Versprecher, die Marquise betreffend, zu bedeuten? Und was ist so schlimm an Streuseln? Lauter ungeklärte Fragen! 
Also: Bleiben Sie dran! Ich zähl auf Sie! )


Äbtissin Katrin hatte gestern bereits zwei altbackene Brötchen in Wasser eingeweicht. Nun stand sie murmelnd in der Küche des Klosters.
"Die Schalotten in sehr kleine Würfel schneiden. Petersilie fein hacken. Die Schalotten in der Butter glasig dünsten und die Petersilie untermischen, dann abkühlen lassen. 
Das gut gekühlte Fischfilet durch den Fleischwolf drehen. Die Brötchen gut ausdrücken, mit zwei Eigelben, einem Eiweiß sowie Gewürzen gut abschmecken und zu einem glatten Teig rühren. Mit nassen Händen Plätzchen formen und vor dem Braten nochmals gut kalt stellen.
In 4-6 Minuten einmal wenden und goldbraun braten. Das Bratfett abgießen und die Butter in kleinen Stücken in die Pfanne geben. Gut aufschäumen lassen und die Frikadellen damit begießen."

Sie befolgte die Anweisungen des Rezepts genau, aber so wie Ingela, die wunderschöne Fee mit Haaren wie gesponnenes Gold, bekam sie es nicht hin. 

Zierlich tupfte sie sich mit einer damastenen Serviette das Fett aus dem Mundwinkeln und kontrollierte den Erfolg dieser Aktion vor dem Spiegel. Da, schon wieder ein paar Falten auf der Stirn. Und ihre Lippen könnten auch wieder ein wenig Hyaluronsäure vertragen ... na immerhin! Fast ein Jahr hatte Dr. Hannes' Arbeit gehalten. Der kleine Operationssaal, den sie im Klosterkeller eingerichtet hatte, mußte unbedingt kontrolliert werden. Die letzte Fettabsaugung bei Peik, dem Hofnarren, lag nun auch schon wieder vier Monate zurück ....

Es waren noch Fischfrikadellen übrig. Ob sie Rowbin, den attraktiven und oft hungrigen Eremiten, einladen sollte? Ach nein, der lebte ja streng vegan. 


Nach der Begegnung im Wald mit sie-wissen-schon-wem ( warum, zum Teufel, darf man das nicht erwähnen? ) war Ritter David wieder auf dem Weg zur Marquise Lily. Was hatte Dr. Hannes bei seinem Abschied ihm mit auf den Weg gegeben? Außer dem Streuselkuchen? 
"Achtet auf die rote Laterne. Das Licht wird Euch leiten!"

Weit und breit kein rotes Licht. Ritter David seufzte. Ein Stromausfall, vermutlich. Oder die Glühbirne war durchgebrannt. Na egal. Er würde sein Ziel schon erreichen. 

Er war nicht schlecht erstaunt, als er ungefähr eine dreiviertel Stunde Weges später vor einem Gemäuer stand. Ein lieblicher Duft lag in der Luft. 

Bei näherem Hinsehen entpuppte sich das, was er im fahlen Licht der Dämmerung für Mauersteine gehalten hatte, als Lebkuchen und allerlei Zuckerwerk. Die Scheiben bestanden aus Kandiszucker,  die Eingangstür aus Zartbitter-Schokolade. Gerade hatte David sich ein Stück davon abbrechen wollen, da glitt die Tür geräuschlos zur Seite und gab den Weg in eine kleine Eingangshalle frei. Verschiedenfarbige Türen aus Fondant führten anscheinend zu unterschiedlichen Räumen. Aus einem dieser Zimmer drangen unbekannte Geräusche an des jungen Edelmannes Ohr. 

Vorsichtig öffnete er die Tür. Er traute seinen Augen kaum.

"Gu'en Aamd, Ri'er Da .... " 

Er hielt erschrocken inne.

Jäger Karstens sonst klare Diktion litt etwas unter dem schwarzen, kugelrunden Knebel, der mit zwei Lederriemen in seinem Mund fixiert worden war. Er war an ein Kreuz gefesselt, das aus Butterkeks bestand, und war sonst bemerkenswert luftig gekleidet. 
Vor ihm stand eine junge Frau in einer schwarzen Ledermontur. David konnte kaum den Blick von ihren extrem hochhackigen Overknee-Stiefeln wenden. In der behandschuhten rechten Hand hielt sie eine Peitsche, mit der sie in ihre linke Hand rhythmisch schlug. 

"Die Herren kennen sich?" 

Soweit das Hundehalsband, das Jäger Karstens Beweglichkeit doch erheblich einschränkte, es zuließ, schüttelte dieser der Kopf. Auch Ritter David beeilte sich, zu sagen:
"Ich habe diesen Mann noch nie gesehen!"

Marquise Lily schaute skeptisch drein. 

"Waren wir wieder ein böser, ungezogener Junge, Jäger Karsten? Waren wir wieder ein böser, böser Jäger?"

Sie versetzte Jäger Karsten noch ein paar Schläge mit der Peitsche, was von dem Geschlagenen mit unterdrücktem Jammern und Stöhnen quittiert wurde. 
Dem jungen Ritter war es peinlich, Zeuge dieser Vorstellung zu sein, und auch die Marquise beschloß, die Sitzung zu beenden.

"Ich schlüpfe mal rasch in etwas Bequemeres!" und schwebte aus dem Raum. 

Ritter David kettete Karsten, den wirklich nicht so bösen Jäger, vom Kekskreuz los, nicht ohne sich ein abgebröckeltes Stück davon in den Mund zu stecken. 

"Hmmm, prima Qualität!" Er nickte anerkennend und brach noch ein Stückchen ab. Dann wandte er sich Karsten zu, der sich inzwischen seines Knebels entledigt und sich wieder in seinen grünen Anzug gehüllt hatte. "Um ein Haar wäre das schiefgegangen, Karsten. Fast hättet Ihr durch die Begrüßung verraten, daß wir uns kennen! Auf der anderen Seite", fügte er nachdenklich hinzu, "verstehe ich nicht, warum das den Fortgang der komischen Geschichte hätte stören können!"

"Ich glaube, daß das am Erzähler liegt", versetzte Jäger Karsten. "Wie alle Schriftsteller ist er furchtbar eitel, und er erträgt es nicht, wenn etwas nicht so läuft, wie er es geplant hatte!"

"Geplant. Geplant? Ich lach mich halbtot! Der Quatsch hier ist doch nicht geplant! Das läuft einfach so weiter! Geplant!"

In diesem Moment kehrte die schöne Marquise zurück. 

"Tja, meine Herren! Als Hexe hat man es heutzutage ganz schön schwer, sein Brot zu verdienen! Knusper, knusper, knäuschen? Das interessiert doch keinen mehr! Lebkuchenhäuser? Schon stehen besorgte Eltern vor einem und weisen auf alle möglichen Nahrungsmittelallergien hin. Ich hätte Schilder anzubringen mit 'Kann Spuren von Haselnüssen enthalten' und 'Zucker schadet ihrer Gesundheit'! Erst die Kinder im Wald aussetzen, und dann besorgte Bürger spielen! Nein Danke!"

Sie hatte sich in Fahrt geredet. 

"Dann seid Ihr gar keine Marquise, Marquise?" fragte Ritter David scheu.

"Ihr merkt aber auch alles, mein Ritter", grinste Lily, die Hexe. "Das ist nur Tarnung."

"Verflixt und zugenäht!" entfuhr es dem Ritter. "Warum ist es so schwer, die passende Partnerin zu finden!? Jetzt bleiben nur noch Fürstin Marion und Comtesse Martina übrig!" 

Bedauernd hob Hexe Lily die Schultern, was man bei ihr gut erkennen konnte, da sie, im Gegensatz zu Ritter David, keine Rüstung trug. 
"Bei Fürstin Marion kommt ihr zu spät, Ritter David. Sie wurde vor einer Woche getraut. Und Comtesse Martina hat einen Hund und ersetzt den Ehemann durch eine App! Ich glaube, beide sind sehr glücklich mit ihren Entscheidungen!" 

Grüblerisch brach der junge Ritter ein Stück vom Tischchen ab, das sich als Marzipan in Vollmilchschokolade herausstellte. 

"Ich habe eine Entscheidung getroffen!" rief er aus. 

( Was, liebe Leser, hat David entschieden? Und warum haßt Jäger Karsten den Erzähler? Und was wurde aus Äbtissin Katrins selbstgemachten Fischfrikadellen? Und wann ist diese Geschichte endlich vorbei? 
Kann man dieses Abo auch kündigen?



"Ich gratuliere Euch, mein Ritter", lachte die Marquise froh. "Darf man ...." Aber sie wurde jäh unterbrochen durch das Geräusch platzender Kaugummi-Blasen. 

"Das war die Eingangstür. Ihr entschuldigt mich kurz?"

Ritter David kannte Marion, die angeblich verehelichte Fürstin, nur von dem Bild in einem Medaillon, aber ... sie war ganz offenbar die Frau, die geklingelt hatte ... bzw. die Kaugummiblasen zum Platzen gebracht. 

"Dein Kunde ist noch nicht da, Marion, Liebes", hörte er Lily flüstern, und "Du kannst schon mal alles vorbereiten und Dich etwas frisch machen! Zweite Tür links!"

"So, da bin ich wieder!" 

Hexe Lily schmunzelte charmant. 
"Und?"

"Was, und?"
"Ihr wart eben dabei, mir Eure Entscheidung mitzuteilen!"

"Ach ja", nickte Ritter David. "Also, ich bin fest entschlossen ..."

Aber erneut ertönte das Geräusch platzender Kaugummis. 

Lily lächelte bedauernd. "Es ist mir wirklich unangenehm, aber ..."
"Nein, geht nur", erwiderte David leutselig. "Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps!"

Warum bloß war er nicht überrascht, daß er den attraktiven, allerdings veganen Eremiten Rowbin das Lebkuchen-Etablissement betreten sah. Es gab eine kurze, erregte Diskussion, deren Inhalt er nicht verstand, an deren Ende allerdings die Übergabe einiger Geldscheine stand. 

"Er wollte erst am Ende bezahlen", erklärte Lily, "aber darauf lasse ich mich nicht ein, schon gar nicht bei Eremiten. Da ist das Einkommen nicht gesichert! Deswegen: Vorkasse. Schon aus Prinzip!"

Kurze Zeit später hörte man gedämpft verräterische Geräusche, Klatschen und Stöhnen in der Halle. Außerdem schien es so, als benutzte er wieder lauter schwierige Wörter, die auf -ismus, -asmus, -enz oder -anz endeten. 
"Na? Da war wohl jemand ein sehr, sehr unartiger Eremit", stellte Lily mit sardonischem Grinsen fest. 

Es dauerte gar nicht lange, da trat auch Comtesse Martina den Dienst an. David, der junge und vielleicht sogar etwas unbedarfte Ritter staunte nicht schlecht. Marquise Lily jedoch erklärte ihm, daß das den Damen Unabhängigkeit verschaffe und den Herren dazu verhelfe, dem grauen Alltag zu entfliehen, also, eine Win-Win-Situation. 

"Aber irgendwie, Ritter David, kommen wir immer wieder davon ab. Was habt Ihr denn nun entschieden?" 

"Laßt mich Euch, werte Hexe, zuvor eine Frage stellen: Habt Ihr Monatskarten für Euer Etablissement? Oder Rabattmarken?" 
"Wo denkt Ihr hin, lieber Ritter!? Rabatt? Für drei Klassefrauen? Martina, die immer auf ihr Äußeres achtet und viel Zeit darauf verwendet, mit allerlei sanften Cremes, wohlriechenden Essenzen und  reichhaltigen Ölen ihren Körper zu pflegen? Marion, die hochintelligent und erfinderisch ist, ihr Geschmack unfehlbar, ihre Moral bisweilen allerdings etwas locker? Und schließlich ich selbst, mit überbordender Fantasie, viel Humor ... und wem sehe ich ähnlich?" 
"Olivia Newton-John?"
"Olivia Newton-John."

Befriedigt klopfte Hexe Lily dem Ritter auf die Rüstung an der Stelle, an der sie seine Schulter vermutete. 
"Schade, aber dann wird das zu teuer", grübelte unser Edelmann, den wir inzwischen schon richtig liebgewonnen haben, oder nicht? 
"Egal. Ich werde den Heimweg antreten, und ich werde den 3. Raum des Verlieses betreten. Ich soll das zwar nicht tun, meint die zauberhafte Fee Ingela, aber irgendwo muß doch die Lösung zu finden sein, meint Ihr nicht?" 

Er war zu allem entschlossen. Mit seinem Nervenkostüm stand es nicht zum besten, man bedenke, was er in den letzten Tagen alles mitgemacht hatte. 

Die Hexe kam nicht umhin, ihm recht zu geben. Man dürfte, so meinte sie, den Feen auch nicht zu viel Bedeutung zumessen. Außerdem: Was sollte sich schon Schockierendes in Kellerraum Nr. 3 finden lassen? In 1 und 2 gab es nur diverse Alkoholika, noch ein paar Weckgläser mit Obst und grünen Bohnen, ein bis zwei Zentner Kartoffeln für des Ritters Leibspeise, den köstlichen Kartoffelsalat mit selbstgerührter Mayonnaise, und noch diverser Kram, den man oben nicht brauchte, und der in dem wirklich kleinen Schloß und in den drei Türmen nur wertvollen Wohnraum weggenommen hätte. So rosteten diverse Rüstungen still vor sich hin, in einer Ecke stand der Schreibtisch seines Vaters, König Doron, an dem dieser so manches Urteil unterschrieben hatte - als Souverän oblagen ihm nicht nur Exekutive und Legislative, sondern auch die Jurisdiktion. Daß sein Vater den Beinamen "der Gerechte" trug, konnte man allerdings als Zeichen dafür werten, daß er seine Macht stets zum Wohle seiner Untertanen einsetzte. 

Auf dem Schreîbtisch standen eine kleine Schatztruhe, in der sich ein - naturgemäß - kleiner Schatz befunden hatte, aber der war halt irgendwann aufgebraucht, so daß die leere Kiste in einer Ecke des Thronsaales keinen Sinn mehr machte und ausrangiert wurde. Und schließlich, neben dem Schreibtisch, befand sich noch eine ziemlich schmutziger Drachenkäfig, der einmal für Benjamin die Behausung dargestellt hatte. Als Ben dem Käfigalter entwachsen war, hatte man das Ding so, wie es war, in den Keller geschafft. Keiner hatte es für notwendig erachtet, den Käfig zu säubern; selbst bei Anwendung der Drahtbürste klebte der Drachenkot wie Pech und Schwefel an den Metallstreben. 

Gleich nach dem Tod der Eltern - die Leidenschaft seiner Mutter, Königin Bir Te,  für die Bienenzucht hatte aus David vor sieben Jahren eine Vollwaise gemacht. Man hatte überraschend das erlauchte Paar, von Bienenstichen übersät, tot neben den Körben liegend aufgefunden - gleich nach diesem Todesfall also hatte David auch das Cembalo aus seinem alten Kinderzimmer herunterschaffen lassen. Er war insgeheim erleichtert, daß endlich das lästige Üben unterbleiben konnte. Das gab er allerdings nie offiziell zu, sondern behielt dies Geheimnis für sich. 

Was, also, sollte sich im dritten, verbotenen Raum befinden? Er, David, würde es herausfinden. 

Hexe Lily hatte sich bemüßigt gesehen, dem jungen Edelmann eine Wegzehrung mitzugeben, allerdings hatte sie keinen Fisch gehabt, da sie sich vegetarisch ernährte. 
"Das sind Grünkernbratlinge", erklärte sie dem Ritter, der verdutzt die sonderbar anmutenden Frikadellen betrachtete. 
"Sehr gesund, prallvoll mit Ballaststoffen!"

"Wie bereitet man die zu?", erkundigte sich unser Ritter vorsichtig.

"Ihr müßt den Grünkern und den Hafer schroten und in  heißer Gemüsebrühe ca. 20 Minuten einweichen (nicht kochen), dann ein paar Zwiebeln würfeln und den Knoblauch zerhacken.
Nach dem Einweichen evtl. überschüssige Brühe abschütten und nochmals 10 Minuten nachweichen lassen.
Dann die Masse in einen Behälter geben und mit den restlichen Zutaten mit den Händen vermengen. Hierbei müßt Ihr darauf achten, dass die Masse eine teigähnliche Konsistenz bekommt und gut haftet.
Die Masse nochmals 10 - 15 Minuten ruhen lassen. 
Schließlich schmeckt Ihr nach Gusto mit Salz, Pfeffer und Curry ab, sonst ist das Zeugs einfach zu fade und schmeckt nach nichts. 
Die Masse mit nassen Händen in kleine Buletten formen und in die gut vorgeheizte und mit Olivenöl benetzte Pfanne geben.
Von beiden Seiten ca. 4-5 Minuten ausbraten lassen. So werden die Bratlinge schön knusprig und bleiben innen saftig."

Allein die Schilderung der Zubereitung erleichterte David die Entscheidung, sich der vegetarischen Köstlichkeit zu entledigen, sobald er außer Sichtweite des Lebkuchenhauses war. Er beschloß aber, ein paar Tischbeine aus Marzipan heimlich mitgehen zu lassen. 

Er sagte der Hexe Lebwohl und fragte sich, ob er auf den Eremiten warten sollte, denn bekanntermaßen reist es sich besser gemeinsam. Den Geräuschen nach allerdings war der Eremit noch nicht am Ziel seiner Wünsche, außerdem hätte so manche peinliche Situation zwischen den beiden entstehen können, die der Ritter zu vermeiden trachtete. 

Um den Weg etwas abzukürzen, wählte er nicht die Route über das Gut der staatlich anerkannten Expertin für Rinderhaltung Grit, sondern die durch den Zauberwald...

( Na bitte. Und jetzt auch noch ein Zauberwald. Offenbar ist das Ende der Story noch nicht in Sicht! 

Was erwartet den Leser im Zauberwald? Sprechende Tiere, etwa? Fabelwesen und wandernde Bäume wie bei Harry Potter? Kupfert der Erzähler wohlmöglich ab? Keine Fisimatenten, bitte. Wir wollen jetzt endlich wissen, wie die Geschichte ausgeht. 
Durchhalten, Freunde! Lang kann es ja nun nicht mehr dauern!




In der Tat war der Zauberwald die angenehmere Route, ohne Erhebung oder Absenkung, so daß die Wanderschaft ohne größere Anstrengung ihren Fortgang nehmen konnte. Im Sonnenlicht erschien alles hell und freundlich, Vöglein zwitscherten, bunte Falter sogen süßen Nektar aus Blütenkelchen und ließen sich von der Sonne wärmen. 

Ein Eichhörnchenpaar sprang behände den schwarz-weißen Stamm einer Birke auf und ab, tanzte in pelzigen Spiralen auf und nieder, bis zur hellgrünen Baumkrone hinauf, hernach wieder abwärts zum Waldboden, auf dem eine kleine Gruppe von Fliegenpilzen sich häuslich niedergelassen hatte.

Ritter David beschloß, hier einen Moment der Rast einzulegen. Was hatte er an Wegzehrung dabei? Marzipan, Schokolade und Fruchtgummi. Ja, gewiß. Die Grünkernbratlinge waren mit Sicherheit gesünder, aber ... kurz und gut. Marzipan. Was sollte an Mandeln, Rosenwasser und einer Spur Zucker ungesünder sein als an geschrotetem Grünkern, Hafer und gehackten Zwiebeln? Alles reine Naturprodukte. 

"Euch ist schon klar, daß Ihr mit 100 g Marzipan locker 486 Kalorien zu Euch nehmt, oder?"

Wer hatte das gesagt?

"Und dann das Fett aus den Mandeln! Gut, es sind zwar essentielle und mehrfach ungesättigte Fettsäuren, aber - bewegt Ihr Euch auch ausreichend, um Übergewicht und Diabetes vorzubeugen?" 

Ritter David sah sich um, entdeckte aber niemanden. 

"Sind die Zutaten überhaupt fair gehandelt? Besonders der Kakao vom Schokoladen-Überzug?" 

Der junge Edelmann konnte es kaum glauben, aber es waren die beiden Eichhörnchen, die sich als seine Kritiker herausstellten. Beide zirkelten sich vom Stamm der Birke hinunter und betrachteten ihn mit gerunzelter Stirn. 

"Wieso könnt ihr sprechen? Und wenn ihr schon sprechen könnt: Wieso kann ich euch verstehen?"

Die Eichhörnchen brachen in ein albernes Kichern aus, und vor Vergnügen rasten sie den Stamm einmal hinauf und wieder retour. 

"Zauberwald? Hallo? Sagt Euch das was? Der Erzähler hatte doch auch schon darauf hingewiesen ... Fabelwesen und wandelnde Bäume gibt es hier allerdings nicht. Aber sprechen können wir alle!"

Der Ritter bedankte sich für den Hinweis und die offenbare Sorge um seine gesunde Ernährung. "Woher wißt ihr so viel über Essen", fragte er erstaunt.

Die Eichhörnchen sahen sich an. 

"Kennst Du den Eremiten Rowbin?"

Ritter David bejahte dies. 

"Wenn er seinen monatlichen Besuch bei Hexe Lily abgestattet hat, geht er gern diesen Weg zurück."

"Monatlich, soso", sinnierte Ritter David.

"Er würde bestimmt häufiger gehen, aber das wird auf die Dauer zu teuer", kicherten die Eichhörnchen. "Na, jedenfalls: Irgendwann hat er und mal dabei erwischt, daß wir ein paar Würmer und ein Vogelei verspeist haben. Ihr könnt Euch vorstellen, was dann passierte, oder?"

"Eremit Rowbin ist doch Veganer!"

"Eben, Ritter David, eben. Jedesmal, wenn er unserer ansichtig wird, hält er einen Vortrag über gesunde Ernährung. Neulich hatte ich einen Käfer gefangen, und als ich gerade hineinbeißen wollte ... Sagt mal, habt Ihr schon mal Mousse au chocolat zubereitet ... auf Avocadocreme-Basis?" 

Es erschien dem Ritter etwas absurd, mit zwei Eichhörnchen vegane Rezepte auszutauschen, aber schließlich war das hier der Zauberwald und deswegen nur begrenzt ungewöhnlich. Er lernte auch, daß nicht nur Avocadocreme, sondern auch Tofu, Kichererbsen und Bananen als Grundlage für die Schokoladenmousse infrage kämen. 

Gerade fachsimpelten die drei Genießer, ob es sinnvoller sei, mit Zucker oder Agavendicksaft zu süßen, da brach aus dem Unterholz, verschwitzt und rothaarig, Bäuerin Grit hervor. Sie hatte sich nicht kampflos geschlagen geben wollen, hatte bei Lily und ihren Kolleginnen sich nach dem Verbleib des Ritters erkundigt, von der Absicht erfahren, daß David durch den Zauberwald gen Heimat ziehen wollte, und war nun den ganzen Weg mehr oder weniger gerannt, um ihn noch zu erwischen.

Atemlos stieß sie inkohärente Begriffe wie "sinnliche Begierde", "unverbrüchliche Treue", "unendliche Liebe" hervor, wobei sie erneut begann, ihr handbesticktes Mieder zu lockern und das, was an Knöpfen vorsehen war, zu lösen. 

Verunsichert betrachtete David die Szene. Sprechende Tiere, na gut. Aber das hier war wirklich unheimlich. 

"Bitte, Bäuerin Grit", stammelte er, "bedeckt Euch wieder und bedenkt, daß Ihr staatlich geprüft seid!" 

Enttäuscht packte die Expertin alles, was auch von selbst gehalten hätte, in die dafür vorgesehene Halterung zurück. 
"Das werdet Ihr noch bereuen, Ritter David. Aber dann wird es zu spät sein."

Sprachs, warf den Kopf in den Nacken, so daß ihre rote Mähne wie eine Flamme aufloderte, und schritt davon wie die Jungfrau von Orleans auf ihrem Weg zum Scheiterhaufen.

"Eure Entscheidung war richtig."
David erschrak. Wo kam denn so urplötzlich die wunderschöne Fee Ingela her? Sie schwebte zierlich aus einem Rotbuchenhain hervor. Diese hatte sie, entsprechend ihrem rosafarbenen Feengewand, für ihren Auftritt extra ausgewählt. 

"Geht heim, Ritter David. Ihr werdet Euer Glück finden."

Um den Weg für ihn etwas abzukürzen, warf sie eine kleine Portion Feenstaub in die Luft ...

Und dann, endlich, sah er es.

Zwischen den Bergen, in einem von hohen Tannen umgebenen Garten. Es war ein ziemlich kleines Schloß, denn es hatte nur eine Zugbrücke, und auch nur drei Türme, und das ist, wie ja allgemein bekannt ist, die Minimalausstattung für ein Schloß. Aber für ihn war es Heimat, er kannte jeden Stein in der Mauer, jeden Holzbalken in der Zugbrücke. Ach, dieser Geruch von frisch gemähtem Gras! Der Dampf kochender Kartoffeln auf dem Herdfeuer! Und vor allem: Der Klang der Laute, der Hofnarr Peik so virtuos Töne zu entlocken verstand ... Wo war Ben? Drachen hatten doch  eine ungefähr zehntausend Mal feinere Nase als ein Hund ... hatte er denn seine Ankunft noch nicht wahrgenommen?

"Herr Ritter, Ihr seid zurück! Endlich!"

Hofnarr Peik hatte Tränen in den Augen. Sofort schlug er freudige Akkorde auf der Laute an und sang dazu:

"Hurra, hurra, unser Herr ist zurück!
Des sind wir so froh und tanzen vor Glück!
Er kämpfte sich durch Berge und Schlick
Und an mein Herze ich ihn jetzt drück!"

Verstohlen wischte der Edelmann sich eine Träne mit dem Handrücken fort. Laut sagte er, "Jetzt ist es aber gut, Peik. Wo ist den Benjamin?"

Der Hofnarr schmunzelte verschmitzt. 
"Ihr werdet ihn kaum wiedererkennen!"

Ja, Benjamin war ordentlich gewachsen, und an seinem Bäuchlein war nur noch ein kleiner rosa Fleck, so groß wie ein Taler, zu erkennen. 

"Bist Du aber groß geworden, Donnerwetter", rief der Ritter voller Staunen aus. "War ich denn so lange fort?"

"Viel zu lang, mein Herr, viel zu lang." Der Hofnarr hielt traurig den Kopf gesenkt. Dann aber kehrte das Lachen in sein Gesicht zurück. 
"Jetzt paßt aber mal auf: Ben? Ben??!" Und als er die Aufmerksamkeit des Drachens hatte, hob er den Rechten Zeigefinger und rief das Codewort.  

"WUSCH!!!"

Der Drache stellte sich auf die Hinterbeine, öffnete sein Maul und unter fast schon gefährlichem Zischen produzierte er eine beachtliche Flamme.

Der Hofnarr platzte vor Stolz, sein Gesichtsausdruck grenzte an Größenwahn.

"Na, edler Ritter, was sagt Ihr jetzt?"

"Ich bin beeindruckt", sagte der Ritter David. "Was für eine Freude! Das hast Du fein gemacht, Ben!" 
Und er warf ihm zur Belohnung zwei Grünkernbratlinge zu, die er zufällig in seiner Tasche gefunden hatte. Der Drache sah zwar nicht glücklich aus, hatte jedoch ein Gefühl für die positive Absicht dieser Geste. 

"So, Hofnarr Peik. Jetzt ist es so weit. Ich will jetzt den dritten Raum des Verlieses betreten. Wollt Ihr mich begleiten?"

Der Hofnarr erbleichte.

"Seid Ihr da wirklich ganz sicher, Herr? Ihr wißt, Fee Ingela ... "
"Ich glaube, Fee Ingela ist sehr einverstanden", behauptete der Ritter, an die Begegnung im Rotbuchenhain denkend. "sie hat mich darin unterstützt! schnell wieder hierher zurückzukommen. Und immerhin ist das meine Burg, mein Leben, mein dritter Raum. Also los jetzt."

Beide Männer stiegen die Treppe zum Verlies hinab. Sie durchschritten die ersten beiden Räume, vorbei an den Regalen mit Flaschen und Einmachgläsern, am Schreibtisch mit der leeren Schatzkiste, am Drachenkäfig und am Cembalo. 

Da war sie nun, die Tür zum dritten Kellerraum. 

Nach kurzem Zögern drückte David die Klinke herunter. Knarrend, quietschend und ächzend öffnete sich die Tür und gab den Weg frei in ein wunderbares, freundliches Gewölbe, das überraschend wohnlich eingerichtet war. Ein wunderbares, heimeliges Gefühl umgab sie,ein Gefühl von Vertrautheit, Sicherheit, Geborgenheit. Alles war gut.

David nahm auf einem der Sessel Platz und lud Den Hofnarren ein, es ihm gleichzutun. 

"Es ist schön, wieder zu Hause zu sein, Hofnarr Peik!"
"Es ist schön, daß Ihr wieder da seid, Ritter David. Ihr habt mir so gefehlt."

David sah den Hofnarren lange an.
"Wirklich? Ich dachte, es sei wie Urlaub für Euch, wenn Ihr nicht ständig Kartoffeln kochen, die Laute schwingen, Scherze machen müßt!" 

"Aber das ist mein Leben, David. Dafür bin ich da. Für Euch. Nur für Euch. Ihr gebt mir ein Zuhause, ich gebe Euch ein Zuhause."

Der junge Edelmann war wie erstarrt. Die Worte des Hofnarren hatten ihn im Innersten berührt. Das war es, was er gesucht hatte. Das war die Antwort auf seine Fragen gewesen. Er ergriff des Hofnarren Hand, und ohne, daß er eine Frage gestellt hatte, gab dieser die Antwort:

"Ja."

Seither sind so viele Jahre vergangen. Die kleine Burg gibt es sogar noch, als Ruine zwar, die Zugbrücke ist in irgendeinem Krieg verbrannt, aber es ist auch nichts mehr zum überbrücken da. Von den ehemals drei Türmen steht nur noch einer, auch die roten Schindeln gibt es nicht mehr.
Ein Archäologe hat berichtet, daß im dritten Raum des Verlieses, das wegen Baufälligkeit nicht mehr betreten werden darf, an der Wand eine kleine, schwer zu interpretierende Inschrift zu lesen war, offenbar mit Holzkohle geschrieben. Es stand dort zu lesen:

"Ich habe hier gefunden, was ich woanders gesucht habe."


( So, das war's. Endlich. Ich hoffe, ich habe niemanden verärgert, gelangweilt, traurig gemacht. Das lag nicht in meiner Absicht. 

Wenn ihr es lesen mochtet, freue ich mich. Meinen Lektor würde vermutlich der Schlag treffen, deswegen zeige ich es ihm auch gar nicht erst. Er wird noch anderweitig gebraucht. Aber ihr wißt, unter welches Motto ich die skurrile kleine Geschichte gestellt habe. Und wenn ich beim Lesen und nochmaligem Lesen gemerkt habe, daß das Ganze doch ziemlich schräg ist, habe ich mir immer nur das eine gesagt: 

Ist mir egal. Ich laß das jetzt so! )

Es steht wirklich nur noch ein Turm ...
Es steht wirklich nur noch ein Turm ...
Man spürt die Gegenwart von Hexe Lily, oder?
Man spürt die Gegenwart von Hexe Lily, oder?