Am Anfang war das Wort
Also, folgendermaßen begann es: Ich besuchte die Frankfurter Buchmesse, mit meinen neuen Chefs fest verabredet, und da ich so gern
Geschichten erzähle, müsst ihr euch eben mal diese anhören.
Es ist ja nicht so, dass ich von meinem Büchlein keine Exemplare verkauft hätte, aber zwischen Stephen King und mir liegen doch
gewaltige Unterschiede. Und so unterhielt ich mich mit einer befreundeten Buchhändlerin und äußerte die Lust, vielleicht auch mal etwas Geld zu verdienen, mit dem Schreiben.
Diese lachte gehässig. Ob ich denn nicht wüsste, dass dies Privileg nur wenigen vorbehalten sei? Nur 4% aller Schreibenden verdienten
Steuerpflichtiges? Wenn man vorher nicht Unsummen in Werbung steckte, gäbe da für Newcomer keinen Markt, es sei denn, man schriebe irgendwas Populäres wie ‚Deutschland den Deutschen,
Ausländer raus‘ oder ‚Wie ich islamisiert und zwangsverheiratet wurde‘. Oder Ratgeber. „Wie werde ich reich ohne Arbeit, schlank ohne Diät, Politiker ohne Sachkenntnis“. Oder man schriebe
Heftromane. Kennt man ja. Adel, Heimat, Arzt, Liebe, Fantasy. „Groschenromane“, eben.
Ich hab mir mal so ein Ding gekauft. Gefiel mir nicht. Kann ich besser, dachte ich.
Da in einem Produkt der Funke Mediengruppe, dem „Goldenen Blatt“, wöchentlich so ein 5000-Wörter-Machwerk steht, habe ich flugs einen
Arztroman in diesem Volumen gestrickt und nach Ismaning geschickt. Ich erhielt, was in dieser Branche keineswegs selbstverständlich ist, eine wirklich nette Zuschrift der zuständigen
Redakteurin, die mit Bedauern auf die vertragsmäßig beschäftigten Autoren hinwies. Was ich zauberhaft fand: Handschriftlich hatte sie ihre Unterschrift um ein „Schreiben Sie unbedingt
weiter!“ ergänzt.
Ich erzählte auch das der befreundeten Buchhändlerin, die das schon sehr nett fand, aber wissend nickte. „Da kriegt man fast nie einen
Fuß in die Tür. Diese Verträge werden weitervererbt.“
Ich habe es trotzdem versucht. Die beiden größten Verlage, Bastei und Kelter, sind Konkurrenten. Ich hatte größeres Zutrauen zu Kelter,
wegen Hanseaten und norddeutsch.
Und dann erschien der unfassbar freundliche Cheflektor des Kelter-Verlages. Bekanntestes Produkt „Dr. NORDEN“. So ein Zufall, schrieb
er. Der Kelter-Verlag sei gerade am Umstrukturieren, und ich solle das um Gotteswillen nicht als Zusage auffassen, aber - benötigt würden mindestens ALLE VIER WOCHEN ROMANE MIT
EINEM VOLUMEN VON 30000 WÖRTERN = 185000 ANSCHLÄGE. Ob ich denn überhaupt bereit wäre, so etwas ... Ich bat mir 60 Sekunden Bedenkzeit aus, und schickte eine Mail mit einem „Ja, ich
will.“
Der Kontakt intensivierte sich. Einer der Kelter-Brüder wollte mich. Er hätte einen Traum, hieß es. Haltet euch bitte irgendwo fest. Er
wollte unbedingt eine Reihe herausbringen - „Dr. Süden“. ( Ja, genauso habe ich auch geguckt. Schrecklich, habe ich gesagt, und Angebote gemacht, was man fremdsprachlich aus dem Namen machen
könnte. Wusstet ihr, dass Süden auf Schwedisch „Söder“ heißt? ) All mein Jammern half nichts. Dr. Süden, oder nichts. Na gut. Ich habe dann aber meine Mitarbeit an die Bedingung geknüpft, ihn
mit Vornamen Egidius nennen zu dürfen. Inzwischen hatte ich mich an Süden gewöhnt, die anderen Entscheider waren sich nicht so sicher, weil sie Image-Schäden bei Dr. Norden befürchten. Wir
diskutierten und nach nur zwei Monaten hieß das Kind ‚Sonntag‘ statt ‚Süden‘. Ist ja auch schön.
Das zweite Problem war das Titelbild. Der Umschlag bestimmt den Wiedererkennungswert. Ganz glücklich bin ich nicht, mit der Wahl. Aber
ich kann damit leben. Und außerdem: HALLO? Ich habe einen Fuß in der Tür bei Kelter?! Wahnsinn!
Somit fuhr ich nach Frankfurt, und stellte mich den Cheflektoren vor. Am Freitag, 12.10., um 12 Uhr, Halle 3.1, Stand F48. Ich
durfte den Beiden die Personen vorstellen, das Konzept, das Exposé, alles eben, was dazugehört. Ich musste nicht darum streiten, meinen Namen behalten zu dürfen. Das bisherige Verlagskonzept
zu verändern, ebenso wie die Struktur der Geschichten. Ein Mitspracherecht bei Textänderungen zu haben. Durchsetzen, dass ich bei Verfilmungen neben Christine Neubauer und Christiane Hörbiger
die Hauptrolle spielen darf. Das Übliche, halt.
Eine solche Chance kommt nicht wieder. Und dann ist da noch MEINE Lektorin, die an mich glaubt. Der Cheflektor vertraute mir an, dass
sie unbedingt mich wollte, weil sie findet, dass das, was ich schreibe, „endlich mal was anderes ist“. Und sie mag es. Was will man mehr.
„Weißt Du“, fragte die befreundete Buchhändlerin, der ich von meinem Erfolg erzählte, „wer noch bei Kelter angefangen hat und berühmt
geworden ist?“ Ich wusste es nicht. „Wolfgang Hohlbein“, war die Antwort. Das ist immerhin einer der mittlerweile bekanntesten deutschen Fantasy-Autoren, mit 43 Millionen verkauften
Büchern.
Eines Tages werden Bettina Böttinger, Maybritt Illner, Anne Will oder Markus Lanz mich fragen, „Herr Volmer, wie eigentlich wurden Sie
Bestseller-Autor?“ Und ich werde, unendlich bescheiden und demütig, antworten, „Wissen Sie - komische Geschichte. Es begann damit, dass ich nach Frankfurt zur Buchmesse fuhr ...“
Das war sie, die Geschichte!