"Nach den Paragraphen 1313 und 1314 BGB liegt ein guter Grund für die sofortige Aufhebung der Ehe vor, Frau Hempe ... oder darf ich schon wieder sagen, Frau Tauber ... wenn nämlich die
Schließung der Ehe aufgrund arglistiger Täuschung zustandekam. Wir haben gute Aussichten auf Erfolg! Ich bitte sie nur noch, hier diese Vollmacht zu unterschreiben, den Rest halte ich für
eine Formsache. Ich habe ihre Einlassung zu Protokoll genommen. Eine Kopie meines Schriftsatzes schicke ich wohin?"
"Eichenallee 9-11, zu Händen Frau Cora Welk, bitte! Von ihr stammt auch die Empfehlung, mich an sie zu wenden."
"Cora Welk, ja! Eine wirklich wunderbare, charaktervolle Frau! Bitte grüßen sie sie besonders herzlich von mir!"
Franziska versprachs, und Herr Rechtsanwalt Bolte begleitete Kai und Fränze noch bis zur Tür.
"Ich bin so froh, daß es endlich vorüber ist!"
Franziska umarmte Kai aus einem spontanen Glücksgefühl heraus.
"Was wirst du jetzt machen?" fragte dieser.
"Ich bin nicht sicher. Das Beste wird sein, ich frage Cora. Vielleicht kann ich noch einmal in meinen Job zurück! Allerdings: So etwas wie Benedikt passiert mir nie wieder!"
Kai betrachtete eingehend ein kleines Grasbüschel auf dem Boden, das zwischen zwei Gehwegplatten hervorlugte, und druckste herum.
"Könntest du dir vorstellen ... ich meine, ich weiß, du wirst das vielleicht langweilig finden, aber ... andererseits, ich könnte ... ich meine, ich würde ...." Franziska lachte
vergnügt.
"Ich könnte, ich meine, ich würde? Kai, nun komm' auf den Punkt!"
Kai wurde krebsrot.
"Das ist, theoretisch gesprochen, gar nicht so einfach, bei dem, was ich zu sagen habe. Nach der schlechten Erfahrung, die du gerade gemacht hast, einfach so zu fragen, ob du dir vorstellen
kannst, dich doch noch mal auf einen Mann einzulassen, meine ich. Auf dich zuzukommen, als wäre nichts geschehen. Dir das Angebot zuzumuten, mit einem Mann zusammenzuleben. Sogar, wenn dieser
Mann gemerkt hat, daß er dich liebt und ohne dich nicht mehr leben kann. Nein, Fränze, das ist gar nicht so einfach. Das ist sogar ausgesprochen schwierig. Man kann nicht einfach so eine
Frau, die im Begriff ist, eine unglückliche Ehe auflösen zu lassen, fragen, ob sie bereit wäre, erneut eine Verbindung einzugehen!"
Er hatte sich jetzt richtig in Fahrt geredet. Franziska sah ihn aus großen, ungläubigen Augen erstaunt an.
"Könnte sich denn ein Mann, theoretisch gesprochen, überhaupt für eine Frau interessieren, die eine solche Geschichte erlebt hat? Würde er nicht vielleicht feststellen, daß diese Frau
unmöglich eine anständige Frau sein kann? Eine Frau, mit der man besser keine Verbindung eingehen sollte?"
Kai sah von dem Grasbüschel auf und Franziska direkt in die Augen.
"Wenn diese Frau, wirklich nur theoretisch gesprochen, jemals wieder einem Mann vertrauen kann, ja, dann würde er sich für diese Frau interessieren. Denn ... er liebt diese Frau. Vom ersten
Moment an. Er hat es bloß damals noch nicht gewußt, weil er wegen der schlechten Ehe seiner Eltern an Liebe nicht mehr glaubte. Sonst hätte er sie nicht mehr gehen lassen, nachdem sie ihm das
Leben gerettet hatte."
"Oh, hat sie das?"
"Ja, das hat sie. Und damit hat sie mir die Kraft gegeben, weiterzumachen und dahin zu kommen, wo ich heute bin."
Beide schwiegen. Nach einer Weile flüsterte Fränze: "Und warum fragt dieser Mann diese Frau nicht endlich, ob sie ihn heiraten möchte ... sobald das wieder geht?"
"Würde diese Frau denn diesen Antrag annehmen?"
Franziska lachte.
"Von ganzem Herzen, ja. Ja, ja, ja! Und das nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch!"
Pastor Peleikis war doch recht überrascht, als Franziska erneut vor ihm stand, um über die Trauung zu sprechen.
"Entschuldigung, aber ... hatten wir nicht unlängst das Vergnügen?"
Sie erklärte ihm, wie es dazu kommen konnte.
"1. Buch Samuel, 16/7: 'Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an.' Man kann doch wirklich niemals wissen, was in einem Menschen vorgeht. Aber die Wege des Herrn!
Ich sage immer: Die Wege des Herrn! Wie sagt doch Psalm 25, Vers 8-10: 'Der HERR ist gut und gerecht; darum weist er Sündern den Weg. Er leitet die Elenden recht und lehrt die Elenden seinen
Weg. Die Wege des HERRN sind lauter Güte und Treue für alle, die seinen Bund und seine Gebote halten!'
"Natürlich heiratet Ihr in unserer bescheidenen Villa, das wäre ja wohl noch schöner!"
Coras energische Stimme ließ keinen Widerspruch zu. Kai freute sich.
"Das ist sehr lieb von ihnen, Frau Welk ..."
"... wollten wir nicht endlich Kai und Cora sagen?"
"... also Cora, das ist sehr lieb von dir! Ja, deine Räumlichkeiten dürften knapp ausreichen!"
"Was haltet ihr davon? In der Halle bauen wir eine Champagnerpyramide auf, im Büro das Buffet. Getanzt werden kann in der Halle, im Wohnzimmer und in der Bibliothek, wenn wir die große
Schiebetür öffnen. Und als Clou lassen wir auf der Empore die Band spielen. Was hättet ihr gern als Tanz?"
"Ganz klar: Die 'Scorpions', "We will rise again".
Wie aus der Pistole geschossen nannte Fränze den sehr rockigen Walzer.
"Das trifft, soweit ich informiert bin, auf euch beiden zu", meinte Cora.
"Ihr seid ganz wunderbare Menschen, und ich finde es großartig, daß ihr endlich zueinander gefunden habt. Ihr müßt mir etwas erlauben."
"Alles, was du willst, Cora. Du hast uns so viel geholfen, und letzten Endes ist dein PC schuld daran, daß ich Fränze wiedergefunden habe."
"Hhrrrmm!"
Cora räusperte sich ausdrucksvoll und sah Kai streng, aber doch mit einem schalkhaften Augenzwinkern an.
"Na gut. Dann müßt ihr mir erlauben, die Ringe für euch auszusuchen."
"Cora, das kommt überhaupt nicht infrage. Für deinen persönlichen Einsatz können wir dir niemals genug danken, und du hast schon so viel Unkosten. Daß du das alles übernimmst, ist so lieb von
dir, aber die Ringe, nein, wirklich!"
"Alles, was du willst, Cora", imitierte die Hausherrin Kais Tonfall.
"Also - Ende der Debatte, beschlossen und verkündet!"
Die kleine Petri-Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt. Kai hatte einige Freunde und Bekannte eingeladen, auch Annika hatte er gebeten zu kommen, und, zu seiner Überraschung, sie war
tatsächlich erschienen. Fränze freute sich über Raffaelas Zusage, und erwartete die Kollegen ihrer alten Arbeitsstelle im Stadtkrankenhaus sowie, ganz selbstverständlich, die Kolleginnen und
Kollegen der Agentur.
"Lauter unwichtige, liebe Leute, Gottseidank!" dachte sie erleichtert. In der ersten Reihe, neben Coras, Alexander von Kostkas, der dem Bräutigam als Trauzeuge zur Seite stand, Danielas und
Ann-Kathrins Sitzen, war ein Platz frei geblieben.
"Seid nicht so neugierig", schmetterte Cora die Nachfragen ab, "wir erwarten einen Ehrengast."
Fränze, die sich - damit Kai sie nicht vorher sehen konnte - in der Sakristei, von der man ganz gut in das Kirchenschiff spähen konnte, verschanzt hatte, verrenkte sich den Hals, aber Coras
Planung nach sollte der Gast die Rolle des Brautführers übernehmen, und wartete geduldig in Coras Wagen auf dem Parkplatz vor dem Küsterhaus, das im rechten Winkel zum Kirchturm stand.
Franziska hatte sich von Ann-Kathrin ein zauberhaftes, cremefarbenes Kleid im Vera-Wang-Stil, schulterfrei, aus Metern von Taft, Seide und Tüll auf den schlanken Leib schneidern lassen. Kai
sah in einem klassischen Smoking fabelhaft aus. Er stand mit Alex neben Pastor Peleikis.
Als die Orgel einsetzte, öffnete sich die Tür der Kirche, und durch die offene Tür schritt, am Arm von Herrn Gauß, die atemberaubende, strahlende Braut, gefolgt von Cora. Diese hatte es
übernommen, den fast blinden alten Herren nach Erledigung seiner Aufgabe zu seinem Platz zu geleiten.
Franziska hatte, als der alte Mann so unerwartet vor ihr stand, laut aufgeschluchzt und war ihm um den Hals gefallen.
"Macht nix", meinte Daniela gelassen.
" Ich hab wasserfestes Mascara benutzt!"
Auf dem gold-glänzenden Haar war ein Schleier verankert, und Dani hatte sich mit dem glamourösen Make-up selbst übertroffen. Um den Hals trug die Braut einen kostbaren Schmuck: einen in Gold
gefaßten, riesigen, pinkfarbenen Diamanten.
Pastor Peleikis sprach von den Irrungen und Wirrungen, die Kai und Fränze überstanden, den Umwegen, die sie genommen, den Schwierigkeiten, die sie überwunden hatten.
"Ihr wart für einander von Anfang an bestimmt, aber das Schicksal hat euch geprüft. Nun endlich habt ihr euch gefunden, und wollt eure Verbindung vor dem Angesicht Gottes segnen
lassen."
Beim Tausch der Ringe öffnete Kai das kleine Kästchen, das ihm im letzten Moment von Alex zugesteckt worden war. Die Ringe hatte Cora individuell anfertigen lassen, asymmetrisch verflochtene
und verwobene Bänder aus Platin, Gelb- und Rotgold, als Symbol für die verschlungenen Wege, die die beiden genommen hatten; Coras Ring war an einer Stelle mit einem kleinen Sternenhimmel aus
winzigen Diamanten, verziert.
Im Anschluß an die Trauung fuhr ein laut hupender, fröhlicher Corso unterschiedlicher, blumengeschmückter Wagen zur Eichenallee. Herr Gauß hatte es sich nicht nehmen lassen, diesmal ebenfalls
Gast zu sein.
"Ich weiß nicht, ob ich es überstehe, mein liebes Kind", sagte er fröhlich zu Franziska, "aber dein großer Tag ist mir so wichtig, daß ich meine geringe Belastbarkeit hintenan stelle. Und
wenn dieser Tag mein letzter sein sollte, dann würde ich diese Welt überglücklich verlassen in dem Wissen, daß du, Franziska, gut aufgehoben und beschützt bist. Aber versprich mir, daß es
deine letzte Hochzeit ist!"
Fränze war überwältigt.
"Ich weiß nicht, womit ich so viel Liebe verdient habe, aber ich bin gerade der glücklichste Mensch der Welt. Ich habe einen wunderbaren Mann, einen väterlichen Freund ..."
"... na ja, eher großväterlichen Freund", wandte Herr Gauß bescheiden ein - "... Dich, Cora, Alex, Euch, Schneeweißchen und Rosenrot, Raffaela ... alle Menschen, die ich liebe, sind heute
hier!"
Die Feier nahm ihren Verlauf, man bestaunte die aus Sektkelchen gebaute Pyramide, in die nunmehr der Champagner gegossen wurde. Das Buffet enthielt erlesene Spezialitäten aus aller Welt, Cora
hatte an nichts gespart.
Fränze sorgte als erstes dafür, daß Herr Gauß, in einem bequemen, weich gepolsterten Ohrensessel sitzend, einen Teller mit allerlei Leckereien vor sich stehen hatte. Die kleine Band spielte
als dezente, moderne Tafelmusik Songs von Cole Porter, dann wurde ausgelassen getanzt.
Gegen halb Elf schickte sich Herr Gauß an, das fröhliche Fest zu verlassen. Er hatte jede Sekunde genossen, aber sein hohes Alter forderte seinen Tribut.
"Du hast alles richtig gemacht, Franziska. Ich fühle es. Ich kann es nicht sehen, aber ich spüre, das so alles richtig und gut ist. Ich habe es einmal zu Dir gesagt: Am Ende wird alles gut.
Gottes Segen, mein liebes Kind!"
Es war gegen drei Uhr in der Frühe, als zum Ende der Veranstaltung, Fränze auf die Empore trat, um den Brautstrauß zu werfen. Hastige Bewegungen, ein kleiner Aufschrei, ein Lachen ... und der
Strauß, der übrigens in der Hauptsache aus weißen, duftenden Rosen mit dem Namen 'Brautzauber' bestand, war in den Händen von Annika Eilers gelandet, die sich den Abend über mit einem von
Franziskas Kollegen offenbar sehr gut amüsiert hatte. Sie lächelte ihn an.
"Wo werdet ihr euch eigentlich häuslich niederlassen?" fragte Cora. Kai wurde ernst.
"Ich denke, es ist das Beste, wenn wir in unsere Heimatstadt zurückgehen! Ich kann den Laden meines Vaters nicht allein lassen!"
Jetzt sahen alle bestürzt aus.
"Ja", äußerte Fränze nach längerer Überlegung, "das verstehe ich natürlich."
Kai hielt die Grabesmiene, die er aufgesetzt hatte, nicht lange durch. Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.
"Fränze, habe ich dir eigentlich schon mein Hochzeitsgeschenk gegeben?"
Sie schüttelte, immer noch nachdenklich und etwas niedergeschlagen, den Kopf. Kai zog ein Schlüsselbund aus der Tasche und überreichte es mit einer kleinen, artigen Verbeugung.
"Bitte sehr, Frau Kleinert!"
"Was ist das?"
"Fränze! Bitte sage mir nicht, daß du einen Schlüssel nicht erkennst!"
"Ja, natürlich erkenne ich einen Schlüssel, aber ... welche Tür öffnet er?"
Statt einer Antwort zeigte Kai auf die Villa auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
"Ich verstehe nicht ..."
"Ich glaube, es wird Zeit, daß wir die Hochzeitsreise antreten", grinste Kai.
"Du bist ja völlig fertig. Erinnerst du dich nicht, daß das Häuschen gegenüber leerstand? Nun, ich habe mein Anwesen verkauft, für den Laden habe ich jemand angestellt, und für den
Internethandel brauche ich nur eine Steckdose und einen Telefonanschluß, egal wo. Ganz leer steht das Haus übrigens nicht mehr. Im Flur wirst du einige Tüten finden, die ich seit Monaten mit
mir herumschleppe. Du erinnerst dich an deinen Einkaufsbummel mit Raffaela? Und du hast nichts vermißt, oder? Damit habe ich bewiesen, daß diese ganze Einkauferei völlig überflüssig
ist!"
Er lachte.
"Aber im Ernst: Ich kann dich doch unmöglich deinen neuen Freunden, die inzwischen ja auch meine Freunde geworden sind, wegnehmen, oder? Schon gar nicht diesem wunderbaren Herrn Gauß!"
Der Jubel war groß, Fränze fiel Kai um den Hals.
"Pfui, Kai, wie kannst du mich nur so reinlegen? Mach das ja nicht wieder, sonst rede ich mindestens ... zehn Minuten kein Wort mehr mit dir! Was hast du denn für die Hochzeitsreise
geplant?", fragte sie neugierig.
"Eine Zugreise, ganz klar", lachte er.
"Aber diesmal habe ich beide Fensterplätze reserviert!"
( Ich mag Happy Ends. Also, zumindest sieht es ja nach einem Happy End aus, oder? Ich verrate Ihnen was. Es ist nur deswegen eins, weil ich hier mit dem Erzählen aufhöre.
Im wahren Leben ist manches etwas schwieriger. Wie war das noch? Die Pille und Antibiotika? Genau! Die wirkt dann nicht mehr zuverlässig ...
kurz nach Franziskas und Kais Hochzeit bemerkte Annika, daß sie schwanger war. Natürlich informierte sie den Kindsvater, der lange überlegte, ob er mit dieser Neuigkeit sein privates
Glück gefähren sollte. Er tat das einzig richtige. Er erzählte Franziska von dieser Nacht.
Franziska nahm die Geschichte besser auf, als gedacht. Alles andere wäre ja auch ungerecht gewesen. Sie hatte sich ja von ihm entfernt, sogar geheiratet.
Kai erkannte die Vaterschaft an. Sie einigten sich gütlich über Unterhalt, Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht. Annika heiratete den netten Jungen, den sie auf der Hochzeit
kennengelernt hatte, womit die kleine Sydonie vier Eltern hatte und vergnügt vor sich hin gedieh.
Also letztlich doch ein Happy End. Das mag ich.
Wie sagte Herr Gauß? Am Ende wird alles gut. )